Zu laxer Umgang mit dem Datenschutz?
Landratsamt muss prüfen, ob Drazen D. neue Adresse seiner Ex-Freundin einsehen konnte
- Hat der mutmaßliche Dreifachmörder von Villingendorf, Drazen D., die neue Adresse seiner Ex-Freundin in Villingendorf wirklich im Jugendamt des Landratsamts Tuttlingen einsehen können? Diese Frage muss nach der Aussage des Kroaten vor dem Landgericht in Rottweil vom Mittwoch beantwortet werden.
Laut Verteidiger Bernhard Mussgnug hat der Angeklagte dezidierte Angaben darüber gemacht, was er auf dem Bildschirm der Mitarbeiterin gesehen haben soll. Darunter neben der Straße in Villingendorf, in der seine Ex-Freundin wohnte, auch den Mietvertrag mit der Miethöhe und Einkommensunterlagen. Prozessbeobachter schätzen die Aussage vom Mittwoch als glaubwürdig ein, zumal er konkrete Zahlen über das Einkommen seiner Frau nannte und in diesem Punkt recht flüssig gesprochen hatte.
„Ob die Angaben alle zutreffend sind, ist sicher leicht zu ermitteln“, sagt Mussgnug auf Nachfrage unserer Zeitung am Freitagmittag. Sein Klient sei im März 2017 vom Landratsamt vorgeladen worden, um in Sachen Unterhalt Einkommensnachweise vorzulegen. Dabei habe er der Mitarbeiterin über die Schulter auf den Monitor schauen können. „Er hat die Situation beschrieben und berichtet, dass er hinter der Mitarbeiterin gestanden habe“, sagt Mussgnug. Der Blick auf den Monitor auf zu schützende Daten wäre damit „fahrlässiger Umgang mit dem Datenschutz“.
Daten vor Unbefugten schützen
„Es ist klar, dass Daten von Dritten für Unbefugte nicht zugänglich zu machen sind“, sagt der Erste Landesbeamte, Stefan Helbig. Nach der Berichterstattung über den Mordprozess habe er eher wahrgenommen, dass Drazen D. die Adresse seiner Ex-Freundin gesucht habe: „Das spricht dafür, dass er die Adresse nicht hatte. Die Wahrheit wird nur er selber wissen.“
Der Erste Landesbeamte geht davon aus, dass Drazen D. in dieser Sache nicht die Wahrheit gesagt hat, er auf die Mitarbeiterin des Landratsamts nicht gut zu sprechen gewesen sei und sie deswegen „reinreiten“wolle. Überhaupt schließt Helbig aus, dass es sich um das Jugendamt handelt. „Wir prüfen, ob noch eine andere Stelle im fraglichen Zeitraum Kontakt mit dem Mann hatte“, sagt Helbig. Möglicherweise habe er die Adresse woanders her gehabt und „will jemanden mit dieser Aussage schützen“. So könnte es sich auch um eine Schutzbehauptung von Drazen D. handeln: „Dazu kann ich aber heute nichts sagen.“
Wie sich der Vorgang abgespielt hat, konnte Helbig am Freitag bei der Mitarbeiterin nicht erfragen. Den Nachnamen, der am Mittwoch bei Gericht gefallen sei, gebe es im Landratsamt phonetisch mehrfach. Die Kolleginnen seien aber am Freitag nicht im Büro gewesen. „Wir werden uns noch mit ihr unterhalten und fragen, ob sie sich an den Vorgang erinnern kann“, sagt Helbig. Das sei aber nicht unbedingt wahrscheinlich, da die Mitarbeiter des Landratsamts täglich viele Kundenkontakte hätten und sich die Aussage auf einen Vorfall bezieht, der mehr als ein Jahr her sei.
Kritisch sieht es Helbig, dass nun das Landratsamt in den Fokus rückt. Schließlich habe die Familie schon drei Wochen vor dem Dreifachmord gewusst, dass ihr Versteck aufgeflogen sei. Wie berichtet, hatte Drazen D. etwa ein markantes Feuerzeug von einem Tisch auf der Terrasse gestohlen.
Keine Mitverantwortlichkeit
Für Mussgnug wäre der Vorfall, so er sich wirklich ereignet hat, kein Skandal, sondern eher ein „Skandälchen“. Es sei zwar nicht sein Thema, das Jugendamt zu schützen, dennoch wäre es unangebracht eine Mitverantwortlichkeit der drei Morde auf das Landratsamt in Tuttlingen abzuwälzen. „Die Adresse hätte er wohl so oder so bekommen“, meint Mussgnug.
Allerdings, so betont der Anwalt, könne man auch auf die Idee kommen, dass diese Fahrlässigkeit den Tod von drei Menschen verursacht habe. „Eine Kausalität kann man herstellen, wenn man es mit der Dame ganz böse will“, sagt Mussgnug. Schließlich sei der Vorfall im Landratsamt im März des vergangenen Jahres gewesen, der Dreifachmord hat sich im September ereignet. Die Fahrten seines Klienten in Villingendorf erklärt Mussgnug auch: „Er wollte in der Nähe seines Sohnes sein und hat die Hausnummer gesucht“, sagt er.
Wie die Staatsanwaltschaft die Aussage von Drazen D. einstuft und ob sich daraus möglicherweise ein strafrechtlich relevanter Vorsatz herauslesen lässt, war am Freitag nicht zu erfahren. Der Leitende Oberstaatsanwalt und Ankläger, Joachim Dittrich, war am Brückentag nicht im Büro.