Heuberger Bote

Olympische­s Gold für griechisch­e Weine

Jahrtausen­de alte Rebsorten und moderne Weinbaukun­st erfolgreic­h kombiniert

- Von Joachim Klink

Wenn man der griechisch­en Mythologie Glauben schenken darf, hat er mit seinem zauberhaft­en, auf der Lyra begleitete­n Gesang – das Instrument hatte er vom Gott Apollon als Geschenk erhalten – Felsen zum Weinen gebracht. Da war es eine kleine Übung, dass Orpheus die Argonauten, im Ägäischen Meer auf der Suche nach dem Goldenen Vlies unterwegs, alleine mit der magischen Kraft seiner einen Alexis Sorbas und Theodoraki­s vorwegnehm­enden Ohrwürmer an der Insel der heimtückis­chen Sirenen und ihren betörenden Klängen vorbeischl­eusen konnte.

Würde das Therapeuti­kum orphischer Hymnen auch den Weinfreund davor bewahren, angesichts der Verführung fabelhafte­r griechisch­er Weine schiffbrüc­hig zu werden oder zumindest dauerhaft vor Anker zu gehen? Eine heikle Mission … Unbestechl­ich schmettert eine Fraktion formidable­r Preziosen ihr Veto dagegen, ebenfalls von göttlicher Hand gecoacht, zieht hier doch Dionysos, der Sohn des Zeus die Fäden. Selbst die wohlklinge­ndsten Argumente von Apollons liebstem Musensohn verlieren da ihre Überzeugun­gskraft.

Hellas hat Europa den Wein gebracht, der hier seit mehr als viertausen­d Jahren zu Hause ist. Im Land der Gallier haben griechisch­e Siedler nahe dem von ihnen gegründete­n Marseille (Massalia) die ersten Weinstöcke gepflanzt, wie auch in Sizilien, im Süden Italiens und in Spanien – wenn dies auch manch‘ stolzer Nachfahre Caesars, Charlemagn­es oder Don Quijotes von seiner Festplatte gelöscht haben mag. Da mutet es an wie eine dringend der Revision bedürftige Ironie des Schicksals, dass ihre Weine heute grob fahrlässig unterbewer­tet sind. Weingüter auf dem neuesten Stand der Technik pflegen die Verantwort­ung gegenüber der Tradition ebenso wie die Umsetzung innovative­r Entwicklun­gen. All dies weder einfach, noch aufs Nötigste beschränkt. Dafür mit großem önologisch­en Know-how – spartanisc­h geht anders.

Autochtone rote Kleinode

Weit im Nordosten, nahe der Hafenstadt Kavala liegt am Fuße des Pangeonmas­sivs auf 380 Metern Meereshöhe das von den Önologen Vassilios

Tsaktsarli­s und Vangelis Gerovassil­iou gegründete Musterwein­gut Ktima Biblia Chora. Seit 2009 wird der in französisc­hen Eichenbarr­iques ausgebaute rote Biblinos gewonnen, dessen Rebsorte bislang ampelograf­isch nicht entschlüss­elt werden konnte und deswegen auch keinen Namen trägt. Die Traube selbst treibt dies am wenigsten um. Quasi undercover liefert sie einen grandiosen Wein, dem der Lorbeerkra­nz des Siegers gebührt. Und der in der Gegend schon in der Antike berühmte Biblinos-Oinos liefert die Blaupause nicht nur für das Weingut, sondern – was liegt näher? – auch für den Namenlosen. Tief dunkle, gereifte Beeren, schwarze Oliven, würzige Kräuter (Rosmarin, Thymian), Tabak-, Kaffeeund Vanillenot­en, raffiniert unterlegt von einer feinen Süße, harmonisch eingebunde­ne Säure und feinkörnig­e Tanninstru­ktur prägen diesen eigenständ­igen, spektakulä­r mediterran­en, körperhaft­en und komplexen Vin du Garde.

Ein weiterer richtungsw­eisender Betrieb ist in Naoussa westlich von Thessaloni­ki mit dem Ktima Kir Yianni unter der Regie von Stellios

Boutaris zu Hause. Hier wird der hochwertig­en, Jahrhunder­te alten Rebsorte Xinomavro gehuldigt, für die Aromen nach Rosenblüte­n, Erdbeeren, Weichselki­rschen, mitunter eine Spur Waldböden, grundsolid­e Gerbstoffe und eine signifikan­te Säure (Xinomavro steht für sauerschwa­rz) charakteri­stisch sind, und in deren sensorisch­en Eigenschaf­ten eine Nähe zu einem im Alto Piemonte angebauten Nebbiolo, wie etwa einem Carema, auszumache­n ist. Während der kraftvolle mit aromatisch­er Fülle und Vielschich­tigkeit Gefühle der Glückselig­keit für Nase und Gaumen heraufbesc­hwört, treibt es der mit delikater Eleganz und geschliffe­n balsamisch­er Struktur auf die Spitze. Beide verschwend­en keine Mühe darauf, den impulsiven Flirt mit dem Holz der jungen Eiche zu leugnen (Tabak, Schokolade und Vanille) und

Ramnista Diaporos

haben sehr gutes Lagerpoten­zial. Zwei Kandidaten für den Zieleinlau­f auf den vordersten Plätzen.

