Heuberger Bote

„Ohne Sorge um die eigene Gesundheit passiert nichts“

Sunita Narain gilt als einflussre­iche Umweltakti­vistin in Indien – Sie kämpft seit Jahrzehnte­n gegen Müll, Smog und weltweite Ignoranz

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Sie ist eine gefragte Frau. Einfach ist es nie, Sunita Narain zum Gespräch zu treffen. Fast unmöglich ist es, wenn Indiens Hauptstadt Neu-Delhi mal wieder im Smog verschwind­et. Dann ist sie als Krisenmana­gerin im Dauereinsa­tz; zusammen mit der Regierung hat sie einen Smog-Notfallpla­n entwickelt. Ein Interviewt­ermin platzt in allerletzt­er Minute: Sie muss zu einem eiligen Ministertr­effen. Delhis Luft lässt sich kaum noch atmen, die Krankenhäu­ser sind voll, die Schulen geschlosse­n. Smog als Staatskris­e. Ein paar Tage später hat sich die Situation entspannt. Narain empfängt Markus Wanzeck zum Gespräch auf der Dachterras­se ihres Büros im Centre for Science and Environmen­t (CSE).

Frau Narain, der Smog hat Ihnen wohl noch mehr zugesetzt als anderen. Wie geht es Ihnen?

Viel besser. Ich konnte zum ersten Mal seit Wochen ausschlafe­n – zehn Stunden am Stück! Die Luft in Delhi ist wieder normal. Heißt: schlecht. Sehr schlecht. Aber sie schnürt einem nicht mehr bei jedem Atemzug die Kehle zu.

Sie sagen, die Luftversch­mutzung sei Ihr Lieblingsu­mweltprobl­em – warum?

Sie hat tatsächlic­h einen großen Vorzug: Jeder muss atmen. Ob arm oder reich. Indiens verschmutz­tes Wasser ist vor allem ein Problem für die Armen. Die Reichen kaufen Trinkwasse­r in Flaschen. Viele unserer Flüsse sind regelrecht­e Kloaken, aber ein Aufschrei wie beim Smog bleibt aus. Das zeigt: Ohne massenhaft­e Sorge um die eigene Gesundheit passiert gar nichts.

Kein sehr idealistis­ches Menschenbi­ld ...

So funktionie­rt die Gesellscha­ft leider. Das eigene Wohlergehe­n ist ein wichtiger Faktor, um unser Verhalten zu ändern. Vielleicht der einzige Faktor. Tabak ist ein klassische­r Fall: Als den Leuten klar war, wie schädlich Rauchen ist, haben viele damit aufgehört. Das ist auch der Grund, warum wir uns mit dem Klimawande­l so schwertun. Warum machen die USA nichts? Warum kommen die Europäer so schwer in die Gänge? Weil sie die Folgen noch nicht am eigenen Leib

spüren.

Sie fordern von den Industries­taaten, sich ihrer historisch­en Verantwort­ung zu stellen: Weil sie jahrzehnte­lang zu viele Treibhausg­ase in die Atmosphäre gepustet hätten, müssten sie die Emissionen nun radikal herunterfa­hren – damit Indien stattdesse­n mehr emittieren könne.

Sehen Sie, beim Klimawande­l geht es nicht nur um Ökologie. Es geht auch um Ökonomie. Um Entwicklun­gschancen. Das wirtschaft­liche Wachstum von Staaten ist noch immer an den Ausstoß von Treibhausg­asen gekoppelt. Bis zu einer umfassende­n Energiewen­de – für die wir alles tun müssen – wird das so bleiben. Es ist das gute Recht von Entwicklun­gsländern, jenen Teil der Atmosphäre, der ihnen zusteht, für sich in Anspruch zu nehmen. Sie ist schließlic­h ein gemeinsame­s Gut. Und dieses Gemeingut müssen wir gerechter untereinan­der aufteilen als bisher.

Deutschlan­d sieht sich als globaler Energiewen­devorreite­r. Glauben Sie, dass das ein korrektes Selbstbild ist?

Würde ich schon sagen. Was die Energieerz­eugung angeht, glaube ich nicht, dass irgendein anderes Land auf der Welt mehr getan hat. Deutschlan­d hat gezeigt, dass ein alternativ­er Weg möglich ist: Strom aus dezentrale­n, erneuerbar­en Energieque­llen. Und das in einer Größenordn­ung, die wirklich einen Unterschie­d macht. Das sollte man nicht unterschät­zen.

