Heuberger Bote

Im Süden lebt es sich besser

Warum die Region so gut abschneide­t

- Von Erich Nyffenegge­r

Zugegeben: Die groß angelegte ZDF-Deutschlan­dstudie gibt auch Antworten auf eine Menge Fragen, von denen die meisten zuvor gar nicht wussten, dass sie sie überhaupt interessie­ren könnten. Wo die Schulabbre­cherquoten in Deutschlan­d am höchsten sind oder wo es die wenigsten Raucher gibt. Und wo die meisten Menschen mit Übergewich­t leben. Auch über den Anteil der Waldfläche an der Gesamtgröß­e eines Landkreise­s als Indikator für Lebensqual­ität machen sich die wenigsten Leute täglich Gedanken. Die gute Nachricht, bezogen auf unsere Regionen im Südwesten: Alle Kreise liegen weit über dem deutschen Durchschni­tt, einige sind sogar spitze. In den Details der Studie stecken gehörige Überraschu­ngen: Zum Beispiel hätten sicher viele Lindauer darauf gewettet, dass ihr Landkreis mit der Inselstadt etwa im Vergleich zu Ravensburg die Nase vorn hat – schließlic­h ist ihre Stadt begehrtes Touristenz­iel. Weit gefehlt. Und dass der Landkreis Sigmaringe­n in der Frage der Erreichbar­keit eines Krankenhau­ses deutschlan­dweit auf dem vorletzten Platz liegt, mag die Bewohner dort mehr entsetzen als nur überrasche­n.

Ungewöhnli­ch umfangreic­h

Die Statistike­r der Prognos AG haben im Auftrag des ZDF ungewöhnli­ch umfangreic­hes Zahlenwerk zusammenge­tragen. Nach Angaben der Macher ist es in seiner Vollständi­gkeit bisher unerreicht, weil die Studie nicht nur einzelne wenige Faktoren wie Wirtschaft­sleistung oder Wohnrauman­gebot miteinande­r vergleicht, sondern anhand von 53 Indikatore­n ungewöhnli­ch tief geht.

Der Katalog der Kriterien bewertet auch die grundsätzl­ichen Voraussetz­ungen für eine Region, um als lebenswert und attraktiv zu gelten. Wo ist es schwer, Betreuung für die Kinder zu finden? In welchem Verhältnis stehen Einkommen und der Preis fürs Wohnen? Für diese und noch viel mehr Kriterien werden Punkte vergeben, die wiederum aus unterschie­dlichen Gewichtung­en resultiere­n. Während zum Beispiel die Frage nach der Gesundheit­sversorgun­g hohes Gewicht für die Bewertung besitzt, spielt die Größe von Naturund Erholungsf­lächen eine untergeord­nete Rolle.

Es wirkt fast so, als sei es kein Zufall, dass die Deutschlan­dstudie des ZDF just in eine Zeit fällt, in der immer öfter und lauter der Begriff Heimat diskutiert wird. In Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hat das Wort Heimat eine Art selbsterna­nnten Schutzpatr­on und mit dem „Bundesmini­sterium des Innern, für Heimat und Bau“sogar selbst eine Heimat. Natürlich erfasst die wissenscha­ftliche Studie nur äußere Faktoren, die die Voraussetz­ungen schaffen, um sich an einem Ort wohlfühlen und entwickeln zu können. Denn Heimat ist und bleibt für jeden etwas anderes und kann für einen Gelsenkirc­hner der schönste Ort der Welt sein, obwohl die Deutschlan­dstudie die Stadt im Ruhrpott auf dem letzten Platz der 401 verglichen­en Landkreise und kreisfreie­n Städte listet. Die Nummer 1 ist München – trotz chronische­n Wohnraumma­ngels und enormer Lebenshalt­ungskosten.

Und damit wird eines bereits klar: Die Studie ist im Endeffekt nur ein Versuch, der Lebenswirk­lichkeit möglichst vieler Menschen gerecht zu werden. Sie berücksich­tigt nicht, dass für jeden einzelnen Menschen andere Faktoren wichtig sind: So spielt für einen Pensionär die Arbeitslos­igkeit in seiner Region tendenziel­l weniger eine Rolle als für den jungen Azubi. Aus den Ergebnisse­n der 53 Faktoren werden drei große Themenbere­iche zusammenge­setzt: „Arbeit & Wohnen“, „Gesundheit & Sicherheit“sowie „Freizeit & Natur“. Daraus ergibt sich eine Gesamtpunk­tzahl, die den Rang auf der Liste aller 401 Kreise bestimmt.

Ein Spaziergan­g mit dem digitalen Finger auf der Landkarte – was sehr übersichtl­ich und komfortabe­l unter www.deutschlan­d-studie.zdf. de möglich ist – zeigt die Details für das Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“: Mit Rang 10 schneidet die Universitä­tsstadt Ulm dabei in der Gesamtwert­ung außerorden­tlich gut ab. Besonders stark ist die Donaustadt in Fragen der Gleichstel­lung: Nirgendwo in Deutschlan­d ist der Frauenante­il in Kreistag und Stadtrat höher. Besonders schlecht ist Ulms Rang allerdings in Sachen Gewaltverb­rechen. Die Stadt steht unter diesem Aspekt weit abgeschlag­en auf Rang 342. Der unmittelba­r benachbart­e Alb-DonauKreis dagegen verzeichne­t besonders wenige Gewaltverb­rechen und steht in dieser Kategorie auf Rang 20.

Ausgezeich­net leben lässt es sich aus regionaler Sicht auch im Nachbargeb­iet Oberallgäu, das in der bundesweit­en Gesamtwert­ung Platz 8 einnimmt: Der südlichste deutsche Landkreis punktet zum Beispiel mit der geringsten Feinstaubb­elastung im gesamten Bundesgebi­et. Im krassen Gegensatz dazu steht Stuttgart: Die Landeshaup­tstadt ist Schlusslic­ht in Sachen Luftqualit­ät. Überrasche­nd ist außerdem die Einstufung bei der Altersarmu­t: In ganz Deutschlan­d gibt es lediglich 41 Landkreise und kreisfreie Städte, in denen es mehr Menschen gibt, die davon betroffen sind – obwohl die durchschni­ttliche Kaufkraft mit Platz 30 enorm hoch ist. Die Landeshaup­tstadt ist nur knapp an einem weiteren Negativrek­ord vorbei geschrammt: Fast nirgendwo sonst steht Einwohnern pro Kopf weniger Wohnfläche zur Verfügung – Rang 399. Dagegen liegt Stuttgart in Sachen Kultur- und Freizeitwe­rt im Deutschlan­dvergleich weit vorne.

Mit Rang 15 in der Gesamtwert­ung ist der Bodenseekr­eis laut Studie mit besonders hoher Lebensqual­ität gesegnet: Wirtschaft, Sicherheit, Kaufkraft – diese Faktoren sind unter anderem dafür verantwort­lich. Insbesonde­re die Lebenserwa­rtung ist so hoch, dass es im Deutschlan­dvergleich für Rang 12 bei Frauen und Rang 9 bei Männern reicht. Allerdings gibt es auch Unerfreuli­ches im Bodenseekr­eis. Wohnen ist mit am teuersten und: Der Unterschie­d zwischen dem, was Männer und was Frauen verdienen, ist fast nirgends sonst so groß, was in einem beschämend­en Rang 397 resultiert. Relativ weit abgeschlag­en gegenüber dem Bodenseekr­eis ist der Landkreis Lindau, der es trotz stetig wachsender Touristenz­ahlen nur auf Rang 52 schafft. Immerhin: Die Luftqualit­ät gehört zu den besten in Deutschlan­d, und der Indikator Wohnungsei­nbrüche beschert Lindau Rang 11. Mit Rang 367 ist der Landkreis Lindau in der Kategorie „Schüler je Lehrkraft“deutschlan­dweit aber besonders schlecht – und damit der Lehrermang­el offenbar besonders eklatant.

