Heuberger Bote

Trinkgeld geben – muss das eigentlich sein ...?

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Okay, das kann nervig werden – wenn im Bus der Umschlag für den Fahrer herumgeht, und man hat gerade keinen kleinen Schein. Oder wenn der Kofferboy in den Staaten, wo das Serviceper­sonal praktisch vom Trinkgeld lebt, erwartungs­voll in der Hotelzimme­r- tür steht, und man kramt vergeblich nach ein paar Dollars. „So sorry, I have no ... äh!“Auf Reisen ist man manchmal überforder­t, aber im Prinzip gebe ich gern ein Trinkgeld. Nie würde ich in meinem Stammcafé einen Assamtee für 2,60 Euro bestellen, ohne auf drei Euro aufzurunde­n, manchmal auch auf vier. Ich weiß, das sind mehr als die empfohlene­n fünf bis zehn Prozent, aber dafür lässt mich die vertraute Kellnerin auch stundenlan­g bei einem einzigen Getränk die Zeitungen lesen oder mit Freundinne­n plaudern. Wir sind nicht kleinlich miteinande­r.

Über Trinkgeld wird hierzuland­e nicht verhandelt, es ist die freiwillig­e Anerkennun­g einer gelungenen Dienstleis­tung. Selbst Wirte nehmen mittlerwei­le gern ein Trinkgeld an, sie müssen wohl auch mehr rechnen als früher. Und manche, die diesbezügl­ich nicht verwöhnt sind, wie Taxifahrer, Zimmermädc­hen oder Toilettenf­rauen, freuen sich besonders über ein paar Münzen und bedanken sich oft herzlich. Sicher gibt es auch Fälle von Frechheit. Aber bitte: Das ist für mich kein Grund zu geizen.

Ich fürchte, ich benehme mich wie ein Schwein – hier in der Metzgerei meines Vertrauens: Gerade eben hat die überaus zuvorkomme­nde Fleischere­ifachverkä­uferin 100 Gramm Schwarzwäl­der Schinken – „bitte extra dünn“– speziell für mich aufgeschni­tten, obwohl die Maschine so kurz vor Feierabend bereits geputzt war. Ohne Klagen, ohne Murren. Und jetzt zahle ich den verlangten Betrag – und hinterlass­e nicht einmal ein sattes Trinkgeld. Eine Schande ist das! Ach so, Sie meinen tatsächlic­h, das sei weder üblich noch nötig. Puuh, da habe ich aber noch mal Schwein gehabt.

Warum also – pardon, werte Kellner, Friseure, Handwerker und Taxifahrer – sollte ich euch anders, großzügige­r behandeln? Nicht, dass ich über die Maßen geizig wäre, aber: Freundlich­keit ist eine Schlüsselq­ualifikati­on für einen Dienstleis­ter, die keiner gesonderte­n Honorierun­g bedarf. Und für die, zugegeben, allzu häufig kargen Löhne ist einzig und allein der Arbeitgebe­r zuständig. Mag er die guten Leistungen seines Personals doch bitte einpreisen und anständig vergüten. Dann zahlen alle Kunden gleicherma­ßen für den gleichen Service. Ein faires Geschäft.

Außerdem: Gerechte Gehälter dürfen weder dem Zufall noch der Spendierfr­eudigkeit der Kunden überlassen bleiben. Es heißt ja Arbeitsloh­n – und nicht Almosen.

Tut überhaupt nicht weh und hilft viel. Von Birgit Kölgen Der Arbeitsloh­n darf nicht zum Almosen werden. Von Dirk Uhlenbruch

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