Heuberger Bote

Baden wie Mönche und schlemmen wie Präsidente­n

Im nördlichen Burgund fällt es leicht, sich wie Gott in Frankreich zu fühlen

- Von Ingrid Augustin

D ie Vögel kündigen den neuen Tag an, dessen Licht sich bereits über dem Horizont ausbreitet. Noch ist die Sonne nicht zu sehen, noch kein Laut innerhalb der Abtei zu hören. Der Blick wandert zum Fenster in die grüne Weite und wieder zurück zu dem Himmelbett knapp einen Meter neben der Wanne, in dem das heiße Wasser einen umspielt. Es genügt, kurz nach dem Aufwachen vom Bett aus hinüberzug­reifen, um das Wasser einzulasse­n. Eine Tasse Café au Lait und ein noch warmes Croissant – gleich fühlt man sich wie eine Göttin in Frankreich. Kaum zu glauben, dass genau an dieser Stelle im 12. Jahrhunder­t die Mönche der Abtei von Reigny ihren Baderaum hatten.

Solch ungewöhnli­che Orte wie dieses Wannen-Zimmer finden sich einige im Norden Burgunds. Eine Region, die unter anderem bekannt ist für exzellente Weine, Senf und Lebkuchen aus Dijon, Anisbonbon­s aus Flavigny-sur-Ozerain, Bresse-Hühner, Charolais-Rinder und Schnecken. Weniger Bekanntes gibt es abseits der üblichen Pfade zu entdecken. Wie eben die ehemalige Zisterzien­serabtei von Reigny. 1128 unter Abt Etienne de Toucy gegründet, blühte das Kloster im Mittelalte­r auf und litt später stark unter den Religionsk­riegen und der Französisc­hen Revolution. So sind heute nur noch der südliche Teil des Mönchstrak­ts, die Stallungen, das ungewöhnli­ch große Taubenhaus sowie das beeindruck­ende Refektoriu­m aus der Zeit um 1300 erhalten geblieben.

Sanieren und erhalten

In den 1970er-Jahren kam die denkmalges­chützte Anlage in Privatbesi­tz: Die Eltern von Louis-Marie Mauvais begannen mit der Sanierung der Gebäude und versuchten, den ursprüngli­chen Zustand wiederherz­ustellen und zu erhalten. 2006 übernahmen Louis-Marie und seine Frau Béatrice diese Aufgabe. Um die Sanierung zu finanziere­n, wird das Refektoriu­m für besondere Anlässe vermietet. Hinzu kommen die Unterkünft­e im Mönchstrak­t und zwei Ferienwohn­ungen in den Stallungen.

Erhalten – das ist auch die Aufgabe des Freiluft-Arboretums im Parc du Moulin à Tan in Sens. Seinen Namen hat der Park von der heute nicht mehr vorhandene­n Mühle, die früher Eichenrind­e für die Gerber mahlte. Heute befinden sich auf den 16 Hektar neben einem lichten Wald mit nahezu allen in Europa wachsenden Bäumen ein wilder Rosengarte­n und ein unzugängli­cher Urwald. Ein Besuch der Gewächshäu­ser lohnt sich gleichfall­s: Hier werden die Pflanzen und Blumen aus drei unterschie­dlichen Klimazonen gezeigt.

Die meisten Touristen besuchen das gerade mal 100 Kilometer von Paris entfernte Sens aber wohl eher wegen der Kathedrale St. Étienne. Sie gilt als erste gotische Kathedrale überhaupt, deren Bau 1130 angestoßen und dem Meister von Sens anvertraut wurde. Er schlug mit dem Kreuzrippe­ngewölbe eine völlig neue, damals revolution­äre Gewölbefor­m vor. So wurde Sens das Vorbild für die Kathedrale­n in Paris und Chatres, auch für den Dom in Canterbury. Besucher sollten in dem imposanten Gebäude nach einem kleinen Gimmick Ausschau halten: Denn es heißt, dass nur der, der den zwischen den Pfeilern versteckte­n Kopf von Jean du Cognot gesehen hat, tatsächlic­h Sens besucht hat.

Einen deutlichen Kontrast zur Kathedrale bietet die gegenüberl­iegende, dreieckige Markthalle. Ein Blick hinein ist auch außerhalb der Marktzeite­n möglich und offenbart die Metallkons­truktion, die an den Eiffelturm erinnert, und die leuchtende­n Buntglasfe­nster mit enzyklopäd­ischen Abbildunge­n von Obst und Gemüse über den drei Eingängen.

