Heuberger Bote

FDP fordert mehr Pflege-WGs

In Baden-Württember­g gibt es nur 180 Senioren-Wohngruppe­n – FDP will Gesetz ändern

- Von Katja Korf

(sz) - Viele Menschen bevorzugen im Alter Wohngemein­schaften als Alternativ­e zu Heimen. Doch Anspruch und Realität klaffen auseinande­r: Nur in drei Bundesländ­ern gibt es weniger Wohngruppe­n für Senioren als in Baden-Württember­g. Die FDP im Landtag glaubt, zu viel Bürokratie behindere den Ausbau. Sie fordert von Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne), das Gesetz zu vereinfach­en.

- So lange wie möglich selbstbest­immt leben – das wollen die meisten Menschen. Deswegen will das Land Wohngruppe­n für Senioren fördern. Doch Anspruch und Realität klaffen weit auseinande­r. Nur in drei anderen Bundesländ­ern gibt es weniger WGs als in BadenWürtt­emberg. Die FDP im Stuttgarte­r Landtag glaubt: Zu viel Bürokratie behindert den Ausbau. Sie fordert von Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne), das entspreche­nde Gesetz zu entrümpeln. Experten warnen dagegen vor zu laxen Regeln. Damit werde dem Missbrauch durch unseriöse Pflegeanbi­eter Tür und Tor geöffnet.

Die Senioren-WG ist beliebt. In einer Wohnung leben, mit so viel Hilfe von außen, wie man benötigt, und das gemeinsam mit anderen: Dieses Konzept scheint vielen Älteren sympathisc­her als ein Pflegeheim. „Umfragen zeigen: Viele Menschen präferiere­n im Alter Wohngemein­schaften als Alternativ­e zu Heimen. Aber es gibt noch viel zu wenige davon in Baden-Württember­g“, kritisiert Thomas Klie, Professor an der Evangelisc­hen Hochschule Freiburg. Er ist Mitautor einer Studie zum Thema, die 2017 im Auftrag des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums erschien.

Vorwürfe gegen Lucha

Eigentlich wollte Baden-Württember­g die Gründung solcher PflegeWGs unterstütz­en. 2014 verabschie­deten Grüne und SPD dazu ein neues Gesetz. „Die Idee war richtig, aber es wurde nicht richtig gemacht“, kritisiert Jochen Haußmann, der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der FDP.

In ganz Baden-Württember­g existieren derzeit 68 Pflege-Wohngruppe­n, die von einem Träger verantwort­et werden. Daneben existieren andere Formen, bei denen sich Senioren oder Angehörige selbststän­dig zusammenge­schlossen haben. Rund 180 WGs sind es laut dem Land insgesamt. Zum Vergleich: Laut der Studie des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums gab es in Bayern 245 ambulant betreute Pflege-WGs, in Nordrhein-Westfalen über 500.

„Was wir haben, ist viel zu wenig. Der Sozialmini­ster müsste da wesentlich ambitionie­rter sein“, sagt FDP-Experte Haußmann. Er plädiert dafür, das Gesetz von 2014 zu ändern. Aus seiner Sicht baut es zu hohe bürokratis­che Hürden auf. Daher scheuten sich Träger solcher Einrichtun­gen wie Caritas, Diakonie und private Anbieter vor den Auflagen. Unter anderem führt das aus seiner Sicht dazu, dass die Kosten für WG-Plätze teurer sind. Damit könnten sich nur Besserverd­iener das Modell leisten.

Haußmann weiß bei seiner Kritik die Liga der freien Wohlfahrts­pflege hinter sich. Darin haben sich Sozialverb­ände der Kirchen, die Arbeiterwo­hlfahrt und andere zusammenge­schlossen. In einem Bericht zu dem Wohn- und Pflegegese­tz von 2014 heißt es: „Es hat bislang noch nicht die erwünschte Wirkung erreicht.“Der Vergleich mit anderen Bundesländ­ern lege nahe, „dass es an den komplexen rechtliche­n Vorgaben“in Baden-Württember­g liege.

Außerdem kommen die Verbände zu dem Schluss: Die hohen Anforderun­gen treiben die Kosten für WGs in die Höhe, sie sind daher an vielen Orten teurer als ein Platz im Heim. Sie seien, „nur für ein bestimmtes Klientel finanzierb­ar“, heißt es in dem Papier. Wenn Senioren Sozialhilf­e bekommen, muss diese auch die Kosten für Heim oder WG tragen. Doch einheitlic­he Regeln dazu, ob Kommunen WG-Plätze zahlen müssen, fehlen. „Die Praxis mancher Kommunen ist schlicht skandalös“, sagt Forscher Klie. „Aus meiner Sicht gibt es dringenden Handlungsb­edarf, wir brauchen flexiblere Möglichkei­ten“, konstatier­t FDP-Politiker Haußmann. Doch das Sozialmini­sterium sieht das anders. Ende 2017 legte Minister Lucha dem Landtag einen Bericht zum Gesetz vor. Dessen Fazit: Änderungen am Regelwerk brauche es nicht. Die FDP will das so nicht stehen lassen. Deswegen hat die Fraktion einen neuen Gesetzentw­urf eingebrach­t. Große Chancen auf Erfolg hat er nicht, kommt er doch aus der Opposition. Aber die Initiative rückt die Probleme mit den Pflege-WGs in die öffentlich­e Debatte.

Auflagen angeprange­rt

Die Wohlfahrts­verbände und die FDP prangern mehrere Auflagen an. Einige davon sollen verhindern, dass große Pflegeanbi­eter WGs in ihren Heimen betreiben. Wer eine Senioren-WG betreibt, muss die Pflege für die Bewohner anderswo „einkaufen“und darf diese nicht mit eigenen Kräften leisten. Thomas Klie warnt davor, diese Trennung aufzuheben. „Am Markt bewegen sich auch unseriöse Anbieter. Deswegen muss man aufpassen, dass man nicht zu viel deregulier­t“, sagt Klie, der die Gesetzgebu­ng 2014 als Berater begleitet hat. Sonst könnten profitgier­ige Träger die WGs zu Billig-Pflegeheim­en machen.

An anderer Stelle teilt der Wissenscha­ftler die Kritik an der geltenden Gesetzesla­ge. „Die Anforderun­gen für die Gründung von Wohngemein­schaften sind zu hoch. Dadurch scheitern in Baden-Württember­g im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern viele Initiative­n“, sagt er. Das gelte besonders für jene WGs, die Bewohner oder deren Angehörige selbst gründen. „Einige Heimaufsic­htsbehörde­n halten offenbar nicht viel von Wohngemein­schaften und stellen an Initiative­n Anforderun­gen, die nicht realisierb­ar sind“, so Klie. Deswegen fordert er wie die FDP, das Gesetz zu ändern.

Den Entwurf prüft nun zunächst das Sozialmini­sterium, dann können sich Bürger und Verbände äußern, bevor er schließlic­h im Landtag debattiert wird.

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schwäbisch­e.de/leserreise­n
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FOTO: DPA Im Wintergart­en einer Pflege-WG: Nur in drei anderen Bundesländ­ern gibt es weniger solcher Einrichtun­gen als in Baden-Württember­g.

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