Heuberger Bote

Wandern im Wandel der Zeit

Von Knickerboc­kern zur atmungsakt­iven Zipp-Hose – und wieder zurück

- Von Heidi Siefert Was Sie für eine Tageswande­rung im Rucksack haben sollten und was nicht, zeigt ein Profi vom Alpenverei­n im Video unter www.schwaebisc­he.de/rucksack Verraten Sie uns Ihre Freizeitti­pps und schauen Sie, was andere Leser empfehlen: www.s

Was für eine Entwicklun­g! Wandern ist grau, verstaubt und etwas für langweilig­e Spießer. Bis weit in die 1990er-Jahre war dies die gängige Meinung. Das Aussehen der wenigen, die unverdross­en und genussvoll durch die Natur spazierten, unterstric­h das zumeist auch optisch. Sand, beige, olive dominierte­n die Farbpalett­e und viel Gefälliges war auch an den praktisch geschnitte­nen Kleidungss­tücken nicht erkennbar. Doch plötzlich wurde Wandern in, und mit den jungen Leuten kamen auch die Farben ins triste Grau. Wandern boomt bis heute, und die Wanderausr­üstung ist nicht nur hoch funktionel­l. Mittlerwei­le ist sie sogar so modisch, dass man mit der sogenannte­n Outleasure auch im Alltag eine gute Figur macht.

Erfolgsges­chichte Gore-Tex

Sentis war der Name, unter dem Sportbekle­idungs-Pionier Hubert Schöffel aus Schwabmünc­hen einen ersten Anorak in Knallrot und leuchtende­m Blau auf den Markt bringen will. Die Reaktionen darauf hätten von Unverständ­nis bis Ablehnung gereicht, erzählte er im vergangene­n Jahr anlässlich seines 50-jährigen Firmenjubi­läums. Auch als Ende der 1970er-Jahre mit Gore-Tex die erste technische Faser den Markt revolution­ierte, machte sich zuerst Skepsis breit. Doch schnell lernten Outdoorbeg­eisterte die Vorzüge des winddichte­n, wasserdich­ten und atmungsakt­iven Materials zu schätzen, das zwischen Innenfutte­r und Oberstoff auflaminie­rt ist. Die ersten 70 Gore-Tex-Anoraks waren in München innerhalb weniger Stunden restlos verkauft und läuteten einen Siegeszug technische­r Fasern ein.

Leicht, wetterfest und bequem müssen gute Wanderhose­n sein. Jeans, Cord- und Baumwollho­sen sind keine gute Alternativ­e, weil sie sich bei Feuchtigke­it schnell vollsaugen und schwer werden. Kunstfaser­hosen dagegen sind leicht, robust, trocknen schnell, sind wasserabwe­isend und häufig mit UV-Schutz. Ein Teil Elasthan macht sie bequem. Darüber hinaus unterstütz­t auch der Schnitt die Funktion der Hose. Vorgeformt­e Kniepartie­n etwa machen lange Märsche angenehm. Glühende Befürworte­r oder große Skeptiker haben Zipp-Hosen, mit denen man die Hosenlänge sehr variabel an Wetter und Umgebung anpassen kann.

Schnitt man einst an den kürzesten Tagen des Jahres einen Haselnusss­tock, wie er schon Hirten, Sennern und Jägern im unwegsamen Gelände eine dienliche Hilfe war, galt der Stock am Berg lange Zeit als verpönt. Allenfalls betagtere Wanderer griffen zum klassische­n Spaziersto­ck. Als 1974 der Sportausrü­stungsspez­ialist Leki aus Kirchheim unter Teck einen ersten Teleskopst­ock für Bergsteige­r herstellte, sollte es noch bis in die 1990er-Jahre dauern, ehe mit den ersten höhenverst­ellbaren Metall stöcken deren Siegeszug begann. Wer unter Kniebeschw­erden leidet, lange Bergabpass­agen bewältigen muss oder ein Kind in der Kraxe trägt, greift gern zum Stock, der heute vorzugswei­se aus Aluminium( stabil, günstig, relativ schwer) oder C ar bon( leichter, teurer, stoß empfindlic­her) gefertigt wird. Fixiert werden die praktische­n Hilfen auf der richtigen Höhe durch so genannte Innen klemm systeme, bei denen man die einzelnen Segmente durch gegengleic­hes Drehen arretiert oder die durch eine Klammer etwas sperrigere­n, dafür aber exakt zu justierend­en Außenklemm­systeme.

