Der holprige Weg nach Osten
Das neue Nato-Logistikkommando in Ulm soll Truppentransporte erleichtern
- Wenn die Nato Truppen nach Osten transportiert, dann ist das oft schwierig. Längst zur Legende geworden ist in Nato-Kreisen etwa die Geschichte über einen unglücklichen rumänischen Zöllner. Der soll im Juli 2017 eine amerikanische Panzerkolonne des 2. Kavallerie-Regiments auf dem Weg ins Manöver gestoppt, nach Papieren gefragt und die GIs wegen fehlender Dokumente stundenlang aufgehalten haben.
Ernster wurde es, als deutschen Polizisten im Juli 2017 in der Nähe der sächsischen Stadt Bautzen sechs US-Panzerhaubitzen auf einem Transportkonvoi aus Polen begegneten. Denn es fehlten nicht nur Genehmigungen und Transportdokumente. Die Ladung war für deutsche Straßen zu breit und zu schwer, die Tieflader waren um 16 Tonnen überladen. Und die Fahrer hatten schon unerlaubt lange hinterm Steuer gesessen. Erst nach einer Zwangspause ging’s im Manöver „Operation Atlantic Resolve“weiter. Niemand hatte den US-Soldaten vor ihrer Übung klar gemacht, dass deutsche Straßen enger und deutsche Brücken nicht so stabil sind wie daheim in den USA.
Solche Vorfälle klingen lustig. Sie weisen aber auf einen ernsten Missstand hin: Nach der Osterweiterung der Nato und dem Beitritt von Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes seit 1999 versäumte es das Bündnis, die Transportwege für Nachschub in Richtung Osten genauer anzuschauen, sie zu analysieren, zu dokumentieren und auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, wie Nato-Kreise unumwunden einräumen.
Mit der Entscheidung, das Transportund Logistikkommando (Joint Support and Enabling Command/ JSEC) der Nato aufzubauen, will das Bündnis diesen Mangel beheben. Das neue Kommando in Ulm soll künftig helfen, Hürden zu beseitigen. Es wird für die Verlegung, die Unterstützung und den Schutz alliierter Streitkräfte in Europa zuständig sein. Generalleutnant Jürgen Knappe, Befehlshaber des Ulmer Multinationalen Kommandos Operative Führung, formuliert es so: „Das Kommando wird die Operationsfreiheit des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa im rückwärtigen Raum garantieren, in dem es Kräfte führt, schützt, trainiert und verlegt.“Am „Ulmer Kommando“wird der künftige JSEC-Stab auch organisatorisch angegliedert. Bereits im Oktober 2019 könnte es dann seine Arbeit aufnehmen. Die volle Einsatzbereitschaft ist für 2021 vorgesehen. Ein weiteres neues Kommando zur Sicherung der Verbindungen über den Atlantik soll in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia entstehen.
Die Zeit drängt: Vor allem die baltischen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen fühlen sich seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts bedroht. In der Ostukraine stehen sich seit 2014 von Moskau unterstützte prorussische Separatisten und Regierungstruppen aus Kiew gegenüber. Im Falle einer neuen Krise könnten Truppentransporte aus Mittelund Westeuropa ins Baltikum jedoch zu lange dauern. In einem als geheim eingestuften Nato-Bericht äußerten Militärs zuletzt allerdings Zweifel daran, ob die Allianz noch angemessen und schnell genug auf einen russischen Überraschungsangriff reagieren könnte.
Darum will das neue Kommando, dessen Aufbau in den nächsten Tagen beginnt, zügig Ergebnisse liefern. Man müsse vor allem in Osteuropa Brücken, Straßen, Flughäfen, Wasserstraßen
und Häfen prüfen, heißt es in Nato-Kreisen. In Deutschland kenne man die Verhältnisse, in Osteuropa nicht.
Praktische Fragen sind zu klären
Auch sei es wichtig zu wissen, welche geeigneten Verkehrswege es beispielsweise zwischen den Nachschub-Häfen Antwerpen oder Bremerhaven und Osteuropa gebe. Es sei zu fragen: „Sind Autobahnen und Brücken eigentlich für schwere Panzer geeignet?“
Sorgen bereiten neben dem Zustand von militärisch nutzbaren Straßenund Schienenverbindungen in Richtung Osten vor allem bürokratische Hürden beim Transport von Truppen und Ausrüstung.
Das neue Kommando wird Lösungen erarbeiten, die teuer werden dürften. Doch auch die EU-Kommission hat erkannt, dass besonders schwere oder überdimensionierte Militärfahrzeuge derzeit nicht überall auf Europas Straßen fahren können. Ein Kampfpanzer Leopard 2 etwa wiegt 64 Tonnen und ist 3,7 Meter breit. Angesichts des angespannten Verhältnisses zu Russland schlägt die EU-Kommission vor, im kommenden Jahrzehnt 6,5 Milliarden Euro in panzertaugliche Verkehrswege zu investieren. Damit sollten von 2021 bis 2027 Schienennetze, Straßen und Brücken ausgebaut werden. Somit wäre ein Finanzier für die Pläne, die in Ulm entstehen, gefunden. Natürlich hat die Nato in den vergangenen Monaten ein Auge auf das „Ulmer Kommando“geworfen, denn wir haben ja den „Nato-TÜV“bestanden. Weiter hatte Deutschland ja angeboten, das neue Kommando aufzubauen. Und dann lag es auf der Hand, einen Stab mit dem Aufbau zu beauftragen, der im Bereich der Streitkräfteunterstützung liegt und schon international wie auch für Heer, Luftwaffe, Marine und Spezialkräfte arbeitet. Dann kommt man schnell auf Ulm.
Wie geht’s jetzt konkret weiter?
Ich erwarte, dass ich in zwei bis drei Wochen den Auftrag erhalten werde, einen Aufstellungsstab mit 20 bis 30 Mann einzurichten. Dieser wird nach den Vorgaben der Nato und der Streitkräftebasis eine Feinplanung übernehmen: Diese wird vor allem einen Vorschlag für die Größe des Stabes im Regelbetrieb und bei einem Aufwuchs in Übungen und im Einsatz beinhalten. Was erwartet die Nato vom neuen Kommando? Was erwartet die Streitkräftebasis? Der Aufstellungsstab wird dann auch einen Vorschlag machen, wie groß das neue Kommando werden wird.
Mit welcher Größe rechnen Sie?
Im Regelbetrieb könnte der Stab etwa 90 bis 100 Dienstposten umfassen: Dies wird sich aus der Feinausplanung ergeben. Dieser Stab ist zuständig für die Planungsarbeit und beinhaltet auch Spezialisten für Transport und Logistik. Bei Großübungen oder im Einsatz könnte dieser Stab um 450 bis 500 Soldaten aufwachsen. Diese Soldaten sind Spezialisten und stammen aus allen Bereichen des Ulmer Kommandos, aber auch aus den verschiedenen Bereichen der Streitkräftebasis: unter anderem Feldjäger, weitere Logistikfachleute, Spezialisten aus der zivil-militärischen Zusammenarbeit, ABC-Abwehrfachleute und auch Kräfte aus dem neuen Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum.