„Ich hatte teils den Bezug zu mir selbst verloren“
Andy Feind liest in Gunningen aus seinem Buch „Gedankengewitter – Inmitten meines Depressionstornados“
- Vor zehn Jahren saß Andy Feind an den Bahngleisen und wollte sich das Leben nehmen, heute möchte er anderen Betroffenen helfen und wendet sich an die Öffentlichkeit. Sein demnächst erscheinendes Buch „Gedankengewitter“, das Einblicke in sein Leben mit chronischer Depression gibt, stellt der junge Autor am 22. Juni auf Einladung der Nachbarschaftshilfe „Wir für Sie“in Gunningen vor. Unsere Redakteurin Larissa Schütz hat sich vorab mit ihm unterhalten.
Herr Feind, in Ihrem Buch geht es vor allem um Ihr Leben mit chronischer Depression. Wie lange leiden Sie unter der Krankheit bereits?
Seit knapp 17 Jahren. Der Auslöser war 2001 der Tod meiner besten Freundin. Sie kam bei einem Autounfall ums Leben. Damals war ich gerade 16 Jahre alt, und es brach eine Welt für mich zusammen. Ich sackte in der Schule ab. Meine Trauerphase zog sich bis in meine erste Ausbildung hinein, die ich dann letztendlich auch geschmissen habe. Es ging mir schlecht, ich isolierte mich zunehmend von meiner Umgebung. Ich wusste aber noch nicht, was mit mir los ist, schon gar nicht, dass ich an einer Depression leide.
Wann haben Sie erkannt, dass Sie so nicht weitermachen wollen?
Im Herbst 2008 saß ich an den Bahnschienen in St. Georgen und war fest entschlossen, mir das Leben zu nehmen. Nur durch einen Zufall habe ich es nicht getan – ich hörte Polizeisirenen und dachte, meine Familie und Freunde suchen nach mir und rannte nach Hause. Die Polizei war zwar nicht meinetwegen unterwegs, aber für mich war klar, dass sich jetzt etwas ändern muss. Also bin ich zum Arzt gegangen – und bin dort erstmals mit der Diagnose ,Depression’ konfrontiert worden. Es war ein langer Kampf, bis es wieder aufwärts ging. Ich habe mehrere Therapien gemacht. Der Gedanke, ein Buch zu schreiben, kam mir 2016 während eines Tagesklinikaufenthaltes, weil ich schon immer sehr offen über die Krankheit sprechen konnte. 13 Seiten habe ich bereits 2009 verfasst, dann ist das Manuskript erstmal in der Schublade gelandet. 2016 habe ich es dann wieder herausgeholt und weitergeschrieben – das war in gewisser Hinsicht auch therapierend. Ich habe vieles verarbeitet und mich mit mir und meinem Leben auseinandergesetzt, zum Beispiel mit dem Tod meines Vaters, den ich mithilfe des Buches weiter verarbeiten konnte, indem ich beim Schreiben alles neu durchlebt habe.
Sie schreiben das Buch unter einem Pseudonym. Was hat es mit dem Namen Andy Feind auf sich?
Das Pseudonym habe ich hauptsächlich gewählt, um mich beruflich zu schützen. Und es passt auf mich und meine Situation. Eigentlich bedeutet es undefined, auf Englisch „unbestimmt“. Gewählt habe ich es, weil ich mich durch die Depression so gefühlt habe, ich hatte teils den Bezug zu mir selbst verloren. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah mich an manchen Tagen ein Fremder an.
Wie kam der Kontakt zur Nachbarschaftshilfe zustande?
Eine Bekannte von mir arbeitet dort und kam auf mich zu, nachdem ich mein Buch zum ersten Mal im Rahmen der Gesundheitswoche in St. Georgen vorgestellt hatte. Die Veranstaltung war ein großer Erfolg: Es waren rund 180 Leute da, viele mussten stehen oder saßen auf dem Boden. Damit hätte ich nie gerechnet, aber es war natürlich eine große Bestätigung. Es hat mir gezeigt, dass Bedarf da ist, über die Krankheit zu sprechen und dass ich wohl etwas richtig mache.
Was können Besucher bei Ihrer Lesung erwarten?
Meine Lesung wird einige Kapitel meines bald erscheinenden Buches enthalten, Geschichten für zwischendurch, ein paar Fakten und auch eine nötige Prise Humor. Ich möchte auch Fragen beantworten und scheue mich nicht davor, zu antworten. In St. Georgen gab es eine große Fragerunde und danach konnten die Leute auch persönlich auf mich zukommen. Einige sind auch gekommen, weil sie selbst betroffen sind. Ich weiß, dass Depression ein schwieriges Thema ist und es auch schwierig werden kann, wenn ich so ehrlich damit umgehe. Ich nehme es keinem übel, wenn er deshalb den Saal verlassen muss. Trotzdem versuche ich auch, mit Humor an das Thema zu gehen. Man muss auch über sich selbst lachen können – die Krankheit ist schwer und ernst genug.
Sie sagen, Schreiben war für Sie selbst therapierend. Mit Ihrem Buch möchten Sie aber auch anderen helfen.
Ja, definitiv. Mein Buch soll Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, Angehörigen deutlich machen, was der Betroffene durchmacht und Leute sensibilisieren, die bisher nichts über die Krankheit wussten.