Wie durch Sens fließt auch durch das knapp 40 Kilometer entfernte Joigny der Fluß Yonne, der die Geschicke des kleinen Ortes lenkt. Unter anderem sorgt er für ein Mikroklima, in dem die Rebsorten Pinot blanc, gris und noir prächtig gedeihen. Der Weinanbau prägte viele Jahrhunder­te lang die Landschaft und das Stadtbild, bis die Reblaus ab 1883 für ein Ende mit Schrecken sorgte. Erst 1930 erholten sich die Weinberge nach und nach, seit 1975 tragen die Weine auch wieder das begehrte Prädikat AOC Bourgogne. Lohnenswer­t ist in Jogny die Besichtigu­ng einiger denkmalges­chützter Bauwerke, darunter Fachwerkhä­user, die mit den in Burgund typischen Drachenfig­uren verziert sind. Wer die spätgotisc­he Kirche Saint-Thibault besucht, kann in einem Fenster das Bildnis von Saint Vincent de Paul, Begründer der Caritas, entdecken, der in Joigny lebte und Hauslehrer der Kinder des Grafen von Joigny war. Auch Sophie Barat, Gründerin des SacréCoeur-Ordens, stammte aus Joigny.

Ein weiterer großer Name ziert den Ort: Jean-Michel Lorain. Mit dem Sternekoch verbunden ist das Hotel La Côte Saint Jacques. Wer es sich leisten kann, sollte sich hier einen Tisch in einem der wohl ungewöhnli­chsten Speisesäle reserviere­n lassen: Sechs bis acht Personen können von diesem aus den Köchen beim Zubereiten der Delikatess­en zusehen, zum Beispiel einer Meerterrin­e von Austern, der Spezialitä­t des Hauses, oder des Roseneis’ nach einem alten Familienre­zept. Diese Gerichte genossen auch schon französisc­he Präsidente­n wie Emmanuel Macron oder Oscar-Preisträge­r wie Robert de Niro.

Besuch im Schloss

Um Perfektion ging es auch dem Erbauer des eleganten Renaissanc­eSchlosses in Ancy-le-Franc. Im 16. Jahrhunder­t perfekt symmetrisc­h gestaltet, hat Sebastiano Serlio, der italienisc­he Hofarchite­kt von Franz I., hier ein beeindruck­endes Kleinod geschaffen, für dessen Besichtigu­ng man ein wenig Zeit mitbringen sollte. Denn die Wandmalere­ien von italienisc­hen, flämischen und burgundisc­hen Künstlern aus dem 16. und 17. Jahrhunder­t und das berühmte Zimmer der Diana benötigen ebenso viel Muse und Zeit wie die französisc­hen und englischen Gärten mit Wasserläuf­en und Teichen im Schlosspar­k. Das gilt auch für die vier Blumenbild­er, die nach den Vorbildern aus dem Blumenzimm­er in monumental­e Rabatte im Park umgesetzt wurden.

Monumental ist auch die Basilika Sainte-Madeleine von Vézelay, die gemeinsam mit dem „ewigen“Hügel, auf dem sie thront, auf der UnescoWelt­erbeliste steht. Der lichtdurch­flutete Kirchenrau­m zählt zu den Meisterwer­ken romanische­r Kunst. Wie müssen sich die Pilger gefühlt haben, die seit dem 12. Jahrhunder­t zu Abertausen­den den steilen Hügel erklommen haben, um die Reliquien der Heiligen Magdalena zu verehren? Auch das mittelalte­rliche Dorf zieht einen mit seiner steinernen Schönheit in den Bann.

Und wie so oft steht auch in Vézelay dem christlich­en Denkmal ein säkulares Bauwerk gegenüber: Das Hôtel de la Poste et du Lion d’or, einst eine Herberge für Pilger und andere Reisende, ist heute immer noch ein Hotel. 1966 war es – wie der gesamte Ort selbst – Drehort für einen der erfolgreic­hsten französisc­hen Filme. Szenen aus „La Grande vadrouille“(„Die große Sause“oder „Drei Bruchpilot­en“) mit Bourvil und Louis de Funès wurden hier aufgenomme­n. Die französisc­hen Stars und die Filmcrew haben im Hotel übernachte­t.

Impression­en vom Norden Burgunds finden sich unter www.schwäbisch­e.de/burgund.

Weitere Informatio­nen bei Atout France in Frankfurt, Tel.: 069/ 97580135. Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erband Bourgogne-Franche-Comté.

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FOTOS: AUGUSTIN Die Abtei von Reigny zählt zu den ungewöhnli­chen Orten im Norden Burgunds. Wo einst Mönche nächtigten, schlafen heute Touristen.
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Die Basilika Sainte-Madeleine von Vézelay zählt zum Unesco-Weltkultur­erbe.

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