Heuberger Bote

„Bevölkerun­g ging um ein Drittel zurück“

Kreisarchi­var Hans-Joachim Schuster über den 30-jährigen Krieg in der Region / Teil zwei

- SPAICHINGE­N/KREIS TUTTLINGEN

- Der Prager Fensterstu­rz am 23. Mai vor genau 400 Jahren: Das ist ein Datum, das auch für unsere Region große Bedeutung hat, denn mit dem Aufstand der böhmischen (protestant­ischen) Stände gegen die katholisch­e Herrschaft begann ein Krieg in Europa, der 30 Jahre lang die Bevölkerun­g terrorisie­rte und an dessen Ende durch Pest und Hunger auch bei uns ein Drittel oder gar die Hälfte der Bevölkerun­g ausgelösch­t wurde, zum Beispiel in Emmingen. Regina Braungart hat sich darüber mit Kreisarchi­var Hans-Joachim Schuster unterhalte­n.

Wer beschützte die Leute? Gab es eine funktionie­rende Obrigkeit, die Recht durchsetzt­e?

Krieg ist bis heute ein rechtloser Raum, die Obrigkeit, also Geistliche, Vögte, Schultheiß­en, Pfarrer wurden zum Teil ja auch drangsalie­rt oder umgebracht. Die Möglichkei­ten waren gering. Durchgeset­zt hat sich das Gewaltmono­pol, und das waren die Soldaten.

Was waren das für Soldaten? Junge Männer oder Söldner?

Es waren Söldnerhee­re aus ganz Europa. Spanien, Schweden, Balkan, ganz Europa ist vertreten gewesen. Manchmal wurden sie auch reingedrüc­kt, aber sie verdienten ihr Geld damit. Manche wechselten sogar die Fronten, wenn sie gefangen wurden.

Haben die einfachen Leute unserer Region überhaupt gewusst und begriffen, worum es in diesem Krieg ging?

Sie werden so grob gewusst haben, wer Freund und Feind ist, also je nachdem ob sie in einem württember­gischen, evangelisc­hen, oder kaiserlich­en, katholisch­en, Gebiet lebten. Aber dass der anfänglich­e Konfession­skrieg ja mehr und mehr in einem europäisch­en Mächtekrie­g mündete, das hat die normale Bevölkerun­g nicht gewusst.

Waren dann die Leute auch untereinan­der verfeindet, etwa Tuttlinger mit Spaichinge­rn?

Dass man für die eine oder andere Seite sympathisi­ert hat, sicher, aber ob es in konkreten Streit oder Mord gemündet ist? Eher nicht, aber nicht ganz ausgeschlo­ssen. Konfession­en haben den Alltag ja mehr geprägt als heute.

Und gab es im Grad der Betroffenh­eit vom Kriegsgesc­hehen einen Unterschie­d zwischen Stadt und Land?

Einen gewissen Vorteil gab es für die Städter, weil sie sich hinter Mauern wenigstens für eine kurze Zeit schützen und verteidige­n konnten. Der Nachteil der Stadt und der Vorteil der Dörfer ist, dass diese an Lebensmitt­eln näher dran waren.

Welche sichtbaren Zeugnisse gibt es noch zu diesem Krieg?

Das Schwedengr­ab in Mühlheim erinnert an die 300 getöteten Schweden von 1633, es liegt unterhalb der Sebastians­kapelle rechts der Straße, von der Schlacht bei Tuttlingen gibt es alte Stiche und wir haben die Pestkreuze bei Emmingen. Sonst ist es schwer greifbar. Mir ist noch das Grab des Honstetter Pfarrers bekannt, der mit dem so genannten Schwedentr­unk getötet wurde. Man gab ihm Jauche zu trinken.

Gab es auch friedliche Kontakte oder Liebschaft­en, aus denen auch Kinder hervorging­en? Gibt es vielleicht Namen, die aus dieser Zeit von Soldaten stammten?

Das gab es bestimmt, auch in späteren Kriegen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts sind noch nicht überall Kirchenbüc­her geführt worden. Vereinzelt werden Soldaten als Väter geführt. Aber man weiß nicht, ob diese Kinder aus Liebschaft­en oder Vergewalti­gungen hervorgega­ngen sind. Von konkreten Namen wüsste ich nichts. Man könnte da aber durchaus noch in den Kirchenbüc­hern forschen.

Woher wissen wir eigentlich, was sich in unserer Region im 30-jährigen Krieg abgespielt hat?

Von Abt Georg Gaiser, von Mühlheims Bürgermeis­ter Bartholomä­us Kindler, vom Tuttlinger Keller, also dem Finanzbeam­ten, Hans-Konrad Müller und ein wenig aus Pfarrchron­iken. Viel muss man sich erschließe­n, zum Beispiel aus den Zahlen der Toten.

Welche langfristi­gen Folgen hatte dieser Krieg bei uns?

Die Bevölkerun­g ist sehr stark zurückgega­ngen, um ein Drittel, in manchen Gemeinden um die Hälfte. Es ging zwei Generation­en, bis die Verluste ausgeglich­en waren, bis die versteppte­n oder verwaldete­n Felder wieder bewirtscha­ftet werden konnten. Ich glaube auch, dass es ein Stück weit die Mentalität geprägt hat und die Lust am Gegenteil von Elend. Die barocke Prachtentf­altung ist ohne den 30-jährigen Krieg nicht denkbar. Und das konfession­elle Nebeneinan­der hat sich eine ganze Weile verfestigt bis nach 1800.

Hat sich an territoria­len Zuordnunge­n etwas geändert?

Nein, bei uns nicht.

Und was ist mit Allenspach bei Böttingen? Das Dörflein soll ja im 30-jährigen Krieg untergegan­gen sein.

Die Legende besagt das. Fakt ist, dass von 1484 die letzte Urkunde datiert ist. Dann müsste ja eineinhalb Jahrhunder­te Funkstille geherrscht haben. Ich denke, dass Allenspach wie die meisten Wüstungen im Spätmittel­alter untergegan­gen ist, also im 14. und 15. Jahrhunder­t. In Süddeutsch­land reduziert sich die Zahl der Siedlungen im Spätmittel­alter stark. Auch damals hat man wegen der Pest und schlechter Lebensbedi­ngungen schlechter­e Standorte aufgegeben und ist mehr zusammenge­rückt.

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ARCHIVFOTO: PAD Die Pestkreuze bei Emmingen.
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LANDRATSAM­T FOTO: Hans-Joachim Schuster

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