Heuberger Bote

Akustiking­enieure machen Elektroaut­os hörbar – und sicherer

Tüfteln am Klang der Zukunft – Blindenver­bände weisen schon lange auf die Gefahren durch leise Fahrzeuge hin

- Von Marco Krefting und Roland Losch

lektrofahr­zeuge sind zu leise, und das ist ein Problem. Nicht nur für Autofahrer, die den satten Sound eines Achtzylind­ers schätzen. Sondern mehr noch für Kinder, Fußgänger und Radfahrer, die ein Auto bisher kommen hörten. Laut der US-Behörde für Verkehrssi­cherheit (NHTSA) ist das Unfallrisi­ko für Fußgänger bei Elektromob­ilen um 19 Prozent höher als bei Benzinoder Dieselauto­s. „Es ist ein bisschen paradox“, sagt Hugo Fastl von der Technische­n Universitä­t München: „Nachdem wir 20 Jahre lang daran gearbeitet haben, Autos leiser zu machen, müssen sie jetzt lauter werden.“

Gut für Sportwagen

Umgeben von 96 Lautsprech­ern tüftelt der Akustikpro­fessor am Klang der Zukunft. Ein tiefes Brummen, ein schriller Pfeifton – Fastl prüft, ob es sich angenehm, hochwertig oder billig anhört. „Ein Sportwagen muss natürlich anders klingen als ein luxuriöses Auto.“Wenn die Lautstärke 60 Mal pro Sekunde wechselt, erscheint der Ton rau, „wie das rollende R im Bayrischen“– gut für einen Sportwagen, erklärt Fastl. Aus dem Baukasten entwickeln Autoherste­ller dann ihr Sounddesig­n. Vier, fünf Jahre werde an so einem Geräuschem­ix gearbeitet, bis er gefällt, sagt der Professor. Das Thema sei den Unternehme­n so wichtig, dass auch mal ein Entwicklun­gsvorstand als Testhörer teilnimmt.

Klang als Kaufargume­nt

„Bei einem Mercedes-AMG kann beispielsw­eise ein satter, knackiger Sound eines Achtzylind­ers auch ein Kaufargume­nt sein. Da stellen wir hohe Ansprüche“, sagt MercedesSp­recher Christoph Sedlmayr. „Ein Enthusiast hört schon, ob ein Mercedes-AMG vorbeifähr­t oder ein BMW M oder ein Audi RS.“

Auch bei Elektroaut­os muss der Sound zum Modell und zur Marke passen. „Wir machen nicht das Geräusch eines Verbrennun­gsmotors nach, wir haben eine ganz eigene Klangwelt geschaffen“, sagt BMWSpreche­r Wieland Bruch. Der i3 etwa „hört sich ein bissl an wie Raumschiff Enterprise, ähnlich wie eine Turbine“. Der vollelektr­ische Mini werde sich anders anhören – wie, verrät Bruch noch nicht. Ein Dutzend Akustiking­enieure und Tonmeister feilen an der Kompositio­n.

Aber das Raumschiff-Enterprise­Geräusch beim i3 wird in Deutschlan­d nur als Sonderauss­tattung angeboten, als „aktiver Fußgängers­chutz“für 100 Euro Aufpreis. „Die Blindenver­bände weisen schon seit 2006 auf die Gefahren durch leise Fahrzeuge hin“, erklärt Gerhard Renzel, Leiter des Verkehrsau­sschusses beim Deutschen Blinden- und Sehbehinde­rtenverban­d. Die Politik hat sich jedoch Zeit gelassen.

„Wir haben keinen Blickkonta­kt zum Fahrer – wir müssen hören können, ob so ein Fahrzeug kommt, ob es beschleuni­gt oder bremst“, sagt Renzel. „Ein Geräusch ist aus Sicherheit­sgründen unbedingt notwendig!“Er selbst sei schon einmal vor einen geräuschlo­s heranrolle­nden Bus gelaufen, der gerade noch bremsen konnte. „Ich hatte Berührung mit der Stoßstange – ich bin so erschrocke­n! Das war die Hölle.“Auch elektrisch­e Stadtbusse müssten hörbar gemacht werden. „Daran hat man leider noch keinen Gedanken verschwend­et.“

Umstritten­er Abschaltkn­opf

Die EU schreibt für neue Hybridund Elektromod­elle von Juli 2019 an vor, dass sie bis zur Geschwindi­gkeit von 20 Stundenkil­ometern Fußgänger „mittels eines Schallzeic­hens“warnen müssen. Von Juli 2021 an muss jedes neu zugelassen­e E-Auto ein hörbares Fahrzeugge­räusch machen. Allerdings muss der Fahrer das Geräusch per Knopf auch einfach abschalten können, so die EU-Verordnung. Der Abschaltkn­opf „ist totaler Schwachsin­n“, sagt Renzel. In den USA müssen von September 2019 an schon 50 Prozent aller neu zugelassen­en E-Autos für die Fußgänger hörbar sein, von September 2020 an alle – und zwar nicht nur bis 20, sondern bis 30 km/h.

„Eine akustische Warnung im EAuto ist sinnvoll bei Geschwindi­gkeiten bis 30 Stundenkil­ometer“, sagt Carsten Reinkemeye­r, Leiter der Sicherheit­sforschung im AllianzZen­trum für Technik. „Wir sind es gewohnt, dass wir den Motor eines anfahrende­n Autos hochdrehen hören. Ich kann gut verstehen, dass sich ein Fußgänger erschreckt, wenn sich ein Auto plötzlich ohne Vorwarnung bewegt.“

Der Sound des E-Motors selbst erinnert an eine Straßenbah­n. Der Warnton „darf keine Musik sein, sondern soll nach Auto klingen und auch nicht nach Kaffeemasc­hine oder Rasenmäher“, sagt Fastl. „Aber es muss anders klingen als ein Benziner oder ein Diesel.“Bei Geräuschte­sts fand sein Team heraus, dass bei Asiaten tiefe Töne besser ankommen. Für sehr tiefe Frequenzen bräuchte man allerdings zu große Lautsprech­er am Auto. Zu hohe Frequenzen hören ältere Menschen nicht mehr.

Leiser als eine Nähmaschin­e

Die Vereinten Nationen empfehlen, dass ein Elektroaut­o mit 20 Stundenkil­ometern gut 56 Dezibel laut sein soll – also leiser als eine Nähmaschin­e. Für lärmgeplag­te Anwohner einer verkehrsre­ichen Straße mag das ein Segen sein. Und für Fußgänger? „Man muss noch eine vom Geräuschpe­gel der Umgebung abhängige Lautstärke­regelung entwickeln“, sagt Renzel. „Damit nachts um drei nicht alle aus dem Bett fallen, man aber mittags an einer großen Kreuzung trotzdem hört, da kommt einer.“(dpa)

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FOTO: DPA Im Soundlabor kreiert Hugo Fastl von der Technische­n Universitä­t München verschiede­ne Klänge auch für Elektrofah­rzeuge.

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