Rentner zahlen doppelt Steuern
Chemiegewerkschaft fordert Änderungen bei betrieblicher Altersversorgung
HANNOVER (dpa) - Betriebsrentner erwartet zu Beginn des Ruhestands eine unangenehme Überraschung. Denn zu zahlen sind 19 Prozent Steuern, etwa auf Kapitallebensversicherungen. Von 50 000 Euro bleiben am Ende nur 40 500 Euro. Diese Regelung gilt seit 2004, als wegen der Finanzkrise die Sozialkassen leer waren. Nun sind diese allerdings wieder gut gefüllt, weshalb „mit der DoppelAbzocke von Millionen Betriebsrentnern endlich Schluss sein muss“, fordert Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.
HANNOVER/BERLIN - „Mit der Doppel-Abzocke von Millionen Betriebsrentnern muss endlich Schluss sein.“Das fordert Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) angesichts der aktuellen Debatte um den Abbau hoher Finanzrücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch bei einer Anhörung im Bundestag sprach sich jetzt erneut eine Mehrheit der Experten dafür aus, Betriebsrenten nicht länger mit dem doppelten Beitrag für Kranken- und Pflegeversicherung zu belasten: Diese Abgaben werden fällig beim Ansparen dieser Altersversorgung und bei deren Auszahlung im Alter. Dies ist den allermeisten Arbeitnehmern unbekannt, berichten Sozialverbände, und sorgt beim Start ins Rentnerleben für unangenehme Überraschungen und Ärger. Denn zu zahlen sind 19 Prozent, etwa auf Kapitallebensversicherungen. Von ausgezahlt 50 000 Euro bleiben dem Ruheständler am Ende nur 40 500 Euro fürs Alter.
Vassiliadis sagte der „Schwäbischen Zeitung“, „die unverhältnismäßig hohen Sozialbeiträge in der privaten Altersvorsorge müssen abgeschafft werden. Kaum ein sozialpolitisches Vorhaben hat die Menschen derart gegen die Politik aufgebracht wie die Einführung des vollen Beitragssatzes auf ausgezahlte Betriebsrenten im Jahr 2004.“Zuvor war lediglich – wie in der gesetzlichen Rente – der halbe Beitragssatz fällig, auch bei Direktversicherungen. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) änderte dies wegen der Finanzmisere der Krankenkassen und begründete die Belastung der Rentner damit, dass diese nur noch 43 Prozent ihrer Gesundheitskosten finanzierten.
Der IBCE-Chef fordert, analog dem Doppelbesteuerungsverbot im Steuerrecht die Doppelverbeitragung komplett abzuschaffen. Mindestens aber zum halben Beitrag wie vor 2004 zurückzukehren. „Die gute Finanzlage bei den Krankenkassen bietet die Chance, offensichtliche Ungerechtigkeiten in der Sozialgesetzgebung abzustellen und gleichzeitig das Vertrauen der Bürger in die betriebliche und private Altersvorsorge wiederherzustellen.“
Kosten verkraftbar
Die Kosten von 2,4 Milliarden Euro seien bei Rücklagen von 20 Milliarden Euro verkraftbar. Betroffen sind nach Angaben des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten in der Bundestags-Anhörung rund sieben Millionen Arbeitnehmer.
Vassiliadis kritisiert in diesem Zusammenhang heftig den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), weil dieser Krankenkassen mit besonders hohen Rücklagen zwingen will, ihre Zusatzbeiträge zu senken. „Hier sollen die Arbeitgeber in der rechten Tasche dafür entschädigt werden, dass sie aus der linken Tasche die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren müssen.“Die Auswirkungen für die Arbeitnehmer seien „marginal“. Weit mehr geholfen sei „ihnen und der gesamten Volkswirtschaft mit einer Entlastung der Betriebsrentner“.
Auf die konnten sich CDU/CSU und SPD weder in der letzten Legislaturperiode noch in den Verhandlungen zum neuen Koalitionsvertrag verständigen. Ralf Kapschack, SPDRentenexperte, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, seine Fraktion wolle zum halben Beitrag zurückkehren. Er sei aber „nicht sehr zuversichtlich“, dass die Union mitziehe. Er verstehe hier den Koalitionspartner nicht, stellt der Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen fest. Man müsse „dringend etwas machen“, damit Betriebsrenten attraktiver würden.
Gleichwohl wird die SPD im Juni im Bundestag nicht für einen entsprechenden Antrag der Linken stimmen. Aus Koalitionsdisziplin. Dabei stand der halbe Beitrag einmal in einer frühen Fassung des Koalitionsvertrages, berichtet Mattias Birkwald, Rentenexperte der Linkspartei. Der Kölner Abgeordnete weist zudem darauf hin, dass Union und SPD im Wahlkampf versprochen hätten, zum halben Beitrag zurückzukehren. Die jetzige Regelung werde „von den Betroffenen als kalte Enteignung wahrgenommen“. Die Linke rügt in ihrem Antrag: „Die Betroffenen werden um einen Teil ihrer Alterssicherung gebracht.“