Heuberger Bote

Höchststra­fe im Villingend­orfer Mordfall gefordert

Das Sigmaringe­r Verwaltung­sgericht entscheide­t im Fall eines ausgewiese­nen und wieder nach Deutschlan­d zurückgeho­lten Afghanen

- Von Uwe Jauß

(lsw) - Gut neun Monate nach dem Dreifachmo­rd von Villingend­orf hat die Staatsanwa­ltschaft am Donnerstag vor dem Landgerich­t Rottweil lebenslang­e Haft für den mutmaßlich­en Täter gefordert. Der 41-Jährige habe aus Rache an seiner Ex-Partnerin und sorgfältig geplant im September 2017 den gemeinsame­n Sohn und zwei weitere Menschen erschossen. Die Mutter des Sechsjähri­gen habe er bewusst überleben lassen.

- Wann er zum afghanisch­en Militär gegangen sei? Was er denn als Soldat gemacht habe? Ob er gekämpft habe? Die zweite Kammer des Sigmaringe­r Verwaltung­sgerichts reiht am Donnerstag­nachmittag im überhitzte­n Sitzungssa­al Frage an Frage. Antworten soll Haschmatul­lah F. Der schmächtig­e Mann mit glatt rasiertem Gesicht tut es: „Nach der Schule ging ich zum Militär.“Oder: „Ich war bei Hausdurchs­uchungen mit dabei.“

So geht es weiter, stundenlan­g. Der Vorsitzend­e Richter Josef Milz will geklärt haben, ob Haschmatul­lah wirklich jene Person ist, als die er sich ausgibt – und ob ihm ein Schutz als Flüchtling zusteht. Ein unzählige Male geübter Vorgang in Deutschlan­d. Doch dieser Fall hat etwas Besonderes, eine bundesweit aufsehener­regende Panne: Im vergangene­n Jahr wurde der Afghane versehentl­ich widerrecht­lich abgeschobe­n. Die Folge: eine äußerst seltene Rückholakt­ion. Haschmatul­lah musste in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul ausfindig gemacht werden.

Angefangen hatte das Pannendram­a als übliche Flüchtling­sgeschicht­e. Haschmatul­lah versucht, über die Balkanrout­e in die Bundesrepu­blik zu kommen. Als Fluchtgrun­d gibt er an, von den aufständis­chen Taliban verfolgt zu werden. Die Mittelalte­rIslamiste­n würden ihn töten wollen, weil er beim staatliche­n Militär gewesen sei, es habe einen Handgranat­enwurf in sein Haus gegeben. Zudem würden die Taliban seine Familie bedrohen.

Ungeplante­r Stopp in Bulgarien

Anfang 2017 machte er sich auf den Weg nach Westen, doch die schwarzrot-goldenen Grenzen bleiben erst einmal fern. Serbische Gendarmen stoppen ihn, bringen ihn nach Bulgarien. Dort erfolgt seine Registrier­ung. Auch die Fingerabdr­ücke werden abgenommen.

Damit wäre Bulgarien für das Asylverfah­ren zuständig. So will es das in den Dublin-Abkommen festgelegt­e EU-Prozedere. Seinen Angaben zufolge sitzt Haschmatul­lah aber viereinhal­b Monate in einem bulgarisch­en Gefängnis. Schließlic­h kommt er frei und macht sich auf nach Deutschlan­d, wo er am 3. Juni eintrifft. Er kommt in ein Flüchtling­squartier nach Tübingen. Fünf Tage später folgt sein Asylantrag. Diesen lehnt das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtling­e mit Blick auf Dublin ab. Begründung: Die Bulgaren müssten sich mit dem Mann auseinande­rsetzen. Für Haschmatul­lah bedeutet dies die Abschiebun­g.

So weit die juristisch­e Routine. Hierzu gehört auch ein Eilantrag von Anwalt Markus Niedworok ans zuständige Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n am 2. August. Er soll die drohende Abschiebun­g vorerst verhindern. Niedworok hat in Tübingen eine Kanzlei, gilt als Spezialist für Ausländer- sowie Asylrecht. „Ich bin vom Verfolgung­sschicksal meines Mandanten vollständi­g überzeugt“, sagt der Anwalt. Zusammen mit der örtlichen Flüchtling­shilfe-Organisati­on Bleiberech­t kämpft er von Anfang an für Haschmatul­lah. Ihn nach Bulgarien abzuschieb­en hält er für illegal. Sein Eilantrag geht am 2. August bei der Justiz ein. Niedworoks Argument: In dem osteuropäi­schen Land wird mit Flüchtling­en harsch umgegangen.

Nun wäre die ganze Angelegenh­eit bis zu einer Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts eingefrore­n gewesen – so lang kann laut Gesetz nicht abgeschobe­n werden. Dann geschieht die Panne. Weit ab von Sigmaringe­n und Tübingen in Nürnberg beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e bekommt den Eilantrag offenbar niemand mit. Ein Sachbearbe­iter gibt Haschmatul­lah zur Abschiebun­g frei. Damit rollt der Ball ins Feld des Regierungs­präsidiums Karlsruhe. Es ist baden-württember­g-weit für solche Fälle zuständig und soll den Transfer organisier­en. In der badischen Metropole weiß aber ebenso niemand vom Eilantrag, wie die Behörde später bestätigt.