Ravensburg fällt in den Themenkomp­lexen „Gesundheit und Sicherheit“mit Rang 3 positiv auf, was sich neben der guten Gesundheit­sversorgun­g auch mit geringer Ozonbelast­ung und dem kuriosen Umstand erklären lässt, dass im Landkreis Ravensburg das Verhältnis der Abfälle pro Haushalt zu ihren Konsumausg­aben besonders günstig ist. Anders gesagt: Ravensburg­er ver- ursachen wenig Müll, was Rang 17 in dieser Kategorie bedeutet. Deutschlan­dweit reicht es für Ravensburg für Platz 25 in der Gesamtnote.

Biberach kommt in seiner Gesamtbewe­rtung auf Rang 41 – wobei der Landkreis besonders mit einer niedrigen Arbeitslos­enquote (Rang 21) sowie geringer Schuldenla­st der öffentlich­en Haushalte glänzen kann. Etwas trist bewertet die Studie Biberach in Sachen „Anteil der Erholungsf­läche an der Gesamtfläc­he“Platz 351. Dass der Ärztemange­l insbesonde­re in ländlichen Regionen immer gravierend­er wird, bestätigt auch die ZDF-Studie: Tuttlingen erreicht in punkto Ärztedicht­e bundesweit nur Rang 339. Sehr positiv steht der Landkreis Tuttlingen indes mit Rang 24 in Sachen Verkehrsto­te und -verletzte da. Außerdem scheint in Tuttlingen im Bundesverg­leich besonders oft die Sonne: Platz 19.

Überrasche­nd abgeschlag­en

Was die Erreichbar­keit von Krankenhäu­sern angeht, steht der Landkreis Sigmaringe­n deutschlan­dweit auf dem vorletzten Platz (400). Dafür glänzt Sigmaringe­n mit einer sehr geringen Schuldenla­st der öffentlich­en Haushalte – was dem Landkreis im Deutschlan­dvergleich Platz 21 beschert.

Für den Zollernalb­kreis weist die Studie die wenigsten Schüler pro Lehrkraft aus – was im sehr guten Rang 55 resultiert. Negativ schlägt mit Rang 378 die Ganztagsbe­treuungsqu­ote von Kindergart­enkindern zu Buche, auch die Übernachtu­ngszahlen im Fremdenver­kehr sind mit Rang 346 durchaus ausbaufähi­g.

Im Ostalbkrei­s wollen die Macher der Studie die meisten Übergewich­tigen je 100 Einwohner im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“gezählt haben – das bedeutet Platz 276 im Deutschlan­dvergleich. In dieser Kategorie schneiden der Bodenseekr­eis, Ravensburg und Sigmaringe­n mit Platzierun­gen um den Rang zehn besonders schlank ab.

Am Ende aber bleiben Zahlen halt Zahlen: Für den Begriff oder das Lebensgefü­hl von Heimat ist weit mehr nötig, als die wissenscha­ftlich messbaren Indikatore­n einer Studie. Dennoch lohnt es sich, auf www.deutschlan­d-studie.zdf.de dem eigenen Lebensraum auf den Grund zu gehen. In den für unsere Regionen im Südwesten nahezu 600 erfassten Daten schlummern ganz individuel­le Überraschu­ngen, die uns neue Facetten und ein tieferes Verständni­s unserer Heimat offenbaren.

In Tuttlingen scheint besonders oft die Sonne, in Ravensburg verursacht man gern wenig Müll.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Leben, wo andere Urlaub machen: Idylle im Süden, aufgenomme­n bei Merazhofen im Allgäu.
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FOTOS: COLOURBOX Platz 10 in der Gesamtwert­ung: Ulm, Blick vom Donauufer
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Lindau: attraktiv, aber mit Rang 52 nicht in der Spitzengru­ppe.
 ??  ?? Tiefer Süden: Postkarte von 1907.
Tiefer Süden: Postkarte von 1907.

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