Die ganze Welt auf einem Platz
Die Kursstufe Zwei „Theater und Literatur“führt Peter Handkes Spiel ohne Worte auf
- Die Licht- und Tontechniker dürfen endlich einmal auf die Theaterbühne. Dafür agieren die Schauspieler direkt im Saal auf einem niedrigen Podest. Und das in einem Stück ganz ohne Worte: 21 Absolventen der Kursstufe Zwei „Theater und Literatur“am OHG proben derzeit unter der Gesamtleitung ihrer Lehrerin Ines Schönberger intensiv für Peter Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten.“
„Die Bühne ist ein freier Platz in hellem Licht. Es beginnt damit, dass einer schnell über ihn wegläuft“, lautet Handkes erste Regieanweisung. Wie aus einem Straßencafé heraus beobachten die Zuschauer den Mikrokosmos auf dem Platz, den Menschen auf die unterschiedlichsten Arten queren: schreitend, laufend, schlendernd, schleichend, kokettierend, robbend, hüpfend oder radschlagend. Alte Frauen trippeln mit ihren Einkäufen, ein junges Mädchen läuft Rollschuh, eine Blinde tastet sich verunsichert vorsichtig weiter. Alltägliches, aber auch Besonderes gibt es zu sehen: Wanderer, Angler, Bettler, Straßenkehrer oder Feuerwehrleute gehen auf dem Platz ihrer Beschäftigung nach.
Jeder Schauspieler entwickelt aus Handkes Regieanweisung heraus für seine Rolle eine kurze Episode. Viel Zeit bleibt nicht, sie dem Publikum zu vermitteln: einmal über die Bühne und schon wechselt mit atemberaubender Geschwindigkeit das Bild wieder. Bei den sorgfältig choreographierten Massenszenen am Anfang und am Ende ist es dem Zuschauer gar nicht möglich, alles aufzunehmen, was sich parallel abspielt.
Für die Vielzahl an Rollen steht für jeden Akteur ein Tisch mit Requisiten bereit. Dort hilft auch je ein persönlicher Coach beim schnellen Umziehen. Eng zur Truppe gehören zudem die Bühnentechniker, die passgenaue Geräusche und Lichtstimmungen zaubern – und Musiklehrer Andreas Reif. Er improvisiert sensibel und hinreißend am Flügel.
Wenig Text, noch immer aktuell
Auch nach 26 Jahren wirkt Handkes Stück noch außergewöhnlich. Wie haben die Schüler auf die Stückauswahl ihrer Lehrerin reagiert? Die junge Männerriege bekennt einhellig: „Wir haben uns gefreut, dass wir keinen Text auswendig lernen mussten!“Die Schülerinnen waren dagegen skeptischer: Spielen ohne die Möglichkeit des sprachlichen Ausdrucks? Die Konsequenz war harte Arbeit an der Körpersprache. Dafür hat Ines Schönberger professionelle Unterstützung dazugeholt: Schauspielerin Simonetta Zillhardt übernimmt das Training in „Körperarbeit“: Körperspannung, schon auf dem Weg zur Bühne und zurück, und immer wieder: Atmen!! Als Regieassistenten sind zudem die Ehemaligen Leonard Mankowski und Alina Diekmeier mit im Boot.
Schon der Aufbau wird den Zuschauern am Freitagabend verraten: Hier erwartet sie kein klassisches Theaterstück. Und ein typisches Stück für eine Schüleraufführung schon gar nicht. Handke reiht seine Regieanweisungen über 64 Seiten hinweg eher spröde aneinander. „Es ist das schwierigste Stück, an das ich mich je getraut habe“, sagt Schönberger. Ihre Courage hat sich gelohnt. Die Mitglieder der Theaterfamilie bringen sich ein, entwickeln mit Hingabe ihre Figuren, wollen in der Probe keine Pause, sondern lieber zu Ende spielen, haben Feuer gefangen.