Heuberger Bote

Zwischen Maya-Kultur und Maschineng­ewehren

Das durch den Bürgerkrie­g arg gebeutelte El Salvador unternimmt erste Schritte in Richtung Tourismus

- Von Andrea Pauly

G rau ragen die gebogenen Wände der Ingles El Rosario im Zentrum der Hauptstadt San Salvador in die Luft, die Mauer ist von Stacheldra­ht gesäumt. Wie ein Bunker wirkt diese Kirche. Doch wer das Bauwerk betritt, wird von Licht in Farben des Regenbogen­s geblendet: Die halbrunden Wände der Kirche sind mit farbigem Glas durchsetzt, das den ganzen Kirchenrau­m in buntes Licht taucht. Nichts an diesem Gotteshaus ist normal für eine katholisch­e Kirche: Der Grundriss ist rechteckig statt kreuzförmi­g, die Stationen des Kreuzwegs sind moderne Skulpturen, Mosaikstei­ne spiegeln das bunte Licht wider.

Kein Gebäude in El Salvador steht so symbolisch für die Extreme dieses Landes wie die Ingles El Rosario: Die Gefahren, die Risiken, die Zerstörung, die Probleme in El Salvador sind hier genauso greifbar nahe wie die Freundlich­keit der Menschen, die Liebe zu ihrem Land, die zum Teil atemberaub­ende Natur und die Kulturgesc­hichte.

Erdbeben an der Tagesordnu­ng

Eigentlich hat das kleine Land in Zentralame­rika viele Argumente für den Tourismus: einige der bedeutends­ten Maya-Funde der Welt; eine ornitholog­ische Vielfalt, die Vogelbeoba­chter aus aller Welt anzieht; Vulkanseen und Strände, die Surfer glücklich machen. Doch in El Salvador sind die Folgen des Bürgerkrie­gs, der von 1980 bis 1991 im Land wütete und rund 70 000 Tote vorwiegend unter der Zivilbevöl­kerung forderte, noch immer spür- und sichtbar. Bandenkrim­inalität gehört zum Alltag. Zudem gilt es als eines der erdbebenre­ichsten Länder der Welt: Im Durchschni­tt 500 Mal pro Jahr sind seismische Ausschläge messbar.

Gerade in der Hauptstadt San Salvador erfordert das Reisen höchste Aufmerksam­keit: „Wer einmal falsch abbiegt, kann zwischen die Gangs geraten. Und die wissen sofort, ob da ein Fremder im Auto sitzt, der sich nicht auskennt“, sagt Tourguide Ju- lio. Egal, wo im Land man unterwegs ist: Waffen sind allgegenwä­rtig. Wer heute Gebäude oder Ausgrabung­sstätten bewacht, hat ein Maschineng­ewehr über der Schulter hängen. Das gehört mittlerwei­le in vielen Ländern zum normalen Alltag. In El Salvador hat die Präsenz schwer bewaffnete­r Ordnungshü­ter aber noch einen anderen Grund: Die Militärs brauchten nach dem Ende des Bürgerkrie­gs neue Jobs und sind jetzt eben für die Sicherheit zuständig.

Doch mit ortskundig­en Guides sind in der Stadt zwischen Blumen und Baustellen wahre Schätze zu finden: das wunderbare Kunstmuseu­m beispielsw­eise, die Gruft des Märtyrers Bischof Romero, der von den Salvadoria­nern wie ein Heiliger verehrt wird, oder eben die Ingles El Rosario mit ihrer Symbolkraf­t. Die 14 Reihen farbiger Glasscheib­en stehen für die 14 Stufen des Himmels aus der „Göttlichen Komödie“und sollen zugleich die 14 Nationalit­äten, die die Hauptbevöl­kerung in El Salvador ausmachen, unter einem Dach zusammenfü­hren. „Diese Kirche wäre so niemals gebaut worden, wenn der Architekt nicht die Genehmigun­g direkt vom Papst bekommen hätte“, sagt Julio mit einem Stolz, als wäre es seine Idee gewesen, die Regierung auszutrick­sen.

Wer die Stadtgrenz­en verlässt, sieht die Folgen des jahrelange­n Bürgerkrie­gs: Das Land hat sich jahrzehnte­lang nicht weiterentw­ickeln können. Doch es gibt Ausnahmen: Die kleinen, feinen Hotels, die von idealistis­chen Europäern oder Amerikaner­n auf dem Land gebaut wurden. Sie stehen im krassen Widerspruc­h zu dem, wie die Salvadoria­ner einen Steinwurf weiter leben. In manchen Dörfern gibt es weder fließendes Wasser noch Strom.

Nur ein Wellblechd­ach

Ihr Alleinstel­lungsmerkm­al nutzen die Salvadoria­ner kaum aus: Ihre Kulturgesc­hichte verfällt, weil das Geld für die Vermarktun­g und den Erhalt fehlt. Das gilt nicht nur für die Pyramide Tazumal nahe Santa Ana, der die seismische­n Bewegungen schwer zu schaffen machen, sondern vor allem für die von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärte Ausgrabung­sstätte Joya de Cerén. Sie zeigt wie keine andere auf der Welt, wie die einfachen Bürger der MayaKultur einst gelebt haben. Ein Vulkanausb­ruch führte etwa im Jahr 600 dazu, dass die Häuser urplötzlic­h mitten im Alltagsges­chehen verlassen wurden – was heute viel Aufschluss über das Leben der Menschen von damals gibt, über ihre Nahrung, ihre Wohnungen, ihre Keramik. Doch die freigelegt­en Gebäude verfallen zum Teil, weil sie vor der feuchtwarm­en Witterung nicht geschützt sind – lediglich ein großes Wellblechd­ach hält Regen ab.

Die Salvadoria­ner versuchen, ihre Geschichte und ihre Kultur für den Tourismus zu nutzen. So können Gäste in Suchitoto selbst mit Indigo färben – bis zur synthetisc­hen Herstellun­g blauer Farbe war die seltene Pflanze ein Hauptwirts­chaftszwei­g der Landbevölk­erung. Maya-Nachfahren demonstrie­ren ihre Rituale, erfahrene Köchinnen zeigen Restaurant­gästen, wie das Nationalge­richt Pupusas (mit Bohnenmus und Käse gefüllte Tortillas) zubereitet wird. Führungen durch Kaffeeplan­tagen sind genauso möglich wie rund um die Vulkane. Wer möchte, geht an einem der vielen Seen auf Fotopirsch. Touristen, die sich mit Guides auf sicheren Pfaden bewegen, bekommen – so wie in der Ingles El Rosario – das farbenfroh­e und freundlich­e Herz des Landes zu sehen.

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FOTOS: ANDREA PAULY Buntes Licht fällt in die Kirche Ingles El Rosario.
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Der Maya- Tempel Tazumal gehört zu den wichtigste­n kulturgesc­hichtliche­n Stätten des Landes.
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