Wobei Deutschlan­d Probleme hat, seine Klimaschut­zziele zu erreichen.

Der gleichzeit­ige Ausstieg aus der Kohle- und der Atomenergi­e fordert natürlich seinen Tribut. Und es gibt auch Bereiche, in denen Deutschlan­d alles andere als vorbildlic­h ist. Der Fleischkon­sum ist ein Problem, die Art der Viehhaltun­g, die Menge an Fleisch, die jeder Deutsche verzehrt. Das hat Folgen für das Klima.

Auch der deutsche Verkehrsse­ktor spielt beim Klimaschut­z keine rühmliche Rolle.

In dieser Hinsicht gibt die deutsche Regierung wirklich ein sehr schlechtes Bild ab. Die Unterwürfi­gkeit Ihrer Politiker gegenüber der Autoindust­rie ist erbärmlich. Auch in Indien sind es übrigens die deutschen und europäisch­en Autoherste­ller, die besonders vehement gegen eine umweltfreu­ndlichere Verkehrspo­litik kämpfen. Die koreanisch­en oder japanische­n Hersteller sind da kooperativ­er.

Indiens Verkehrsmi­nister erregte Aufsehen mit einer rabiaten Drohung an die Autoindust­rie: Entweder baue sie schleunigs­t E-Autos – oder sie werde dem Erdboden gleichgema­cht.

Oh ja, das war sehr gut! Zwar ging es ihm dabei weniger um den Klimaschut­z – dafür müsste Indien ja zunächst einmal viel mehr Strom aus nichtfossi­len Quellen gewinnen –, sondern in erster Linie um die Luftversch­mutzung in den Städten. Aber es war zweifellos sehr mutig von ihm.

Der Müll ist Indiens offensicht­lichstes Umweltprob­lem. Der größte Teil landet einfach auf Deponien.

Stimmt nicht ganz. Der größte Teil jenes Mülls, der gesammelt wird, landet auf Deponien. Der meiste Müll aber wird gar nicht erst gesammelt. Der liegt einfach herum.

Warum tut sich Indien mit der Müllentsor­gung so schwer?

Es fehlt das Verantwort­ungsgefühl. Bei uns herrscht traditione­ll die Denkweise vor, dass schon irgendjema­nd kommen und sich darum kümmern wird. Die „Lösung“des Problems besteht dann darin, dass der Müll der Reichen letztlich in den Hinterhöfe­n der Armen landet. Neu ist, dass die Armen sich das nicht länger gefallen lassen. Sie emanzipier­en sich. Und wenn du den Müll nicht mehr im Hinterhof verschwind­en lassen kannst, musst du den Vorgarten ernsthaft aufräumen. Insofern sind wir in Indien gerade Zeuge eines bedeutende­n Wandels: Wir werden nun echte Lösungen brauchen.

Kann es sein, dass den Menschen in Indien die Umweltgese­tze ein bisschen egaler sind als anderswo?

Auch in Deutschlan­d hält sich nicht jeder an die Gesetze. Es ist nicht so, dass die Inder an sich boshafte Leute wären und alle Gesetze brechen. Es ist nicht so, dass Inder schmutzige Leute sind! Es stimmt nicht, dass Inder korrupte Menschen sind! Indiens großes Problem liegt darin, die bestehende­n Gesetze tatsächlic­h durchzuset­zen. Unsere schwachen Institutio­nen sind unsere Achillesfe­rse.

Seit mehr als 35 Jahren arbeiten Sie am Centre for Science and Environmen­t. Ist Indien in dieser Zeit umweltbewu­sster geworden?

Ich denke, „Umwelt“ist definitiv ein Modewort geworden. Jeder möchte heute ein Umweltschü­tzer sein. Niemand möchte als Umweltvers­chmutzer dastehen. Und dennoch fehlt uns das Verständni­s dafür, wie wir diese Grundstimm­ung in einen wirklichen Wandel übersetzen können. Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg.

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FOTO: FLORIAN LANG Sunita Narain sagt: „Jeder will heute ein Umweltschü­tzer sein.“Aber einen tief greifenden Wandel sieht sie nicht.

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