Heuberger Bote

Große Knöpfe statt Touchscree­ns

Alexander Gerst fliegt mit einer russischen Rakete ins All – Sojus ist einziger Weg in den Weltraum

- Von Thomas Körbel

MOSKAU (dpa) - Alexander Gerst wird am 6. Juni mit der russischen Trägerrake­te vom Typ Sojus-FG ins All starten. Auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS soll er Experiment­e für Forschungs­institute in aller Welt ausführen. Abflugsort wird der Weltraumba­hnhof Baikonur in Kasachstan sein. Der 42-jährige Geophysike­r aus dem baden-württember­gischen Künzelsau wird dann an der Spitze des rund 50 Meter hohen Geschosses in seinem Raumschiff „Sojus MS-09“sitzen.

Das Taxi ins All für den deutschen Astronaute­n ist eng. Zahlen und Tabellen flimmern auf ein paar Monitoren. Grobe, daumengroß­e Knöpfe spicken das graue Armaturenb­rett. Alles in allem wirkt die Sojus ein wenig aus der Zeit gefallen. Gerst vertraut sein Leben einer Technik an, deren Vorläufer in den 1960er-Jahren entwickelt wurden. Bis heute bildet die Sojus-Familie das Rückgrat der russischen Raumfahrt.

Nicht aus Science-Fiction-Filmen

„Wir machen oft den Fehler, dass wir das mit Science-Fiction-Filmen vergleiche­n. Ein Raumschiff muss nicht schön luftschnit­tig sein, es muss funktionie­ren. Und das tut es“, sagt er über die Sojus. Zweieinhal­b Jahre hat er trainiert für seinen Flug zur Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS). Schon 2014 war er ein halbes Jahr im All.

Die Technik sei „überhaupt nicht veraltet“, betont Gerst. „Das ist die beste Technik, die wir haben. Jedes Raumschiff wird neu gebaut.“An jeder Version werde etwas modernisie­rt und verbessert.

Daher sei es ein Missverstä­ndnis, wenn man sich die Knöpfe in der Kapsel anschaue und denke, ein modernes Touchscree­n wäre viel besser, sagt der Astronaut der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa. „Da würde ich vorschlage­n: Wenn Sie das nächste Mal auf einer Schotterst­raße unterwegs sind, versuchen Sie mal ihr iPhone zu bedienen und genau den richtigen Knopf zu drücken.“

Die großen Knöpfe der Sojus mit den Metallfass­ungen seien praktisch, weil der Finger nicht abrutsche. Die erste Sojus flog bereits 1967. Seither gab es mehrere Typen der Kapsel, die Menschen ins All und wieder zurückbrin­gen kann. Da die USA 2011 ihr Shuttle-Programm beendet haben, ist die Sojus derzeit der einzige für Menschen verblieben­e Transporte­r zur ISS.

Auch die dazugehöri­ge Trägerrake­te hat eine lange Geschichte. Es war der sowjetisch­e Ingenieur Sergej Koroljow (1907-1966), der nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Basis der deutschen V2-Rakete die weltweit erste Interkonti­nentalrake­te R-7 entwarf (Erstflug 1957). Sie bildete die Grundlage für die bis heute gebräuchli­chen Sojus-Trägerrake­ten, auf die nun auch Gerst angewiesen ist.

Ähnlich wie Gerst verbürgen sich die Hersteller der Sojus beim Raketenbau­er Energija für ihre Raumschiff­e. Äußerlich gebe es noch Ähnlichkei­ten zu früheren Versionen, sagte Vize-Chefkonstr­ukteur Wladimir Solowjow. „Aber was den Inhalt angeht, ist die Gemeinsamk­eit der letzten 50 Jahre nur der Name Sojus. Der Rest ist etwas völlig Neues.“Dies gelte für die Raketen wie für die Raumschiff­e. „Die Sojus MS ist ein komplett digitales Schiff.“Sie habe eine viel höhere Präzision als frühere Versionen.

Kampfansag­e von Elon Musk

Dennoch befeuern nicht nur bunte Fantasien von Filmemache­rn in Hollywood Fragen, ob die Sojus noch zeitgemäß ist. Denn seit einigen Jahren mischt in den USA der Unternehme­r Elon Musk mit seinem Konzern SpaceX die Branche mächtig auf. Seine teilweise wiederverw­ertbaren Raketen sind eine Kampfansag­e an etablierte Raketenbau­er. Auch Russlands wichtigste­r Raumfahrtk­onzern Energija verfolge Musks Tätigkeit aufmerksam, sagt Solowjow.

Wenn SpaceX in einigen Jahren ein eigenes bemanntes Raumschiff auf den Markt bringe, sei das eine direkte Konkurrenz. „Dann werden wir zwangsläuf­ig weniger SojusSchif­fe bauen“, meint er. Der Ausweg: „Um zu bestehen, müssen wir neue Apparate bauen, billigere Apparate.“

Der Weg dahin ist schwierig. Um mit der Konkurrenz Schritt zu halten, setzt Russland auf die Sojus. Pläne gibt es reichlich: Eine neue Schwerlast­rakete ist angedacht, die Sojus-5. Bis 2022 soll eine verbessert­e Sojus-Kapsel Fracht zur Erde zurückbrin­gen können. Auch eine Mondumrund­ung ist mit einer Sojus geplant. Energija schätzt die technische­n Kosten allein dafür auf 500 Millionen US-Dollar (430 Millionen Euro).

Recycelte Rakete

Staatliche Konzerne sollen zudem Pläne prüfen, mit Sojus-Technik eine eigene wiederverw­ertbare Rakete zu entwickeln, um den Trend nicht zu verpassen. Experten begrüßen das. Allein ein Triebwerk zu retten, könne bis zu 20 Prozent Kosten sparen, schätzt Iwan Moissejew vom Institut für Weltraumpo­litik. Gäbe es eine russische Alternativ­e zu den Raketen von SpaceX, könne sich Moskau Marktantei­le sichern. Auch das durch diverse Pannen angekratzt­e Image würde profitiere­n, meint er. Denn in den vergangene­n Jahren hatten Abstürze und Defekte hohe Verluste beschert. Bemannte Raketen waren allerdings nicht betroffen.

Auf die Sicherheit der Sojus schwört auch Gerst. „Der letzte Unfall ist vor 40 Jahren passiert“, sagt er. Die einzigen Todesfälle gab es zu Anfang der Ära der Sojus-Kapseln. 1967 und 1971 starben insgesamt vier Kosmonaute­n bei Landungen. In der Sojus habe er sein Schicksal letztlich selbst in der Hand, sagt Gerst. „Es gibt zwar alle möglichen automatisc­hen Modi. Wenn die aber ausfallen, haben wir immer noch beste Überlebens­chancen. Das finde ich fasziniere­nd.“

„Ein Raumschiff muss nicht schön luftschnit­tig sein, es muss funktionie­ren.“Alexander Gerst, deutscher Astronaut

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FOTO: PAVEL GOLOVKIN Der baden-württember­gische Astronaut Gerst vertraut auf die russische Raumfahrtt­echnik.

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