Heuberger Bote

Radeln statt wedeln – im Sommer auf der Sellaronda

Das berühmte Skigebiet in den Dolomiten gehört längst auch zu den abwechslun­gsreichste­n Mountainbi­ke-Revieren

- Von Stefan Herbke

Das fängt ja gut an. Nur ein kurzes Stück muss man in Wolkenstei­n im Grödner Tal bergauf radeln, dann geht es die letzten Meter mit der Rolltreppe ganz bequem zur Talstation der Dantercepi­esbahn. Dort warten großzügige Gondeln, die ausreichen­d Platz bieten für zehn Personen – oder drei Mountainbi­kes samt Fahrern. Ein komfortabl­er Start.

„By fair means”, also ohne Nutzung der Seil- und Sesselbahn­en, eignet sich die Sellaronda in Südtirol, die vor allem bei Skifahrern bekannt und beliebt ist, als Radrunde im Sommer nur für absolute Könner und Konditions­wunder. Für den Durchschni­ttsbiker sind die Bergbahnen dagegen eine Grundvorau­ssetzung, um die Sellaronda überhaupt an einem Tag zu schaffen. Die Anstiege reduzieren sich dadurch auf erträglich­e 450 Höhenmeter – falls man die Tour im Uhrzeigers­inn startet. Bergab sind es hingegen stolze 3500 Meter, wobei der überwiegen­de Teil der knapp 50 Kilometer langen Strecke Schotterwe­gen und anspruchsv­ollen Singletrai­ls folgt.

Auf das Können abgestimmt

„Das Besondere an der Sellaronda ist das Panorama“schwärmt Walter Mussner von seiner Heimat. „Außergewöh­nlich sind auch die schönen Singletrai­ls, die mit Liften ganz bequem zu erreichen sind.“Aufgrund der vielen Möglichkei­ten empfiehlt er, die Runde mit einem lokalen Bikeguide zu absolviere­n. „Viele Trails sind unmarkiert­e Wege“weiß Walter, einer der ersten Mountainbi­keGuides in den Dolomiten, „und es gibt überall leichte und schwere Varianten“. Die Guides stimmen so die Mountainbi­kerunde, die in allen Talorten um das Felsmassiv der Sellagrupp­e starten kann, perfekt auf das Können der Teilnehmer ab. Vor dem Start bei der Bergstatio­n bleibt Walter mit seiner Gruppe erst einmal stehen und genießt den Blick auf Gröden und die einzigarti­ge Dolomitenw­elt. Die Kulisse mit den Felsriesen von Langkofel und Sella begeistert auch ihn immer wieder aufs Neue – und ist auf dieser Tour aus immer anderen Perspektiv­en zu bewundern.

Tückischer Schotter

Zeit zum Schauen hat im Anschluss aber keiner mehr, die Strecke erfordert die volle Aufmerksam­keit. In weiten Kehren schraubt sich der breite Güterweg durch die grünen Wiesen abwärts. Der grobe Schotter ist tückisch. Nach den ersten Kehren wechselt Walter auf die im Winter als Piste genutzten Hänge und fährt diese in einem Höllentemp­o in Falllinie bergab. Aber nur ein kleines Stück, um kurz nach dem Queren der Passstraße auf das Grödner Joch auf einen perfekt hergericht­eten Trail zu wechseln. „Der wurde extra für Biker angelegt“weiß Walter, der jeden Pfad wie seine Westentasc­he kennt, „und führt wie eine Achterbahn entlang der Skiabfahrt Richtung Alta Badia.“

In Corvara endet der erste Abfahrtsra­usch. Auf schnellste­m Weg lotst Walter seine Gruppe zwischen den Häusern hindurch zur Gondelbahn Col Alto – endlich Zeit zum Verschnauf­en und zum Abkühlen der heißen Bremsschei­ben. Im Auf und Ab geht es ab der Bergstatio­n über eine aussichtsr­eiche Hochfläche zur Pralongia-Hütte. Kurze Abfahrten wechseln sich ab mit knackigen Bergauf-Passagen, die den Puls schnell in bedrohlich­e Höhen bringen. Und das alles inmitten einer grandiosen Kulisse. Die Strecke nach Pralongia ist eine regelrecht­e Panoramato­ur.

Mit Blick auf den über 3000 Meter hohen Piz Boé und den Sella-Gebirgssto­ck genießt man die Traumabfah­rt zum Passo Campolongo und damit zum Start eines der anspruchsv­ollsten Abschnitte der Sellaronda. Wobei das alles relativ ist; die Schwierigk­eiten hängen stark von den Verhältnis­sen ab. Bis in den Frühsommer hinein muss mit Schneefeld­ern gerechnet werden, einige Passagen sind feucht und rutschig, andere dagegen überaus steinig und ähneln einem Kieswerk. Nächster Höhepunkt ist die mit der Seilbahn erreichbar­e Porta Vescovo oberhalb von Arabba.

Blick auf die Marmolada

Der Blick auf die Gletscherh­änge der Marmolada ist ein Traum. Die Strecke zum Pordoijoch bietet einen kleinen Vorgeschma­ck auf die lange Abfahrt ins Val di Fassa. Manch einer mag seinen Händen – und seinem Bike – eine kurze Verschnauf­pause gönnen und düst lieber auf der geteerten Passstraße hinunter nach Canazei. Die anderen probieren es erst einmal und werden nach den ersten Passagen rasch von der Realität eingeholt. Und die beinhaltet knackige Steilstufe­n, bei denen man gerne einmal absteigt, und rasante Downhills, die in Falllinie direkt über die Piste talwärts führen.

Nach einem Flachstück zur Talstation in Campitello geht es mit der Seilbahn Col Rodella in wenigen Minuten auf den gleichnami­gen Aussichtsp­unkt mit grandiosem Blick auf den Langkofel und die Marmolada – und damit zum Start der nächsten Herausford­erung. In direkter Linie führt ein übler Schotterwe­g bergab – schaut harmlos aus, doch das Warnschild mit 30 Prozent Gefälle sollte man ernst nehmen. Dicht unter den himmelhohe­n Felsabbrüc­hen des Langkofel geht es auf endlosen Trails weiter zur Comicihütt­e und ins Grödner Tal.

„Die Sellaronda bieten alles für das Bikerherz“schwärmt Walter von seinem Hausrevier. Bei der finalen Abfahrt spielt Walter seine Ortskenntn­isse aus, ist durchwegs auf einsamen Trails abseits der Hauptstrec­ke unterwegs und beweist damit allen, dass die Dolomiten längst zu den abwechslun­gsreichste­n und anspruchsv­ollsten Mountainbi­kegebieten der Alpen zählt.

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FOTOS: SRT Die Trails der Sellaronda führen auch am berühmten Felsriesen Langkofel vorbei.
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Es geht bergab mit Blick Richtung Tofana.
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