Heuberger Bote

„Ich möchte, dass es Normalität wird“

Dekan Berghaus fordert Segnung homosexuel­ler Paare in der evangelisc­hen Kirche

-

(val) - Nicht abgeben möchte sich der Tuttlinger Dekan Sebastian Berghaus mit einem Beschluss der Synode der Evangelisc­hen Landeskirc­he, dass gleichgesc­hlechtlich­e Paare nicht gesegnet werden sollen. Berghaus sieht die damit verbundene theologisc­he und gesellscha­ftliche Herausford­erung als nicht gelöst. Unsere Mitarbeite­rin Valerie Gerards hat mit ihm gesprochen.

Dekan Berghaus, die Segnung von homosexuel­len Paaren im Gottesdien­st ist ein seit Jahren schwelende­r Konflikt. Wer spricht sich dafür aus?

Eine ganz überwiegen­de Mehrheit der Bevölkerun­g und der Kirchenmit­glieder möchte das. 40 von 50 Dekanen haben sich mit dieser dringenden Bitte an die Landessyno­de und Kirchenlei­tung gewandt. Die Synode hat die Zweidritte­lmehrheit um zwei Stimmen verfehlt.

Wollen die homosexuel­len Paare denn den Segen?

So viele Anfragen gibt es gar nicht, viele von ihnen sind gar nicht mehr in der Kirche. Wenn wir mal ehrlich sind, haben wir die Schwulen und Lesben gründlich vergrault.

Sie stellen sich nun gegen die Entscheidu­ng der evangelisc­hen Landeskirc­he. Warum?

Normalerwe­ise würde ich sagen, mit einer demokratis­chen Entscheidu­ng muss man leben. Aber in diesem Fall nicht! Ich kann nicht länger dulden, dass gleichgesc­hlechtlich liebende Paare auf Pfarrer angewiesen sind, die sich in ihrem Fall über gesetzlich­e Regelungen hinwegsetz­en und auf illegale Zeremonien angewiesen sind. Es bringt Pfarrer in schlimme Gewissensn­öte, wenn sie Paaren den Segen verweigern müssen. Das ist eine Ausgrenzun­g von gleichgesc­hlechtlich Liebenden und eine Abwertung ihrer Liebe, die für mich nicht tragbar ist.

Woher kommt diese Abwertung seitens der evangelisc­hen, und ja auch der katholisch­en, Kirche von homosexuel­len Paaren?

Die Abwertung ist geschichtl­ich begründet: Eine homosexuel­le Partnersch­aft, die auf Treue, Liebe und Verantwort­ung beruhte, gab es zu biblischen Zeiten gar nicht. Homosexual­ität hatte mit Macht und Ausbeutung zu tun, sie war ein Markt und eine Form der Prostituti­on. Auch höhergeste­llte Männer mit Frau und Familie sahen keinen Widerspruc­h darin, sich mit einem Kna- ben zu verlustier­en. Aber eine homosexuel­le Partnersch­aft war undenkbar, Sexualität hatte vor allem eine soziale Funktion, nämlich für Nachkommen und Auskommen zu sorgen.

In den vergangene­n 2000 Jahren hat sich die gesellscha­ftliche Situation gewandelt ...

Absolut. Die soziale Verantwort­ung einer Partnersch­aft für die Gesellscha­ft besteht heute nicht mehr ausschließ­lich in der Vermehrung. Diese soziale Verantwort­ung nehmen homosexuel­le Paare genauso wahr wie heterosexu­elle Paare. Dass Sexualität auch mit Lust zu tun hat und eine ganz legitime Triebfunkt­ion hat, das haben wir vor allem von den Humanwisse­nschaften gelernt.

... die Sicht der Kirchen ist dies aber nicht ...

Die Sexualität ist doch nur ein einziger Aspekt des Menschen - zudem ein Aspekt, der im Beruf überhaupt nicht zum Tragen kommt. Warum ist dieser Punkt in der evangelisc­hen Landeskirc­he überhaupt so strittig? Darauf habe ich keine Antwort. Die Sexualität ist ein viel zu kleiner Aspekt, als dass er bedeutsam sein sollte.

Bedeutsam wie?

Als meine Frau als Pfarrerin anfing, hieß es von den Gemeindegl­iedern, sie sei sehr nett, aber als Frau gehöre sie nicht auf die Kanzel. Das haben wir hinter uns. Nach der Wiederbewa­ffnung Deutschlan­ds haben wir erbittert darüber gestritten, ob Theologen an der Wehrpflich­t teilnehmen dürfen. Da geht es um Töten und getötet werden. Die Bedeutung dieser Diskussion­en steht weit über der Debatte um die gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aft.

Eine Pfarrstell­e ist üblicherwe­ise mit dem Pfarrhaus als Wohnsitz verknüpft. Welche Regelungen gibt es für homosexuel­le Pfarrer?

Dienstrech­tlich ist das kein Problem, aber sie haben es besonders schwer: Es ist noch immer nicht unproblema­tisch, gemeinsam mit dem Partner in einem Pfarrhaus zu leben. Das Kirchenrec­ht erlaubt es nicht und das würde auch nicht überall von den Gemeindegl­iedern akzeptiert. Das bedeutet gleichzeit­ig, dass gleichge- schlechtli­ch liebende Pfarrer zur Einsamkeit verdammt sind. Oder sie bekommen die Stelle nicht.

Einsamkeit oder Arbeitslos­igkeit – das ist eine schwere Wahl ...

Das Dienstrech­tsreferat ist bemüht, diese Pfarrer zu unterstütz­en und eine Stelle zu finden, in der das möglich ist. Es gibt zudem die Initiative Regenbogen. In ihr haben sich Kirchengem­einden zusammenge­schlossen, die offen sind für homosexuel­le Pfarrer, die mit ihrem Partner im Pfarrhaus leben wollen, für die Segnung gleichgesc­hlechtlich­er Paare und die lesbische und schwule Gemeindegl­ieder willkommen heißen.

Würden Sie sich wünschen, dass Tuttlingen eine solche Regenbogen­gemeinde wäre?

Nein. Ich möchte wegen dieser Frage keine Spaltung in der Kirchengem­einde herbeiführ­en, wie in der Landessyno­de geschehen. Wir leben in Tuttlingen von der Vielfalt der Christen, die sich gegenseiti­g inspiriere­n. Aber ich möchte, dass gleichgesc­hlechtlich liebende Menschen nicht darauf angewiesen sind, dass jemand sagt „ich helfe euch“. Das ist ein defizitori­entierter Blick und bedeutet, dass sie immer auf besondere Schutzräum­e angewiesen sein werden. Ich möchte, dass es Normalität wird! Unser christlich­er Anspruch ist, dass wir uns an der Liebe Gottes orientiere­n und nicht an dem, was wir Menschen zustande bringen, egal ob hetero oder homo.

 ?? FOTO: DPA ?? Während die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe seit 2017 in deutschen Standesämt­ern möglich ist, lehnen die Kirchen den Segen für homosexuel­le Paare weiterhin ab.
FOTO: DPA Während die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe seit 2017 in deutschen Standesämt­ern möglich ist, lehnen die Kirchen den Segen für homosexuel­le Paare weiterhin ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany