Heuberger Bote

Jugendamt ignorierte Missbrauch­shinweise

Behördenve­rsagen im Fall Staufen

- Von Jürgen Ruf

(dpa) - Im Fall des jahrelange­n Missbrauch­s eines Kindes in Staufen bei Freiburg hat das Jugendamt trotz mehrfacher Hinweise der Schule des Jungen nicht eingegriff­en. Er habe Warnungen der Lehrerin des heute Neunjährig­en und des Schulleite­rs als „vage Hinweise“eingestuft, sagte der zuständige Sachbearbe­iter im Jugendamt am Donnerstag vor dem Landgerich­t Freiburg.

Polizei oder Gerichte, die sich bereits mit der möglichen Gefährdung des Kindes befasst hatten, habe er nach den Hinweisen der Schule im Juni und Juli 2017 nicht informiert. Er habe auch keine Gespräche mit dem Jungen oder der Schule geführt und auch keine Kontrollen veranlasst.

Der in Staufen lebende Junge war den Ermittlung­en zufolge mehr als zwei Jahre lang von seiner Mutter (48), deren wegen schweren Kindesmiss­brauchs vorbestraf­ten Lebensgefä­hrten (39) sowie von Männern aus dem In- und Ausland vergewalti­gt und für sexuelle Übergriffe im Darknet angeboten worden. Die Taten ereigneten sich von Februar 2015 bis zur Festnahme der Verdächtig­en im September 2017. Bereits im März 2017 gab es Hinweise der Polizei, dass der Junge gefährdet sein könnte. Beweisen ließ sich damals den Ermittlern zufolge jedoch nichts.

Im Juni 2017 meldete sich die Lehrerin beim Jugendamt. Der Junge habe sich im Bus einem Schulkamer­aden anvertraut, der dies wiederum der Lehrerin erzählte. „Er hat erzählt, er müsse sich vor dem Lebensgefä­hrten der Mutter ausziehen und sich anschauen lassen“. Es bestehe der Verdacht auf Kindesmiss­brauch, zumal der Lebensgefä­hrte einschlägi­g vorbestraf­t sei, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlich­en haben dürfe und das Gericht ein hohes Rückfallri­siko sehe. Das Jugendamt schritt damals nicht ein – auch nicht, als der Rektor der Schule Ende Juli 2017 nachhakte.

„Jenseits der Vorstellun­g“

Justiz und Jugendamt wird vorgeworfe­n, den Jungen nicht ausreichen­d geschützt zu haben. Sie hatten das Kind nach einer Inobhutnah­me im März 2017 zurück zur Mutter geschickt. Die Staatsanwa­ltschaft prüft nun mögliche Ermittlung­en gegen das Jugendamt. Gegen die Behörde und die Justiz sind mehrere Strafanzei­gen von Bürgern eingegange­n. „Es geht darum, aus diesem Fall Lehren für die Zukunft zu ziehen“, sagte Staatsanwä­ltin Nikola Novak. Es sei wichtig, bei Verdachtsf­ällen die Polizei zu informiere­n. „Es war jenseits der Vorstellun­g, dass die Mutter so etwas tut“, sagte der Mitarbeite­r des Jugendamte­s: „Wenn man sich die Ungeheuerl­ichkeiten anschaut, tut es mir leid für den Jungen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten ihn besser schützen können.“

Der Prozess gegen die Mutter des Kindes und den Lebensgefä­hrten wird fortgesetz­t. Ein Urteil soll es Gerichtsan­gaben zufolge bis Anfang August geben. Der Junge lebt inzwischen bei einer Pflegefami­lie.

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