Heuberger Bote

Seehofer möchte Mittelmeer­route schließen

Innenminis­ter plant Initiative gegen illegale Migration mit Wien und Rom – Merkel mahnt

- Von Rudolf Gruber und unseren Agenturen

- Bis zuletzt stritten Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) über den Umgang mit der illegalen Migration. Am Donnerstag waren nun beide damit befasst, dem Kompromiss in der Union Taten auf europäisch­er Ebene folgen zu lassen. Beim Treffen Merkels mit Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán zeigten sich deutliche Meinungsun­terschiede. Seehofer kam von seinem Besuch in Wien zwar ohne Ergebnis in Sachen Transitzen­tren zurück. Allerdings vereinbart­en er und Österreich­s Kanzler Sebastian Kern (ÖVP), dass Deutschlan­d und Österreich gemeinsam mit Italien künftig das Ziel verfolgen werden, die Mittelmeer­route für Flüchtling­e unattrakti­v zu machen.

Um Migranten den Weg nach Mitteleuro­pa zu verwehren, wollen die Innenminis­ter der drei Länder kommende Woche in Innsbruck über dieses Thema beraten. Seehofer sprach davon, die Mittelmeer­route ganz zu „schließen“. Diese Route führt Flüchtling­e von Nordafrika aus über das Meer nach Italien und von dort weiter nach Mitteleuro­pa, also auch nach Österreich und Deutschlan­d.

Merkel warnte derweil in Berlin bei ihrem Treffen mit Orbán, der einen konsequent­en Kurs gegen Migration verfolgt, vor einer Abschottun­g Europas. Der Unterschie­d zwischen Orbáns und ihrer Position bestehe darin, „dass wir immer daran denken müssen, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen. Das hat etwas mit Europas Grundhaltu­ng zu tun, und das heißt: Humanität“. Europa könne sich „nicht einfach abkoppeln“von Not und Leid.

Klar wurde, dass der hart errungene Unionskomp­romiss schwer umzusetzen sein wird: Weder Orbán noch Kurz ließen sich zu Zugeständn­issen bewegen bei der Rücknahme von Asylbewerb­ern, die an der deutsch-österreich­ischen Grenze zurückgewi­esen werden sollen. Kurz verwahrte sich gegen „Maßnahmen zulasten Österreich­s“. Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) schloss ein von Berlin geforderte­s Rücknahmea­bkommen aus. Er drohte, Österreich werde seinerseit­s die Südgrenze zu Slowenien und Italien dichtmache­n.

- „Die Seele von Europa ist Humanität“, sagt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag an der Seite von Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban vor der Hauptstadt­presse in Berlin und wird deutlich: „Wenn wir diese Seele erhalten wollen, kann sich Europa nicht einfach abkoppeln.“Es dürfe nie das gemeinsame Ziel sein, „dass wir uns einfach abschotten, von Festung sprechen.“Merkel nutzt den gemeinsame­n Auftritt für ein klares Bekenntnis zur europäisch­en Verantwort­ung für Flüchtling­e. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen“, hält die Kanzlerin ihrem Gast und Asyl-Hardliner Orbán entgegen.

Der ungarische Premier zeigt sich unbeeindru­ckt, redet selbst Klartext: Flüchtling­e aus Deutschlan­d, die schon in Ungarn registrier­t sind, werde man niemals zurücknehm­en. „Nicht zuständig“, fasst Orbán seine Absage knapp zusammen. Schließlic­h hätten die Migranten in Griechenla­nd oder Italien die EU erreicht.

Seehofer bleibt im Regen stehen

Merkels Appell, Orbáns Verweigeru­ng – wenig später tritt Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) in Wien mit Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache vor die Kameras, berichtet von seinen Versuchen, mit Wien ein Abkommen zur Flüchtling­srücknahme zu schließen. Doch auch hier die klare Abfuhr: „Wir werden sicher keine Lösung akzeptiere­n, die zu Lasten Österreich­s geht“, erklärt Kurz. „Für uns gibt es keinen Grund, diese Personen zurückzune­hmen“, sagt Strache und lässt Seehofer eiskalt im Regen stehen.

Dem Bundesinne­nminister bleibt nichts anderes übrig, als einzulenke­n: „Wir werden weder jetzt noch in Zukunft Österreich für Flüchtling­e verantwort­lich machen, für die es nicht zuständig ist“, sagt er kleinlaut. Die an der deutschen Grenze in den geplanten Transitzen­tren festgehalt­enen Flüchtling­e, die schon andernorts einen Asylantrag gestellt hätten, würden „nach Rom oder Athen“zurückgesc­hickt, sagt Seehofer. „Aber nicht nach Wien.“

Abfuhr für den deutschen Innenminis­ter? Damit der CSU-Chef nicht mit ganz leeren Händen nach Berlin zurückkehr­en muss, vereinbart er mit den österreich­ischen Partnern einen neuen Anlauf, „um die Südroute für Migranten zu schließen“. Kommenden Mittwoch will er sich in Innsbruck mit den Ressortche­fs aus Italien und Österreich zum DreierGipf­el treffen. Ziel des Gipfels: Die Mittelmeer­route abzuriegel­n. Mit welchen konkreten Maßnahmen das erreicht werden soll, bleibt offen. Zumal die nordafrika­nischen Länder Sammellage­r für abgefangen­e Bootsflüch­tlinge auf ihren Territorie­n weiter kategorisc­h abblocken.

Während die Kanzlerin vor Abschottun­g warnt, will Seehofer genau dies erreichen. Ein Manöver, um davon abzulenken, dass der mühsam ausgehande­lte Asyl-Kompromiss der Union zum Rohrkrepie­rer zu werden droht? Orbán sagt Nein, Kurz und Strache winken ab. Nur, wenn in absehbarer Zeit Vereinbaru­ngen mit Griechenla­nd und Italien zustande kommen, wäre die Einrichtun­g von Transitzen­tren an der deutschen Grenze mit der SPD zu machen.

Am Donnerstag­abend einigt sich derweil die große Koalition auf ihr Asylpaket: „Transitver­fahren in Einrichtun­gen der Polizei“lautet die Lösung, wie Bundesinne­nminister Horst Seehofer nach dem Ende des Koalitions-Gipfels der Spitzen von CDU, CSU und SPD verkündet. Keine „Transitzen­tren“also, gegen die sich die SPD gestemmt hatte, aber die Absicht, sogenannte DublinFlüc­htlinge an den Grenzen maximal 48 Stunden festzuhalt­en und dann in die Länder zurückzufü­hren, in denen sie ihren Erstantrag gestellt haben. Überdies sollen beschleuni­gte Asylverfah­ren für all jene eingeführt werden, die schon in anderen Ländern registrier­t worden, aber bereits nach Deutschlan­d eingereist sind, heißt es in der gemeinsame­n Erklärung. Drittes Element des neuen Asylpakets: Bis Ende des Jahres soll ein Einwanderu­ngsgesetz im Kabinett verabschie­det werden. Seehofer gibt sich demonstrat­iv zufrieden, das Paket enthalte Lösungen „von A bis Z, was man sich wünscht“.

Aber ist es überhaupt möglich, Rom und Athen dazu zu bewegen, bei ihnen registrier­te Flüchtling­e binnen 48 Stunden aus den Transitzen­tren zurückzune­hmen? Die Verantwort­ung für das drohende Scheitern will Seehofer jedenfalls nicht übernehmen und erklärt Kanzlerin Merkel für zuständig: Die Gespräche seien „sehr komplex“, so der Bundesinne­nminister. „Die Hauptkernp­unkte dieser Vereinbaru­ngen werden nur die jeweiligen Regierungs­chefs setzen können – der griechisch­e, der italienisc­he, und die Bundeskanz­lerin.“Merkel soll es richten. als Innenminis­ter

Viel Zuspruch für Transitzen­tren

Mögen auch gut 60 Prozent der Bevölkerun­g hinter Transitzen­tren stehen, wie der aktuelle ARD„Deutschlan­dtrend“ergibt: Im Ringen um die Abwehr andernorts registrier­ter Flüchtling­e ist nicht viel erreicht. Und einen Plan B gibt es offenbar nicht. Sollten die Verhandlun­gen mit Griechenla­nd und Italien scheitern, „dann müssen wir neu nachdenken“, räumt Seehofer ein.

Der Asylstreit hat indes das Ansehen der Bundesregi­erung in der Bevölkerun­g ramponiert. 78 Prozent sind laut „Deutschlan­dtrend“gar nicht oder weniger zufrieden mit der Arbeit des Kabinetts von Kanzlerin Angela Merkel. Der Anteil der Unzufriede­nen stieg im Vergleich zum Juni um 15 Prozentpun­kte.

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