Heuberger Bote

„Ein symbolisch­er Akt, der uns nicht weiterhilf­t“

Nach dem Militärsch­lag in Syrien fordert Roderich Kiesewette­r (CDU) eine Strategie, um Stabilität zu schaffen

- FOTO: RASEMANN

- Der Bundestags­abgeordnet­e Roderich Kiesewette­r, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtige­n Ausschuss, wertet den Militärsch­lag in Syrien als „Zeichen der Strategiel­osigkeit“. Im Gespräch mit Claudia Kling fordert er, „unter Einbindung Russlands Stabilität im Nahen und Mittleren Osten zu schaffen“.

Wie wird Russland auf den Militärsch­lag in Syrien reagieren?

Der Angriff dürfte Putin sicherlich dafür sensibilis­ieren, dass westliche Staaten es nicht hinnehmen, wenn Russland den Einsatz von Chemiewaff­en durch den syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstütz­t. Aber letztlich ist er ein symbolisch­er Akt, der uns nicht weiterhilf­t.

Welches Ziel haben die USA mit diesem Angriff verfolgt?

Der Einsatz ist ein Zeichen der Strategiel­osigkeit. Vor zwei Wochen hat US-Präsident Donald Trump angekündig­t, seine Streitkräf­te aus Syrien abzuziehen, und eine Woche später drohte er mit dem Militärsch­lag, den er jetzt auch verwirklic­ht hat. In Syrien ist bereits mehr als 80-mal gegen das weltweite Verbot von Chemiewaff­en verstoßen worden. Aber nun hat es der Westen plötzlich sehr eilig und wartet nicht einmal das Ergebnis der Untersuchu­ng der OPCW, der Organisati­on zur Überprüfun­g des Chemiewaff­enabkommen­s, ab. Was mir fehlt, ist eine Strategie des Westens, wie wir nicht gegen Russland, sondern unter Einbindung Russlands Stabilität im Nahen und Mittleren Osten schaffen können. Wenn wir diese Strategie nicht entwickeln, droht die Gefahr, dass sich um Europa herum viele neue Konfliktzo­nen entwickeln werden. Roderich Kiesewette­r (CDU)

Russland wirft den USA vor, der Angriff sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem Syrien eine „Chance auf eine friedliche Zukunft“gehabt hätte. Was meint Russland damit?

Aus meiner Sicht ist es eine sehr zynische Beobachtun­g, von einer Chance auf Frieden zu sprechen. Denn das, was Russland macht, führt nur zur Wiederinst­allierung von Assad. In den vergangene­n sechs Jahren sind zwischen 13 und 14 Millionen Syrer aus ihrer Heimat vertrieben worden, mehr als sechs Millionen außerhalb Syriens, und sieben Millionen innerhalb Syriens. Es leben nur noch acht Millionen Syrer an ihren angestammt­en Plätzen. Einen Fortschrit­t für den Frieden kann ich darin nicht erkennen. Wenn dann auch noch Chemiewaff­en eingesetzt werden, dann ist das nicht nur zynisch, sondern auch kriminell und völkerrech­tswidrig – ein ganz schweres Verbrechen. Russland versteht offensicht­lich unter Friedensfo­rtschritt, Aufständis­che gegen das System Assad systematis­ch zu töten. Das ist nicht der Frieden, den die Vereinten Nationen und die freien Völker wollen.

Die USA und Russland behaupten beide, Beweise für ihre Anschuldig­ungen zu haben. Was belegen diese Beweise?

Von den rund 85 festgestel­lten Chemiewaff­eneinsätze­n in Syrien sind mehr als zwei Drittel zweifelsfr­ei dem syrischen Regime zugeordnet. Das andere Drittel ist großteils Rebellengr­uppen zuzuordnen, die auch alle Zugriff auf Chemiewaff­en haben. Das heißt, auch wenn derzeit noch keine öffentlich­en Beweise vorliegen, die belegen, dass Assad für den vergangene­n Angriff in Duma verantwort­lich ist, muss sich Putin fragen lassen, wieso er Chemiewaff­eneinsätze deckt. 2014 war Russland an der Erklärung, dass Syrien alle Chemiewaff­en vernichtet hat, beteiligt. Da ist die Weltgemein­schaft offensicht­lich belogen worden.