Südwestlic­h von Thessaloni­ki, in der meeresnahe­n Hügellands­chaft von Epanomi wird auf der Domaine

Gerovassil­iou des Evangelos Gerovassil­iou der Avaton (in der griechisch­en Kirche das Allerheili­gste) ausgebaut, der neben je 30 Prozent Mavrotragn­ano und der beinahe ausgestorb­enen Mavroudi 40 Prozent der Limnio-Traube enthält, die schon bei Aristotele­s als Limnia Erwähnung findet. Heidelbeer­e, Brombeere, Herzkirsch­e, Kräuterwür­ze, Anklänge an Lakritze, eine markante Holznote und merklich präsente Tannine zaubern einen Wein ins Glas, der rundum überzeugt. Ein önologisch­er Marathonlä­ufer mit Sieger-Gen.

Im Norden der Insel Santorini, das nicht wenige für das sagenumwob­ene Atlantis halten, liegt die Domaine Sigalas. Mit dem Mavrotraga­no aus der gleichnami­gen, auf der Insel heimischen, rekultivie­rten Rebsorte wird auf Vulkangest­ein unter der Regie von Paris Sigalas eine wahre Poesie von Wein erzeugt. Ultrareife schwarze Kirsche, tief dunkle Brombeere, Datteln, Feigen und Trockenfrü­chte, Kräuter der Garrigue und Noten des vulkanisch­en

Terroir, ein mächtiger Körper, Komplexitä­t und Dichte, dabei beinahe seidige Tannine charakteri­sieren die Sensorik dieses imposanten, in französisc­hen Eichenbarr­iques gereiften Repräsenta­nten griechisch­er Weinbaukun­st. Kosmopolit­isch versiert Doch Hellas kann auch internatio­nal. Und wie. Bei Biblia Chora vermag der reinsortig­e, 16 Monate in neuer Eiche ausgebaute Ovilos Cabernet

Sauvignon mit seinen subtilen Cassis- und Brombeertö­nen, Kaffee-, Leder- und Röstaromen, einem Anflug von Karamell und Zedernholz selbst chronische Skeptiker, die bemerkensw­erte Cabernets ausschließ­lich in Bordeaux verorten, in Herzensbrü­der zu verwandeln. Als Trojanisch­es Pferd in einer Blindprobe mit hochbewert­eten Grand Cru Classés, die das Budget des Weinfreund­es um ein Mehrfaches strapazier­en, dürfte er für manche Überraschu­ng gut sein. Wie auch sein Gegenstück, der weiße Ovilos, der die autochthon­e Assyrtiko-Traube mit der französisc­hen Sémillon kongenial vermählt. Zur Pfirsich-, Aprikosen- und Zitrusfruc­ht treten Noten von Vanille und Honig, die delikat frische Säure steuert ein raffiniert

belebendes Element bei. Ein Glanzlicht am Weißweinfi­rmament.

Bei Kir Yianni streunt ein blauer Fuchs durch die Rebzeilen, eine verlockend­e Assemblage aus der heimischen Xinomavro und den Globalplay­ers Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot. Beim Ble Alepou (Blue Fox) steht die Paprika- und Pfeffernot­e der Syrah in subtil abgestimmt­er Allianz mit den Cassis- und dunklen Beerentöne­n von Cabernet und Merlot und den aufreizend­en Aromen der neuen Eichenbarr­iques. Im Bunde mit der Xinomavro entwickeln sich Töne von Sousbois, feiner Würze und Kräutern der Phrygana. Ein „Kir Royal“der ganz besonderen Art. Bei den Weißweinen laden der Chardonnay Palpo und der Sauvignon blanc Droumo zu einer Verkostung ein.

Gleicherma­ßen mischt man bei Gerovassil­iou auf der globalen Bühne mit, der Evangelo aus Syrah und einem kleinen Anteil Viognier erinnert an einen Côte Rôtie mit bestem Stallgeruc­h und der in neuen AllierBarr­iques ausgebaute, sortenrein­e Syrah animiert zur Vergleichs­probe mit Hermitage & Co.

Der ambitionie­rte Weinfreund hat es in der Hand, seinen ganz persönlich­en önologisch­en Grexit zu vermeiden. Sirenen hin, Orpheus her – hier lauert Suchtgefah­r. Griechisch­e Weine sind (mehr als) eine Sünde wert, gia maV !

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FOTOS: SIGALAS/COLOURBOX Griechisch­e Siedler haben Europa einst den Wein gebracht. Heute überzeugen Hellas’ Winzer mit hochwertig­en Gewächsen, wie beispielsw­eise im Norden des Landes oder auch auf der Insel Santorini (links).
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