Eruptionen von Form und Farbe
Kunstmuseum Bonn zeigt das Spätwerk des deutsch-französischen Malers Hans Hartung
(epd) - Der alte Mann mit der riesigen schwarz gerahmten Brille sitzt zusammengesunken im Rollstuhl. Kaum verständlich nuschelt er kurze Antworten auf die Fragen eines Journalisten. Ein Mann am Ende seines Lebens und seiner Kräfte, so scheint es. Doch obwohl Hans Hartung (1904-1989) durch eine Kriegsverletzung und einen Schlaganfall geschwächt war, schuf er in den letzten Monaten seines Lebens noch die großformatigsten Bilder seiner Künstlerlaufbahn. Erstmals sind die vier Werke nun in einer Ausstellung im Kunstmuseum Bonn zu sehen.
Unter dem Titel „Hans Hartung. Malerei als Experiment – Werke von 1962-1989“präsentiert das Kunstmuseum bis zum 19. August insgesamt rund 40 Gemälde aus dem Spätwerk des abstrakten Malers. Hartung, der seit Mitte der 1930er-Jahre in Frankreich lebte, wurde vor allem bekannt durch seine ausgefächerten, an Palmblätter erinnernden Formkonstellationen. Schon bald gehörte er zur Pariser Avantgarde. Hartung gilt als einer der Wegbereiter des Informel, einer Künstlerbewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die geometrische Abstraktion entstand. Zu ihren Grundsätzen zählen die Formlosigkeit und die künstlerische Spontaneität.
Dabei unterliegt Hartungs Kunst lange Zeit zugleich einem streng kontrollierten Gestaltungsprozess. Als Grundlage seiner Bilder verwendet er spontane Zeichnungen, die er dann auf ein größeres Format überträgt. Dieses planvolle Vorgehen bringt ihm auch Kritik ein. Dennoch ist er bis in die Sechziger Jahre ein Weltstar der Kunstszene. 1960 erhält er auf der Biennale in Venedig den Großen Internationalen Preis für Malerei und ist damit auf dem Gipfel seines Ruhmes.
Plötzlich ein Klassiker
Doch dann gerät die Pariser Kunstszene, in der sich Hartung bewegt, gegenüber den neuen Stars aus New York ins Hintertreffen. Die Pop Art und Künstler wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein machen die USMetropole endgültig zur neuen Welthauptstadt der Kunst. Die Pariser Avantgarde gilt plötzlich als historisch. „Hartung wurde von heute auf morgen plötzlich als Klassiker abgestempelt“, sagt Kurator Christoph Schreier. Zwar hatte er noch Ausstellungen in renommierten Museen wie dem Metropolitan in New York oder dem Centre Pompidou in Paris. Aber in den späten 1970er- und 1980er-Jahren sei Hartung nur noch wenig beachtet worden.
Hartung spürte wohl das Sinken seines Sterns und zog sich in sein 1973 fertiggestelltes Atelierhaus im südfranzösischen Antibes zurück. Allerdings nicht, um dort das traurige Dasein eines Gestrigen zu fristen. Er nutzte das erlahmende Interesse an seiner Arbeit als Chance, sich künstlerisch neu zu definieren. „Eine Chance, die Hartung eindrucksvoll zu nutzen wusste“, sagt Schreier.
Hartung experimentiert mit neuen Verfahren. Er trägt die Farbe nun mit Stahlbürsten, Besen, Farbwalzen oder Gummipeitschen auf. Mit einem selbst umgebauten Staubsauger sprüht er Farbe auf die Leinwände. Er löst sich von den vorgezeichneten Linien, mit denen er bislang seine Bilder aufbaute. Stattdessen wird nun die Farbe zum konstituierenden Element. Blau und Gelb sind die dominierenden Töne. Anfang der Siebziger Jahre entstehen gesprühte Bilder mit fließenden Farbübergängen. Hartung fotografiert Lichtphänomene und nutzt sie als Inspirationsquelle für seine Sprühbilder, die sphärische Motive zeigen.
Arbeiten gegen den Tod
Zugleich experimentiert der Künstler mit neuen Werkzeugen, malt mit Walzen dicke Balken und ritzt Strukturen in die Farbe. Anfang der Achtziger Jahre wiederum erhalten seine Bilder eine neue Leichtigkeit. Hartung spritzt oder peitscht filigrane schwarze Strukturen auf lichtblaue Leinwände.
Gegen Ende seines Lebens ist Hartung schwer gehandicapt, unter anderem durch einen Schlaganfall. Zudem hatte er im Krieg ein Bein verloren. Hartung hatte sich freiwillig für die Fremdenlegion gemeldet, um als Deutscher in Frankreich einer Internierung oder gar Auslieferung nach Deutschland zu entgehen. Dennoch schafft er in seinem letzten Lebensjahr noch 360 Bilder, darunter die drei mal fünf Meter großen Leinwände, die nun im Kunstmuseum zu sehen sind. „Die Kraft der Bilder entspricht überhaupt nicht seinem Gesundheitszustand“, sagt Schreier. Vom Rollstuhl aus spritzte Hartung die Farbe kraftvoll auf die Leinwände und arbeitete so regelrecht gegen den Tod an. Es entstanden blau-gelbschwarze Farberuptionen, aber auch zarte Tropfenvorhänge, die langsam von oben nach unten in die Leinwand einzusickern scheinen. Ein Abgesang sieht anders aus.