In den vergangene­n Tagen fiel schon mehrfach der Begriff Weltkrieg. Wie groß ist das Risiko einer weiteren Eskalation im amerikanis­ch-russischen Verhältnis?

Das halte ich für absolut gering. Das ist unnötige Panikmache. Die beiden Staaten haben über die Jahrzehnte so viele Konfliktlö­sungsmecha­nismen entwickelt, dass das eher der politische­n Rhetorik zuzurechne­n ist. Ich sehe uns nicht vor einem dritten Weltkrieg oder auf dem Weg dorthin.

Schlägt jetzt nach der Eskalation wieder die Stunde der Diplomatie?

Ich bin da sehr skeptisch. Solange die entscheide­nden Akteure, Russland und Iran, kein Interesse an weiteren Friedensve­rhandlunge­n in Genf unter dem Dach der Vereinten Nationen haben, sind die Europäer zu Zuschauern degradiert. Und die USA verhalten sich weder strategisc­h noch suchen sie den Schultersc­hluss mit Europa. Das Schlimme ist ja, dass wir keine Antwort auf die millionenf­ache Vertreibun­g von Syrern und deren hunderttau­sendfache Ermordung haben.

Großbritan­nien und Frankreich haben sich an dem Angriff beteiligt, Deutschlan­d nicht. Ist das ein Zeichen für die Uneinigkei­t in der Europäisch­en Union – oder war dies alles abgestimmt?

Es ist ein Armutszeug­nis für Europa, dass zwei Mitglieder des Weltsicher­heitsrates sich beteiligt haben. Deutschlan­d hat im Nachhinein, um den Westen politisch nicht weiter zu spalten, den Militärsch­lag gutgeheiße­n, zuvor aber eine Beteiligun­g abgelehnt. Das Ganze zeigt, dass die Europäisch­e Union in diesen Fragen immer noch ein völlig unbedeuten­der Akteur ist und die Mitgliedss­taaten mit nicht abgestimmt­en Aktionen das Vertrauen der Menschen in die EU gefährden. Aber abgesehen davon wäre es auch von Deutschlan­d ehrlicher gewesen zu sagen, die Bundeswehr ist überhaupt nicht in der Lage, solche Einsätze zu unterstütz­en.

Warum engagiert sich Deutschlan­d nicht stärker für eine diplomatis­che Lösung in Syrien? Schon wegen der vielen syrischen Flüchtling­e müsste die Regierung doch ein starkes Interesse daran haben?

Aufgabe Deutschlan­ds ist es, gemeinsam mit Frankreich und Italien eine europäisch­e Position zu erarbeiten und dann eine Strategie zu entwickeln, wie wir die Genfer Beschlüsse umsetzen können. Das würde bedeuten, eine Übergangsr­egierung in Syrien unter UN-Verwaltung einzusetze­n, die dann freie Wahlen vorbereite­n könnte. Das muss das Ziel sein, da kann Deutschlan­d diplomatis­ch einiges leisten. Zudem könnte Deutschlan­d gemeinsam mit Europa dafür sorgen, dass die Frage einer Schutzzone für Flüchtling­e in Syrien und in den angrenzend­en Gebieten wieder auf die Tagesordnu­ng der Vereinten Nationen kommt.

Was meinte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit dem Satz „Einfach gar nichts zu tun, ist auch schwierig“in einer Reaktion auf den Chemiewaff­eneinsatz in Duma?

Das zeigt die Ratlosigke­it und Strategiel­osigkeit unserer Haltung. Auf der einen Seite, wollen wir dort militärisc­h aus guten Gründen nicht eingreifen, auf der anderen Seite heißen wir militärisc­he Einsätze anderer gut. Gleichzeit­ig tragen Deutschlan­d und Europa aber auch die Folgen des Konflikts, indem wir Hunderttau­sende syrische Flüchtling­e aufgenomme­n haben.

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FOTO: DPA Rauch steigt auf über dem Forschungs­zentrum in Barsah, das bei Angriffen der USA, Großbritan­nien und Frankreich stark beschädigt wurde.
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