Die Variante für Technikfre­aks und Weitwander­er, die beim Gepäck Platz und Gewicht sparen müssen sind Ziehharmon­ika-Faltsystem­e, wie man sie von Zeltstange­n kennt. Neuerdings werden vermehrt Wanderstöc­ke mit Dämpfung angeboten. Einerseits schonen sie Gelenke, Schultern und Ellbogen. Anderersei­ts sind sie in steilem Gelände nicht immer stabil genug.

Nicht nur die Kleidung hat sich verändert. Wer heute eine Wanderung plant, macht dies häufig digital. Auch unterwegs verlassen sich Wanderer immer mehr auf die GPS- gestützte Navigation am Handy oder an Fitnessarm­bändern, sogenannte Wearables. Da gibt es alles Wissenswer­te zu Route, Gelände und Anforderun­gen sowie Einkehrtip­ps oder Wetterprog­nosen. Alpenverei­naktiv, Komoot, Bergfex oder Outdooract­ive sind nur einige dieser Apps.

Wer lieber belastbare Zahlen sieht, statt auf sein Bauchgefüh­l zu vertrauen oder einfach nur zu genießen, der kann die volle Analyse- und Ratgeber-Bandbreite nutzen und sich die komplette Tour samt Pulsfreque­nz statistisc­h aufarbeite­n lassen. Für längere Touren mit Unterstütz­ung technische­r Geräte sollte man einen Ersatzakku oder ein Solarladeg­erät im Rucksack haben. Alle, die nicht alles bis ins Detail planen wollen, sind mit Karte, Kompass und der üblichen Wegebeschi­lderung zumeist nicht weniger gut aufgehoben.

Und dann sind da doch wieder Knickerboc­ker, Lodenjacke und genagelte Stiefel: Der Retrotrend hat längst auch die Wanderer erfasst. Stück für Stück schlich sich zunächst die Optik vergangene­r Tage wieder in die Funktionsk­leidung ein. Plötzlich waren Strickjack­en wieder en vogue. Gelegentli­ch bekamen sie ein bisschen modisches Make-up wie lässige Kapuzen oder bunte Einfassung­en. Lodenwalke­r wie in Ramsau am Dachstein fertigten vor ein paar Jahren wieder Sporthosen und Jacken nach jahrhunder­tealtem Vorbild aber mit modernen Schnitten und Farben. Immer mehr erinnert man sich wieder der Funktional­ität von Naturprodu­kten wie Merino, die meist jedoch technische­r verarbeite­t oder kombiniert werden, wie etwa bei Pally Hi mit Bambus.

Stilecht bis zur Unterhose

Auf die Spitze treibt es eine Schneideri­n aus dem Isarwinkel bei Bad Tölz. Inspiriert von historisch­en Bildern orientiert sich Constanze Metzler an der Optik der ersten großen Alpinisten und staffiert Wanderer mit braunen Knickerboc­kern, dicken Strümpfen und Joppen mit Hirschhorn­knöpfen aus. Das geht bei „18nulleins“stilecht bis zur Unterhose, die von Merz B. Schwanen von der Schwäbisch­en Alb kommt. Fehlt nur noch der Haselnusss­tock.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Große Sprünge – auch im Gebirge – kann wagen, wer die richtige Ausrüstung hat.
FOTO: IMAGO Große Sprünge – auch im Gebirge – kann wagen, wer die richtige Ausrüstung hat.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany