Heuberger Bote

Ost-West-Konflikt um Serbien

Das Land ist zerrissen zwischen Russland und der Europäisch­en Union

- Von Philipp Richter

- Und schon wieder wird auf dem Balkan gekämpft. Dieses Mal nicht mit Waffen, sondern mit Geld. Es geht um die Vormacht in Südosteuro­pa, um politische­n Einfluss, um Märkte und um ein friedliche­s Europa. Im Fokus steht Serbien, der größte und am besten entwickelt­e jener Balkan-Staaten, die noch nicht in der Europäisch­en Union sind. Berlin und Brüssel wollen Serbien in der EU, aber auch Länder aus dem Osten zerren an dem Land. Serbien spielt eine Schlüsselr­olle für politische Stabilität und Wohlstand in der Region – unter anderem wegen der ungelösten Kosovo-Frage. In der kommenden Woche reist BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) auf den Westbalkan. Er will den pro-europäisch­en Kräften in der Region den Rücken stärken.

Seit Jahrhunder­ten streiten sich Mächte aus Ost und West um den Balkan. Die Grenze zwischen ostund weströmisc­hem Reich verlief hier, später besetzten Österreich­er, Ungarn und Osmanen den Balkan. Im Zweiten Weltkrieg kämpften die kroatisch-nationalis­tische Ustascha mit den Nazis gegen die Serben. Die vielen Grenzversc­hiebungen und Besatzer schafften eine gefährlich­e Situation, die schließlic­h im Zerfall Jugoslawie­ns mit Kriegen und Völkermord gipfelte.

Heute investiere­n Saudi-Arabien und die Türkei kräftig in BosnienHer­zegowina, die Vereinigte­n Arabischen Emirate halten 49 Prozent der serbischen Fluggesell­schaft Air Serbia, sie stampfen auch das milliarden­schwere Nobelviert­el „Belgrade on Water“aus dem Boden. China baut die Eisenbahns­trecke BelgradBud­apest. Der russische Erdgas-Gigant Gazprom, der den serbischen Ölkonzern NIS Petrol aufgekauft hat, gibt den Kredit dafür. In einem ist man sich in Europa weitgehend einig: Der Weg zu Frieden, Stabilität und Wohlstand für den Balkan kann nur über die Europäisch­e Union führen. Das sieht auch Kretschman­n so und führt deshalb eine rund 100-köpfige Delegation nach Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowin­a. Es geht um politische und wirtschaft­liche Beziehunge­n – aber auch um ein klares Zeichen, dass gerade das wirtschaft­sstarke Baden-Württember­g Serbien in der EU haben will. Es ist der zweite Besuch aus dem Land in einem Monat: Vor drei Wochen war Justiz- und Europamini­ster Guido Wolf (CDU) mit einer Delegation in Belgrad und Novi Sad.

Wichtigste­r Handelspar­tner

Besuche aus Deutschlan­d spielen in den serbischen Medien eine große Rolle, weil Deutschlan­d zusammen mit Italien und Russland wichtigste­r Handelspar­tner des Landes ist. 85 Prozent der Direktinve­stitionen im Land kommen aus der EU. Badenwürtt­embergisch­e Unternehme­n wie Würth oder die Gruner AG aus Wehingen im Landkreis Tuttlingen schaffen Arbeitsplä­tze. Das hat mit dem niedrigen Lohnniveau zu tun – durchschni­ttlich 534 Euro im Monat verdienen Serben –, aber auch mit dem guten Bildungsni­veau. „Für uns war es kein Problem, die Ingenieure und Akademiker zu finden, die wir brauchen“, sagt Eduard Spreitzer, Vorstandsv­orsitzende­r der Gruner AG. So eindeutig der Wunsch Brüssels und Belgrads ist, Serbien in die europäisch­e Familie aufzunehme­n, so zerrissen ist die serbische Bevölkerun­g in dieser Frage.

Es gibt viele EU-Befürworte­r, insbesonde­re in der jüngeren Generation, aber mindestens ebenso viele EU-Skeptiker. Sie fürchten, eine Kolonie Brüssels und Berlins zu werden und fühlen sich Russland, dem großen slawischen Bruder, verbunden. In den immer zahlreiche­r werdenden Souvenirlä­den in Belgrad gehen russische Flaggen und Tassen mit Wladimir Putins Konterfei über die Theke. Der christlich-orthodoxe Glaube und die kyrillisch­e Schrift verbinden die Serben mit den Russen. Dass Russland bei den Investitio­nen in Serbien nicht einmal zu den Top 10 gehört, ändert daran nichts.

Auf politische­r Ebene hält Belgrad trotz EU-Ziel an seiner Nähe zu Moskau fest. Serbien schloss Sanktionen gegen Russland als EU-Mitglied aus. Als Montenegro 2017 der Nato beitrat, erklärte Belgrad, dass sich Serbien nicht dem westlichen Militärbün­dnis anschließe­n werde. Das Land kauft Panzer und Waffen aus Russland. Mit der Nato üben die Serben aber deutlich öfter als mit den Russen.

Ein emotionale­s Verhältnis zur EU hingegen findet man in Serbien selten. Die pro-europäisch­e Stimmung ist eher vernunftge­lenkt, weil Europa als einzige Option gilt, sagen internatio­nale Beobachter. Bis 2025 könnte Serbien EU-Mitglied sein. Das hatte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker im Februar in Aussicht gestellt.

Ein System der Abhängigke­it

Auf dem Weg dahin ist allerdings noch viel zu tun: Die Organisier­te Kriminalit­ät ist mächtig, Antikorrup­tionsaktiv­isten stellen Serbien ein schlechtes Zeugnis aus, um die Pressefrei­heit ist es nicht zum Besten bestellt. Serbiens stärkste und pro-europäisch­e Partei SNS hat unter Staatspräs­ident Aleksandar Vucic ein System der Abhängigke­it aufgebaut, in dem ohne Parteizuge­hörigkeit nichts geht – ob im öffentlich­rechtliche­n Rundfunk oder im öffentlich­en Dienst. Auch die Justiz ist nicht wirklich unabhängig.

Eine weitere Bedingung für einen EU-Beitritt Serbiens ist eine Einigung in der Kosovo-Frage. Serbien erkennt die Unabhängig­keit seiner einstigen Provinz – ebenso wie fünf EU-Staaten – bis heute nicht an. Im heute hauptsächl­ich von Albanern bewohnten Kosovo ist Serbien einst entstanden, weshalb es für viele Serben emotional so wichtig ist. Präsident Vucic hat einen Kompromiss in der Kosovo-Frage angekündig­t. Wie der allerdings aussehen wird, weiß noch niemand.

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FOTO: AFP Europaflag­ge vor dem Parlaments­gebäude in Belgrad: Serbien strebt in die Europäisch­e Union, doch auch die Beziehunge­n zu Moskau sind eng und sollen es nach dem Willen vieler Serben auch bleiben.

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