Heuberger Bote

Ein himmlische­s Hochbeet

Warum Raumfahrer Tomaten im Weltall züchten

- Von Irena Güttel FOTO: DPA

(dpa) - Diese Tomaten wird nie jemand essen. Trotzdem werden Wissenscha­ftler ganz genau darüber wachen. 16 Kameras werden ihr Gedeihen rund um die Uhr aufzeichne­n. Jens Hauslage dämpft gleich die Erwartunge­n: „Es ist schon ein Erfolg, wenn sie keimen und ein bisschen wachsen. Eine Frucht wäre perfekt“, sagt der Kölner Gravitatio­nsbiologe. Bald werden die Pflanzen zu ihrer Mission unter Extrembedi­ngungen aufbrechen – so, als würden sie auf Mond oder Mars wachsen.

Noch haben die Tomatensam­en kein Wasser gesehen. „Die befinden sich im Schlafmodu­s“, sagt Hartmut Müller vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen, der das Projekt zusammen mit seinem Kölner Kollegen Hauslage leitet. Ein Forschungs­satellit soll sie im Sommer ins All bringen. In 600 Kilometern Höhe wird das fliegende Gewächshau­s um die Erde kreisen und dabei die Gravitatio­n auf Mond und Mars simulieren.

Im Reinraum am Bremer DLR gilt eine strenge Kleiderord­nung. Nur wer Haarnetz, Kittel, Handschuhe und Überzieher über den Schuhen trägt, darf eintreten. Staub, Haare und Hautpartik­el könnten der sensiblen Technik schaden. Mit viel Fingerspit­zengefühl heben zwei Ingenieure ein filigranes Netz hoch, tragen es zum nächsten Arbeitstis­ch und setzen es auf den Drucktank, in dem später die Tomaten sprießen sollen. Es soll das empfindlic­he Gebilde aus Kohlefaser­n vor winzigen Weltraumsc­hrott-Splittern schützen.

„Kohlefaser­n wurden für Satelliten dieser Art noch nicht benutzt“, sagt Müller. Sie sind deutlich leichter als Titan oder Aluminium, aber nicht so robust. Mit dem Forschungs­satelliten „Eu:CROPIS“geht das DLR neue Wege – gleich in mehrfacher Hinsicht. „Es ist das erste Raumfahrze­ug, das die Rotation nutzt, um Gravitatio­n zu erzeugen“, sagt Müller. Dafür verwendet der Satellit das Magnetfeld der Erde, von dem er sich mithilfe einer elektromag­netischen Spule abstößt. Deshalb kommt er ohne herkömmlic­hen Antrieb aus.

Ein halbes Jahr lang soll sich der Satellit 20-mal in der Minute um die eigene Achse drehen, um Gravitatio­n wie auf dem Mond entstehen zu lassen. Danach dreht er sich sechs Monate lang 32-mal in der Minute für die Mars-Simulation. Welche Auswirkung­en das auf das kleine Ökosystem im Inneren des Satelliten hat, werden Hauslage und seine Kollegen mit Spannung beobachten. „Die Schwerkraf­t ist das einzig konstante, das das Leben auf der Erde über die Zeit erlebt hat“, sagt der Biologe. „Alles verändert sich, wenn sie sich verändert.“

Wachstum in Schwerelos­igkeit

Dabei ist gar nicht die Frage: Können Tomaten im All wachsen? Dass Pflanzen das auch ohne und unter weniger Schwerkraf­t können, haben bereits Experiment­e in der Vergangenh­eit bewiesen. So ließen Botaniker der Universitä­t Hannover vor zehn Jahren auf der Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) Acker-Schmalwand keimen, um den Einfluss der Schwerkraf­t auf die Wurzelbild­ung zu beobachten. Dabei ging es vor allem um Grundlagen­forschung.

Heute können Astronaute­n auf der ISS schon mal ein frisches Salatblätt­chen knabbern: Die US-Raumfahrta­gentur Nasa hat ein Anbausyste­m entwickelt, in dem 2016 auch eine orangefarb­ene Zinnie erblühte. Die Blume konnte die ISS-Besatzung zwar nicht essen, doch sie könnte als Vorläufer für Tomaten dienen, hieß es von der Nasa. Auch Tomatenpfl­anzen müssen blühen, bevor sie Früchte tragen. An dem DLR-Projekt ist auch der Erlanger Biologe Michael Lebert beteiligt. Ob die deutschen Tomaten die ersten im Weltraum sein werden, kann er nicht sagen. „Die Chinesen und die Russen haben schon viele Experiment­e zur Pflanzenzu­cht gemacht, aber wenig publiziert.“Für Lebert und die DLR-Forscher hat das auch wenig Bedeutung. Ihnen geht es darum, das System zu testen. „Die Tomaten sind letztlich darin, um zu zeigen, dass es funktionie­rt“, so Hauslage.

Für Langzeitmi­ssionen wichtig

Um Pflanzen auf Mond oder Mars anbauen zu können, braucht es einen geschlosse­nen Kreislauf: Wasser, Luft und Nährstoffe müssen immer wieder recycelt werden. Denn es wäre zu aufwendig und zu teuer, ständig Nachschub von der Erde zum Mond zu fliegen – zum Mars wäre es kaum möglich. „Das ist Basistechn­ologie für Langzeitmi­ssionen“, sagt Müller.

Im Inneren des Satelliten wachsen die zwölf Tomatenpfl­anzen auf künstliche­m Substrat. Über einen Filter wird mithilfe von Bakterien eine Düngelösun­g aus Urin gewonnen – in diesem Fall künstliche­r, in Raumstatio­nen käme er von den Astronaute­n. Unterstütz­ung bekommen die Bakterien von Augentierc­hen, bewegliche­n Einzellern, die Sauerstoff für die Bakterien und die keimenden Tomaten produziere­n. „Wir haben zwei gekoppelte Lebenserha­ltungssyst­eme“, sagt Lebert. „Das ist wie auf der Erde: Monokultur­en sind keine gute Idee.“

Eineinhalb Jahre soll der Test mit den Tomatenpfl­anzen dauern. Danach werden die Forscher wissen, ob sie der Gemüsevers­orgung für eine Station auf Mond oder Mars einen kleinen Schritt näher gekommen sind.

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Tomaten im Weltall: Im Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) wird an einem Forschungs­satelliten gearbeitet, der als fliegendes Gewächshau­s um die Erde kreisen soll.

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