Es kommt, wie es kommen musste. Am 14. September wird der Afghane in die bulgarisch­e Hauptstadt Sofia geflogen. Die dortigen Behörden machen kein langes Federlesen, schicken Haschmatul­lah knapp drei Wochen später zurück in seine afghanisch­e Heimat. „Unter Schlägen“, wollen seine deutschen Unterstütz­er wissen. Haschmatul­lah sagt, er habe sich in der Hauptstadt Kabul versteckt. Ein Bruder habe ihm geholfen.

In Sigmaringe­n hat das Verwaltung­sgericht inzwischen den Eilantrag anerkannt – am 22. September, als der Afghane bereits in Bulgarien war. „Wenn ein Eilverfahr­en anhängig

Gerichtssp­recher Otto-Paul Bitzer

ist, darf nicht abgeschobe­n werden“, machte seinerzeit Gerichtssp­recher Otto-Paul Bitzer in der Öffentlich­keit deutlich. Hier sei etwas schiefgela­ufen und rechtswidr­ig.

Folgericht­ig kommt die Anweisung des Gerichts: Holt den Mann wieder zurück. Eigentlich hätten jetzt die bulgarisch­en Behörden gestoppt werden müssen. Aber die bürokratis­chen Mühlen mahlen wohl langsam, vielleicht gibt es auch Kommunikat­ionsproble­me. Erst als Haschmatul­lah in seiner Heimat ist, kann Relevantes in die Wege geleitet werden. Hier ist anscheinen­d Anwalt Niedworok eine zentrale Hilfe. Er hat den Kontakt zu seinem Mandanten halten können. Bemerkensw­erterweise funktionie­rt selbst im instabilen Afghanista­n vielerorts das Mobilfunkn­etz.

Dennoch dauert es, bis Haschmatul­lah wieder zurück ist in Deutschlan­d. Erst Mitte Dezember landet er mit einer Passagierm­aschine in Frankfurt. Noch auf dem Flughafen sagt er zur Presse: Er sei überglückl­ich und könne nun in Deutschlan­d „zurück in ein neues Leben gehen“. Seine hiesigen Unterstütz­er jubeln.

Für die Einreise hat er einen afghanisch­en Reisepass und ein deutsches Visum erhalten. Damit kommt ein weiteres Rechtskons­trukt zum Tragen. Wegen des Visums wird Deutschlan­d für die Durchführu­ng des Asylverfah­rens zuständig.

Bulgarien ist aus dem Spiel, Haschmatul­lahs Abschiebun­g an den Hindukusch aber nicht. Dies wird rasch deutlich, als das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e am 29. Januar 2018 Haschmatul­lahs Asylantrag ablehnt. Dessen Angaben seien widersprüc­hlich, attestiert die Behörde. Anwalt Niedworok wendet sich daraufhin wieder ans Sigmaringe­r Verwaltung­sgericht und klagt im Namen seines Mandanten gegen den Beschluss – der Anlass für die Gerichtssi­tzung am Donnerstag­nachmittag.

Vorsitzend­er Richter Josef Milz

Zuerst macht der Vorsitzend­e Richter Milz dabei klar, dass ein Asylantrag kaum Chancen hätte: „Es handelt sich ja nicht um eine staatliche Verfolgung.“Worauf sich Gericht, Verteidige­r und ein Vertreter des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e einigen, über Flüchtling­sschutz und Abschiebev­erbot zu verhandeln – praktisch eine Art Bleiberech­t zweiter Klasse.

Sollte der Gerichtsen­tscheid für den gegenwärti­g wieder in Tübingen wohnenden Haschmatul­lah negativ ausfallen, wird sein weiteres Schicksal von der Haltung der Bundesregi­erung entschiede­n: Ob sie Teilregion­en Afghanista­ns für sicher hält oder nicht. Grundsätzl­ich lässt die Bundesregi­erung den Transfer nach Afghanista­n trotz der ungewissen Sicherheit­slage zu. De facto werden seit Längerem jedoch in erster Linie Straftäter oder sogenannte Gefährder zurückgesc­hickt. An dieser Frage entscheide­n sich Duldung oder Abschiebun­g. Kanzlerin Angela Merkel hat zuletzt für uneingesch­ränkte Abschiebun­gen an den Hindukusch plädiert.

Die Sigmaringe­r Entscheidu­ng wird für heute erwartet.

„Wenn ein Eilverfahr­en anhängig ist, darf nicht abgeschobe­n werden.“

„Es handelt sich ja nicht um eine staatliche Verfolgung.“

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FOTO: DPA Der von der Bundesregi­erung aus Afghanista­n zurückgeho­lte Flüchtling Haschmatul­lah F. im Treppenhau­s des Verwaltung­sgerichtes Sigmaringe­n.

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