Olympisches Gold für griechische Weine
Jahrtausende alte Rebsorten und moderne Weinbaukunst erfolgreich kombiniert
Wenn man der griechischen Mythologie Glauben schenken darf, hat er mit seinem zauberhaften, auf der Lyra begleiteten Gesang – das Instrument hatte er vom Gott Apollon als Geschenk erhalten – Felsen zum Weinen gebracht. Da war es eine kleine Übung, dass Orpheus die Argonauten, im Ägäischen Meer auf der Suche nach dem Goldenen Vlies unterwegs, alleine mit der magischen Kraft seiner einen Alexis Sorbas und Theodorakis vorwegnehmenden Ohrwürmer an der Insel der heimtückischen Sirenen und ihren betörenden Klängen vorbeischleusen konnte.
Würde das Therapeutikum orphischer Hymnen auch den Weinfreund davor bewahren, angesichts der Verführung fabelhafter griechischer Weine schiffbrüchig zu werden oder zumindest dauerhaft vor Anker zu gehen? Eine heikle Mission … Unbestechlich schmettert eine Fraktion formidabler Preziosen ihr Veto dagegen, ebenfalls von göttlicher Hand gecoacht, zieht hier doch Dionysos, der Sohn des Zeus die Fäden. Selbst die wohlklingendsten Argumente von Apollons liebstem Musensohn verlieren da ihre Überzeugungskraft.
Hellas hat Europa den Wein gebracht, der hier seit mehr als viertausend Jahren zu Hause ist. Im Land der Gallier haben griechische Siedler nahe dem von ihnen gegründeten Marseille (Massalia) die ersten Weinstöcke gepflanzt, wie auch in Sizilien, im Süden Italiens und in Spanien – wenn dies auch manch‘ stolzer Nachfahre Caesars, Charlemagnes oder Don Quijotes von seiner Festplatte gelöscht haben mag. Da mutet es an wie eine dringend der Revision bedürftige Ironie des Schicksals, dass ihre Weine heute grob fahrlässig unterbewertet sind. Weingüter auf dem neuesten Stand der Technik pflegen die Verantwortung gegenüber der Tradition ebenso wie die Umsetzung innovativer Entwicklungen. All dies weder einfach, noch aufs Nötigste beschränkt. Dafür mit großem önologischen Know-how – spartanisch geht anders.
Autochtone rote Kleinode
Weit im Nordosten, nahe der Hafenstadt Kavala liegt am Fuße des Pangeonmassivs auf 380 Metern Meereshöhe das von den Önologen Vassilios
Tsaktsarlis und Vangelis Gerovassiliou gegründete Musterweingut Ktima Biblia Chora. Seit 2009 wird der in französischen Eichenbarriques ausgebaute rote Biblinos gewonnen, dessen Rebsorte bislang ampelografisch nicht entschlüsselt werden konnte und deswegen auch keinen Namen trägt. Die Traube selbst treibt dies am wenigsten um. Quasi undercover liefert sie einen grandiosen Wein, dem der Lorbeerkranz des Siegers gebührt. Und der in der Gegend schon in der Antike berühmte Biblinos-Oinos liefert die Blaupause nicht nur für das Weingut, sondern – was liegt näher? – auch für den Namenlosen. Tief dunkle, gereifte Beeren, schwarze Oliven, würzige Kräuter (Rosmarin, Thymian), Tabak-, Kaffeeund Vanillenoten, raffiniert unterlegt von einer feinen Süße, harmonisch eingebundene Säure und feinkörnige Tanninstruktur prägen diesen eigenständigen, spektakulär mediterranen, körperhaften und komplexen Vin du Garde.
Ein weiterer richtungsweisender Betrieb ist in Naoussa westlich von Thessaloniki mit dem Ktima Kir Yianni unter der Regie von Stellios
Boutaris zu Hause. Hier wird der hochwertigen, Jahrhunderte alten Rebsorte Xinomavro gehuldigt, für die Aromen nach Rosenblüten, Erdbeeren, Weichselkirschen, mitunter eine Spur Waldböden, grundsolide Gerbstoffe und eine signifikante Säure (Xinomavro steht für sauerschwarz) charakteristisch sind, und in deren sensorischen Eigenschaften eine Nähe zu einem im Alto Piemonte angebauten Nebbiolo, wie etwa einem Carema, auszumachen ist. Während der kraftvolle mit aromatischer Fülle und Vielschichtigkeit Gefühle der Glückseligkeit für Nase und Gaumen heraufbeschwört, treibt es der mit delikater Eleganz und geschliffen balsamischer Struktur auf die Spitze. Beide verschwenden keine Mühe darauf, den impulsiven Flirt mit dem Holz der jungen Eiche zu leugnen (Tabak, Schokolade und Vanille) und
Ramnista Diaporos
haben sehr gutes Lagerpotenzial. Zwei Kandidaten für den Zieleinlauf auf den vordersten Plätzen.
Südwestlich von Thessaloniki, in der meeresnahen Hügellandschaft von Epanomi wird auf der Domaine
Gerovassiliou des Evangelos Gerovassiliou der Avaton (in der griechischen Kirche das Allerheiligste) ausgebaut, der neben je 30 Prozent Mavrotragnano und der beinahe ausgestorbenen Mavroudi 40 Prozent der Limnio-Traube enthält, die schon bei Aristoteles als Limnia Erwähnung findet. Heidelbeere, Brombeere, Herzkirsche, Kräuterwürze, Anklänge an Lakritze, eine markante Holznote und merklich präsente Tannine zaubern einen Wein ins Glas, der rundum überzeugt. Ein önologischer Marathonläufer mit Sieger-Gen.
Im Norden der Insel Santorini, das nicht wenige für das sagenumwobene Atlantis halten, liegt die Domaine Sigalas. Mit dem Mavrotragano aus der gleichnamigen, auf der Insel heimischen, rekultivierten Rebsorte wird auf Vulkangestein unter der Regie von Paris Sigalas eine wahre Poesie von Wein erzeugt. Ultrareife schwarze Kirsche, tief dunkle Brombeere, Datteln, Feigen und Trockenfrüchte, Kräuter der Garrigue und Noten des vulkanischen
Terroir, ein mächtiger Körper, Komplexität und Dichte, dabei beinahe seidige Tannine charakterisieren die Sensorik dieses imposanten, in französischen Eichenbarriques gereiften Repräsentanten griechischer Weinbaukunst. Kosmopolitisch versiert Doch Hellas kann auch international. Und wie. Bei Biblia Chora vermag der reinsortige, 16 Monate in neuer Eiche ausgebaute Ovilos Cabernet
Sauvignon mit seinen subtilen Cassis- und Brombeertönen, Kaffee-, Leder- und Röstaromen, einem Anflug von Karamell und Zedernholz selbst chronische Skeptiker, die bemerkenswerte Cabernets ausschließlich in Bordeaux verorten, in Herzensbrüder zu verwandeln. Als Trojanisches Pferd in einer Blindprobe mit hochbewerteten Grand Cru Classés, die das Budget des Weinfreundes um ein Mehrfaches strapazieren, dürfte er für manche Überraschung gut sein. Wie auch sein Gegenstück, der weiße Ovilos, der die autochthone Assyrtiko-Traube mit der französischen Sémillon kongenial vermählt. Zur Pfirsich-, Aprikosen- und Zitrusfrucht treten Noten von Vanille und Honig, die delikat frische Säure steuert ein raffiniert
belebendes Element bei. Ein Glanzlicht am Weißweinfirmament.
Bei Kir Yianni streunt ein blauer Fuchs durch die Rebzeilen, eine verlockende Assemblage aus der heimischen Xinomavro und den Globalplayers Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot. Beim Ble Alepou (Blue Fox) steht die Paprika- und Pfeffernote der Syrah in subtil abgestimmter Allianz mit den Cassis- und dunklen Beerentönen von Cabernet und Merlot und den aufreizenden Aromen der neuen Eichenbarriques. Im Bunde mit der Xinomavro entwickeln sich Töne von Sousbois, feiner Würze und Kräutern der Phrygana. Ein „Kir Royal“der ganz besonderen Art. Bei den Weißweinen laden der Chardonnay Palpo und der Sauvignon blanc Droumo zu einer Verkostung ein.
Gleichermaßen mischt man bei Gerovassiliou auf der globalen Bühne mit, der Evangelo aus Syrah und einem kleinen Anteil Viognier erinnert an einen Côte Rôtie mit bestem Stallgeruch und der in neuen AllierBarriques ausgebaute, sortenreine Syrah animiert zur Vergleichsprobe mit Hermitage & Co.
Der ambitionierte Weinfreund hat es in der Hand, seinen ganz persönlichen önologischen Grexit zu vermeiden. Sirenen hin, Orpheus her – hier lauert Suchtgefahr. Griechische Weine sind (mehr als) eine Sünde wert, gia maV !