Sozialist wird Regierungschef
Machtwechsel in Spanien – Rajoy muss gehen
(AFP/dpa) - Spaniens Parlament hat den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy gestürzt. Eine absolute Mehrheit von 180 der insgesamt 350 Abgeordneten sprach Rajoy am Freitag in Madrid das Misstrauen aus. Nachfolger wird der Chef der oppositionellen Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez. Dieser hatte den Misstrauensantrag gestellt, nachdem zahlreiche einst führende Vertreter von Rajoys Volkspartei (PP) wegen Korruption zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Es ist das erste Mal in der demokratischen Geschichte des Landes nach dem Ende der FrancoDiktatur 1975, dass ein Ministerpräsident durch einen Misstrauensantrag zu Fall kommt.
Sánchez versprach, den europäischen Verpflichtungen seines Landes unvermindert nachzukommen. Die Bundesregierung betonte, Berlin hoffe auf eine stabile neue Regierung.
- Jubel auf der einen Seite, versteinerte Mienen auf der anderen. Dann erhob sich der abgesetzte Regierungschef Spaniens, der Konservative Mariano Rajoy, von seinem Abgeordnetensessel und gratuliert seinem Nachfolger, dem Sozialisten Pedro Sánchez. Bis zuletzt hatte sich Rajoy geweigert, freiwillig zurückzutreten.
180 Jastimmen erhielt der Misstrauensantrag, den Sánchez gestellt hatte. Genug, um Rajoy aus dem Amt zu katapultieren. Die notwendige absolute Mehrheit lag bei 176 Stimmen. Damit stürzte der 63-jährige Rajoy, der seit 2016 mit einem Minderheitskabinett regierte. Sein Widersacher, der 46 Jahre alte Oppositionschef Sánchez, wurde automatisch neuer Ministerpräsident Spaniens.
Die Sozialisten, die linksalternative Protestbewegung Podemos und die nationalistischen und separatistischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien stimmten für den Machtwechsel. Die insgesamt 169 Neinstimmen der konservativen Volkspartei und der Liberalen konnten Rajoy nicht retten. Es war das erste Mal in der demokratischen Geschichte Spaniens, dass ein Regierungschef durch einen Misstrauensantrag gestürzt wurde.
Spuren führen in Parteizentrale
Schon lange stand Rajoy unter wachsendem Druck, weil die spanischen Korruptionsermittler immer neue Einzelheiten über Schmiergeldgeschäfte in Rajoys Partei ans Tageslicht brachten. Skandale, die Rajoy als „isolierte Einzelfälle“darstellte. Er habe nichts davon gewusst, behauptete er.
Doch spätestens seit Spaniens Nationaler Gerichtshof jüngst 29 konservative Politiker und parteinahe Unternehmer wegen Bestechlichkeit ins Gefängnis schickte, wurde klar, dass es wohl nicht um Einzelfälle, sondern um eine systematische Praxis ging. Den Richtern zufolge wurden in vielen Rathäusern und Regierungsstellen, in denen Rajoys Parteifreunde das Sagen hatten, jahrelang öffentliche Aufträge gegen Schmiergelder vergeben. Die Spuren führten bis in die Parteizentrale, in der Rajoy seit 2004 das Sagen hat.
„Heute schreiben wir eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie dieses Landes“, sagte Sánchez nach seinem Abstimmungssieg. Er verspricht, die Regierungsverantwortung „mit Bescheidenheit“zu übernehmen und den Konsens mit möglichst vielen Parteien zu suchen.
Rajoy hatte sich schon Minuten vor seiner Niederlage vom Rednerpult des Parlaments aus verabschiedet: „Es war eine Ehre, Spaniens Ministerpräsident zu sein“, sagte er. Schon 2011 war der Jurist, der sich vom Grundbuchbeamten in der Provinz zum Regierungschef hochdiente, an die Macht gekommen. Zunächst mit einer absoluten Mehrheit. Dann von 2016 an, nachdem sein Stern durch immer neue Korruptionsskandale gesunken war, mit einer Minderheitsregierung.
„Viel Glück“, wünschte Rajoy seinem Nachfolger Sánchez, der in den nächsten Tagen verkünden wird, wie sein Kabinett aussehen wird. Glück wird der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Sánchez auch brauchen, denn seine Regierung stützt sich keineswegs auf eine stabile Mehrheit.
Die Sozialisten, die in der letzten Wahl knapp 23 Prozent holten, halten im Parlament nur 85 der insgesamt 350 Sitze. Das ist noch weniger Rückhalt als Mariano Rajoy aufweisen konnte, der mit seinen Konservativen immerhin noch 137 Mandate hinter sich scharrte.
Sánchez wird sich also vor jeder Entscheidung neue Mehrheiten suchen müssen. Und das dürfte bei einigen stachligen Themen wie etwa den Haushaltsverhandlungen schwierig werden. Schon Rajoy hatte sich an den Etatgesprächen die Zähne ausgebissen und konnte seine Haushalte nur mit großer Mühe verabschieden. Aber vor allem beim größten innenpolitischen Problem Spaniens, dem Unabhängigkeitskonflikt in der Region Katalonien, dürfte es für Sánchez schwierig werden. Die katalanischen Separatismusparteien ließen bereits durchblicken, dass ihre Unterstützung für den Misstrauensantrag nicht umsonst gewährt wurde.
Sánchez verspricht zwar einen neuen Gesprächsstil mit den katalanischen Separatisten, die sich bisher von Rajoy ignoriert fühlten. Er will auf „Dialog“setzen und „neue Brücken mit Katalonien bauen“. Aber die Einheit Spaniens steht auch für ihn nicht zur Debatte.
Es drohen also an dieser Front neue Konflikte: Sollten ihm die katalanischen Parteien die Unterstützung wieder entziehen, könnte die Amtszeit von Pedro Sánchez und seines neuen Wackel-Kabinetts ziemlich schnell zu Ende gehen.