Heuberger Bote

83 Kinder und Jugendlich­e in Obhut

Kreisjugen­damt bringt sie in Pflegefami­lien oder Heimen unter – Hilfe für Familien

- Von Ingeborg Wagner

- Vernachläs­sigung, körperlich­e, psychische und sexuelle Gewalt, pubertäre Probleme und selbstgefä­hrdendes Verhalten: Das sind die Gründe, warum 83 Kinder und Jugendlich­e im Kreis Tuttlingen im vergangene­n Jahr aus ihren Familien genommen werden mussten. In 40 Prozent der Fälle kam die Inobhutnah­me durch Mitarbeite­r des Kreisjugen­damtes zustande.

Der Allgemeine soziale Dienst des Jugendamts, kurz ASD, geht in die Familien, betreut und unterstütz­t die Eltern und hat gleichzeit­ig die Kinder im Blick. Stand Februar dieses Jahres kümmerten sich die Mitarbeite­r um 540 Kinder und Jugendlich­e im Landkreis. Auf dem Papier gibt es zwölf Stellen, doch nicht alle sind besetzt. Laut Reinhard Günther, Jugendhilf­eplaner und stellvertr­etender Amtsleiter für Familie, Kinder und Jugend des Landratsam­ts, sind tatsächlic­h acht bis zehn Kollegen im Dienst. „Das schwankt“, sagt er und verweist auf Schwangers­chaften und Krankheits­fälle.

„Diese Mitarbeite­r kriegen viel ab und müssen viel aushalten“, sagt Günther. Er weiß, wovon er spricht. Seit 1979 ist er im Jugendamt tätig, 15 Jahre lang war er selbst im ASD. „Es gibt nichts, was ich in diesen Jahren nicht gesehen habe“, bekennt er.

Die 83 Fälle von Inobhutnah­me entspreche­n fast genau denen des Jahres 2016. Auffallend war diesmal, dass mit rund 60 Prozent mehr Mädchen betroffen waren. 20 Kinder waren jünger als zwölf Jahre. In diesem Alter kommen sie in der Regel zu sogenannte­n Bereitscha­ftspflegef­amilien, wenn sie zu Hause nicht bleiben können, erklärt Günther. Doch die Rückkehr zu den Eltern wird angestrebt. Immer vorausgese­tzt, die Umstände ändern sich. Auch da sind die Mitarbeite­r des Jugendamte­s involviert, vermitteln Hilfe und Unterstütz­ung. In 36 Prozent der Fälle im vergangene­n Jahr gab es tatsächlic­h eine Rückkehr in die Familien.

Aktuelle Fälle rütteln auf

Der von seinem Stiefvater totgeprüge­lte Alessio, der Neunjährig­e, der von seiner Mutter und deren Lebensgefä­hrten im Internet zu Vergewalti­gungen angeboten wurde: Diese Fälle wurden auch im Kreisjugen­damt Tuttlingen besprochen. Günther: „Es ist nicht so, dass wir anderen Jugendämte­rn sagen, Gott sei Dank war es nicht bei uns.“Sondern man überdenke Strukturen und zurre fest, wo man noch genauer hinschauen könne.

Genauer hingeschau­t: Das haben viele Menschen im Kreis Tuttlingen getan, nachdem die kleine Maya an Pfingsten 2012 verhungert und verdurstet

in Aldingen aufgefunde­n worden war. Ihre Mutter hatte sie und ihren Bruder tagelang allein gelassen. Damals gingen die Hinweise auf Kindswohlg­efährdunge­n beim Jugendamt sprunghaft nach oben: auf mehr als 300. „Das hat sich wieder normalisie­rt, wenn man in diesem Zusammenha­ng von Normalität sprechen kann“, so Günther.

86 Meldungen sind im vergangene­n Jahr eingegange­n, die sich auf 115 Kinder und Jugendlich­e bezogen. Bei 22 Kindern wurde eine Gefährdung festgestel­lt, tatsächlic­h aus der Familie genommen wurden 15 Kinder. In weiteren 40 Fällen wurde ein Hilfebedar­f festgestel­lt. Und in 43 Prozent ergaben sich keinerlei Hinweise auf Vernachläs­sigung, Misshandlu­ng oder sonstige Gefährdung.

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Vernachläs­sigung ist einer der Gründe, warum Kinder aus ihren Familien genommen werden. Foto: epd/Allgöwer
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FOTO: IW Reinhard Günther

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