Radeln statt wedeln – im Sommer auf der Sellaronda
Das berühmte Skigebiet in den Dolomiten gehört längst auch zu den abwechslungsreichsten Mountainbike-Revieren
Das fängt ja gut an. Nur ein kurzes Stück muss man in Wolkenstein im Grödner Tal bergauf radeln, dann geht es die letzten Meter mit der Rolltreppe ganz bequem zur Talstation der Dantercepiesbahn. Dort warten großzügige Gondeln, die ausreichend Platz bieten für zehn Personen – oder drei Mountainbikes samt Fahrern. Ein komfortabler Start.
„By fair means”, also ohne Nutzung der Seil- und Sesselbahnen, eignet sich die Sellaronda in Südtirol, die vor allem bei Skifahrern bekannt und beliebt ist, als Radrunde im Sommer nur für absolute Könner und Konditionswunder. Für den Durchschnittsbiker sind die Bergbahnen dagegen eine Grundvoraussetzung, um die Sellaronda überhaupt an einem Tag zu schaffen. Die Anstiege reduzieren sich dadurch auf erträgliche 450 Höhenmeter – falls man die Tour im Uhrzeigersinn startet. Bergab sind es hingegen stolze 3500 Meter, wobei der überwiegende Teil der knapp 50 Kilometer langen Strecke Schotterwegen und anspruchsvollen Singletrails folgt.
Auf das Können abgestimmt
„Das Besondere an der Sellaronda ist das Panorama“schwärmt Walter Mussner von seiner Heimat. „Außergewöhnlich sind auch die schönen Singletrails, die mit Liften ganz bequem zu erreichen sind.“Aufgrund der vielen Möglichkeiten empfiehlt er, die Runde mit einem lokalen Bikeguide zu absolvieren. „Viele Trails sind unmarkierte Wege“weiß Walter, einer der ersten MountainbikeGuides in den Dolomiten, „und es gibt überall leichte und schwere Varianten“. Die Guides stimmen so die Mountainbikerunde, die in allen Talorten um das Felsmassiv der Sellagruppe starten kann, perfekt auf das Können der Teilnehmer ab. Vor dem Start bei der Bergstation bleibt Walter mit seiner Gruppe erst einmal stehen und genießt den Blick auf Gröden und die einzigartige Dolomitenwelt. Die Kulisse mit den Felsriesen von Langkofel und Sella begeistert auch ihn immer wieder aufs Neue – und ist auf dieser Tour aus immer anderen Perspektiven zu bewundern.
Tückischer Schotter
Zeit zum Schauen hat im Anschluss aber keiner mehr, die Strecke erfordert die volle Aufmerksamkeit. In weiten Kehren schraubt sich der breite Güterweg durch die grünen Wiesen abwärts. Der grobe Schotter ist tückisch. Nach den ersten Kehren wechselt Walter auf die im Winter als Piste genutzten Hänge und fährt diese in einem Höllentempo in Falllinie bergab. Aber nur ein kleines Stück, um kurz nach dem Queren der Passstraße auf das Grödner Joch auf einen perfekt hergerichteten Trail zu wechseln. „Der wurde extra für Biker angelegt“weiß Walter, der jeden Pfad wie seine Westentasche kennt, „und führt wie eine Achterbahn entlang der Skiabfahrt Richtung Alta Badia.“
In Corvara endet der erste Abfahrtsrausch. Auf schnellstem Weg lotst Walter seine Gruppe zwischen den Häusern hindurch zur Gondelbahn Col Alto – endlich Zeit zum Verschnaufen und zum Abkühlen der heißen Bremsscheiben. Im Auf und Ab geht es ab der Bergstation über eine aussichtsreiche Hochfläche zur Pralongia-Hütte. Kurze Abfahrten wechseln sich ab mit knackigen Bergauf-Passagen, die den Puls schnell in bedrohliche Höhen bringen. Und das alles inmitten einer grandiosen Kulisse. Die Strecke nach Pralongia ist eine regelrechte Panoramatour.
Mit Blick auf den über 3000 Meter hohen Piz Boé und den Sella-Gebirgsstock genießt man die Traumabfahrt zum Passo Campolongo und damit zum Start eines der anspruchsvollsten Abschnitte der Sellaronda. Wobei das alles relativ ist; die Schwierigkeiten hängen stark von den Verhältnissen ab. Bis in den Frühsommer hinein muss mit Schneefeldern gerechnet werden, einige Passagen sind feucht und rutschig, andere dagegen überaus steinig und ähneln einem Kieswerk. Nächster Höhepunkt ist die mit der Seilbahn erreichbare Porta Vescovo oberhalb von Arabba.
Blick auf die Marmolada
Der Blick auf die Gletscherhänge der Marmolada ist ein Traum. Die Strecke zum Pordoijoch bietet einen kleinen Vorgeschmack auf die lange Abfahrt ins Val di Fassa. Manch einer mag seinen Händen – und seinem Bike – eine kurze Verschnaufpause gönnen und düst lieber auf der geteerten Passstraße hinunter nach Canazei. Die anderen probieren es erst einmal und werden nach den ersten Passagen rasch von der Realität eingeholt. Und die beinhaltet knackige Steilstufen, bei denen man gerne einmal absteigt, und rasante Downhills, die in Falllinie direkt über die Piste talwärts führen.
Nach einem Flachstück zur Talstation in Campitello geht es mit der Seilbahn Col Rodella in wenigen Minuten auf den gleichnamigen Aussichtspunkt mit grandiosem Blick auf den Langkofel und die Marmolada – und damit zum Start der nächsten Herausforderung. In direkter Linie führt ein übler Schotterweg bergab – schaut harmlos aus, doch das Warnschild mit 30 Prozent Gefälle sollte man ernst nehmen. Dicht unter den himmelhohen Felsabbrüchen des Langkofel geht es auf endlosen Trails weiter zur Comicihütte und ins Grödner Tal.
„Die Sellaronda bieten alles für das Bikerherz“schwärmt Walter von seinem Hausrevier. Bei der finalen Abfahrt spielt Walter seine Ortskenntnisse aus, ist durchwegs auf einsamen Trails abseits der Hauptstrecke unterwegs und beweist damit allen, dass die Dolomiten längst zu den abwechslungsreichsten und anspruchsvollsten Mountainbikegebieten der Alpen zählt.