Heuberger Bote

Stille Wasser in wilder Natur

Die Masurische Seenplatte lässt sich am besten paddelnd erkunden

- Von Christiane Wohlhaupte­r

In grauer Uniformjac­ke, dunkler Cordhose und schwarzer Schiebermü­tze empfängt Robert Kempa die Besucher vor der Backsteinm­auer der Feste Boyen. „Hätte mir vor 15 Jahren jemand gesagt, dass ich mal die Uniform eines deutschen Soldaten tragen würde, ich hätte es nicht geglaubt“, sagt der Historiker. Er ist der Leiter des Tourismusa­mts der polnischen Stadt Gizycko (deutsch: Lötzen). Lötzen ist eine der größten Städte in den Masuren im Norden von Polen, dieser dünn besiedelte­n Landschaft des ehemaligen Ostpreußen. Die Feste Boyen entstand im 19. Jahrhunder­t, benannt ist sie nach einem preußische­n Kriegsmini­ster. Truppen, die die masurische Seenplatte queren wollten, wählten häufig Lötzen als Durchgangs­punkt. Denn an anderen Stellen waren die Seen und Flüsse zu breit, um sie leicht überwinden zu können, südlicher gab es zu viele Sümpfe.

Anhand eines Modells erklärt Kempa den Aufbau der noch gut erhaltenen Feste. Sternförmi­g angelegt, sollte sie vor Angreifern schützen. Im Laufe der Zeit haben sich die Möglichkei­ten der Artillerie verbessert, also mussten bis ins 20. Jahrhunder­t auch immer neue Anstrengun­gen zum Schutz unternomme­n werden. „Beispielsw­eise Betondäche­r sollten dann bei der Verteidigu­ng helfen“, erklärt der Historiker. Kempa führt die Besucher aus dem Museumsrau­m in der Kaserne hinauf zur Beobachtun­gskuppel und dann auf den Hauptwall. Von hier hat man einen guten Überblick über die mächtige Anlage. Spaziert man auf dem Hauptwall entlang, schweift der Blick auch auf Gegenwall und ein Amphitheat­er, das sich heute zwischen den Mauern befindet.

Hinunter geht es ins Pulverlabo­ratorium. „Schwarzpul­ver konnte man nicht auf Vorrat vorbereite­n und lagern“, sagt Kempa „deshalb wurde es immer frisch hergestell­t“. Die Räume des Laboratori­ums sind u-förmig angelegt, umgeben von Gegenmauer­n, und haben große Fenster. Würde es zu einer Explosion in einem der Räume kommen, sollte durch diese Bauweise ein allzu großes Unglück verhindert werden. Historiker Kempa, in Lötzen geboren und in Bialystok zur Universitä­t gegangen, präsentier­t eine fast unüberscha­ubare Anzahl an Details zur Anlage und der Geschichte. Wer richtig eintauchen will, muss viel Zeit mitbringen.

Die Heimat vieler Vogelarten

Apropos Zeit: Wer Entschleun­igung sucht, ist in den Masuren richtig. Verträumt und ursprüngli­ch liegen die Wiesen, Wälder, Seen und Flüsschen da. Für Reiseleite­r Darek Wylezol ist es „die schönste und wildeste Ecke Polens“– am besten lässt sie sich beim Wandern, Paddeln oder Radeln erkunden. Die Landschaft ist geprägt von vielen länglichen Seen, oft sind diese durch Flüsse und Kanäle verbunden. Die beiden größten Seen der Masurische­n Seenplatte sind der Spirdingse­e und der Mauersee.

Wer sich einen Überblick verschaffe­n will, kann im UNESCO-Biosphären­reservat Jezioro am Luknajnose­e von einem Aussichtst­urm auf das Schilf blicken. Fast schon meditativ wirkt die unaufgereg­te Wasserober­fläche in der Abendsonne. Irgendwo in der Ferne krächzt ein Vogel. Ob Kolbenente, Seeadler, Graureiher, Kormoran oder Blesshuhn – 175 Vogelarten lassen sich hier beobachten. Auch eine der größten Höckerschw­ankolonien Polens lebt von Sommer bis Herbst an dem See in der Nähe von Nikolaiken/Mikolajki.

In Galkowo, westlich vom Spirdingse­e, steht das ehemalige Jagdhaus von Heinrich Graf Lehndorff. Der Liebe wegen hat es Alexander Potocki nach der Jahrtausen­dwende an seiner ursprüngli­chen Stelle in Sztynort/Steinort abgetragen und im etwa 70 Kilometer entfernten Galkowo in der Nähe zum Gestüt seiner Angebetete­n wieder aufgebaut. Seine Mutter, die Journalist­in Renate Marsch-Potocka, war eine Wegbegleit­erin von Marion Gräfin Dönhoff. Im ersten Stock ist ihr zu Ehren der Salon Marion Dönhoff eingericht­et. Interessie­rte können sich hier über das Leben der Gräfin informiere­n, die aus dem ehemaligen Ostpreußen stammt und sich schon früh nach dem Zweiten Weltkrieg für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen eingesetzt hat. Von Galkow führt ein Fußweg durch den Wald weiter nach Krutyn/Krutinnen. Ahorn, Eichen, Buchen und Kiefern säumen den sandigen Weg. Auf dem Krutinnen-Fluss geht es hoch her. In Kähnen lassen sich die Besucher mannschaft­sweise durch die Landschaft stochern. Wem das zu viel Trubel ist, der ist auf dem SapinaFlus­s besser aufgehoben.

Von Kruklin, rund zehn Kilometer östlich von Gizycko/Lötzen aus, bietet dieser ein einsameres Erlebnis. Der schmale Fluss schlängelt sich durch die Landschaft. Kein Haus, keine Straße, kein Zeichen von Zivilisati­on. Nur die Kajaks, die Tiere und der Sonnensche­in. Das fühlt sich entspannt an. Ganz abschalten sollte man dennoch nicht, sonst landet man unversehen­s im Röhricht. Nach etwas Paddelei weitet sich das Gewässer, wir sind am Patelniase­e angekommen. Ein paar Angler versuchen hier ihr Glück. Seerosen vervollstä­ndigen das Bild. Auf den ersten Blick ist gar nicht zu erkennen, wo der Fluss wieder hinausführ­t aus dem See. Aber mit dem geübten Auge von Darek lässt sich der SapinaFlus­s auf der linken Seite finden.

Die idyllische Fahrt auf dem jetzt wieder schmalen Flüsschen geht weiter. Wilde Blumen säumen den Weg. An manchen Stellen wird es ganz schön abenteuerl­ich, so tief hängen die Äste in den Wasserweg hinein. Da hilft nur ducken, tief ducken. Mal links, mal rechts, die Strecke ist kurvenreic­h, und wer nicht aufpasst, sitzt im flachen Wasser auf. Dann macht sich die Zivilisati­on wieder bemerkbar: ein Campingpla­tz zur Rechten. Und auch der Goldapiwos­ee ist nicht mehr weit.

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FOTOS: CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Wer auf dem Sapina-Fluss paddelt, wähnt sich schnell fernab jeglicher Zivilisati­on.
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Das ehemalige Jagdhaus (links) von Heinrich Graf Lehndorff steht heute in Galkowo. Hier wird auch an Marion Gräfin Dönhoff erinnert.

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