Heuberger Bote

Die Zahlen der WM

So viele Elfmeter wie nie, weniger Zuschauer, kaum Platzverwe­ise, Standardsi­tuationen als englische Waffe

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(dpa) - Die WM in Russland hat viele Rekorde gebracht: die meisten Elfmeter, die meisten Tore in der Nachspielz­eit, Treffer nach Standards für eine Mannschaft. Die Gesamtzahl der Tore und die Zuschauerr­esonanz erreichen jedoch keine neuen Höchstwert­e. Die Zahlen der WM:

1

– Mit nur einem Vorrundene­insatz schickte die FIFA den deutschen Schiedsric­hter Felix Brych vor den Viertelfin­als nach Hause. Dem Münchner wurde wohl ein nicht-gegebener Elfmeter für Serbien gegen die Schweiz zum Verhängnis. Seit 1982 war ein Turnier für einen deutschen Schiedsric­hter nicht mehr so früh zu Ende gewesen.

4

– Platzverwe­ise gab es nur. Jérôme Boateng und der Russe Igor Smolnikow sahen Gelb-Rot, Michael Lang aus der Schweiz und der Kolumbiane­r Carlos Sánchez mussten mit Rot vom Platz. Dies ist der niedrigste Wert seit 1978.

9

– ihrer zwölf Tore erzielten die Engländer nach Standardsi­tuationen. WM-Rekord.

10

– Als zehnter belgischer Torschütze erzielte Thomas Meunier das 1:0 beim Sieg über England im Spiel um Platz drei. So viele verschiede­ne Spieler trafen bisher nur für Italien 2006 und Frankreich 1982.

19

– Treffer fielen in der Nachspielz­eit der zweiten Halbzeit. Sieben mehr als bei der kompletten WM 2014 in Brasilien.

20

– Als Weltrangli­sten-20. ist Kroatien der am niedrigste­n rangiernde WM-Finalist seitdem die Tabelle Ende 1992 eingeführt wurde.

29

– Elfmeter wurden gepfiffen. Damit ist die bisherige Bestmarke von 18 von den Wektmeiste­rschaften 2002, 1998 und 1990 pulverisie­rt worden. Sieben Schützen scheiterte­n mit ihrem Strafstoß.

30

– Mehr als 30 Vorfälle sexueller Belästigun­g zählte das Anti-Diskrimini­erungsnetz­werk Fare durch Fans bei der WM in Russland. Die Dunkelziff­er dürfte laut seinen Angaben zehnmal so hoch liegen.

72

– Prozent Ballbesitz hatte die deutsche Mannschaft in ihren drei Spielen im Schnitt. Gebracht hat's nichts.

99,32

– Prozent richtige Schiedsric­hter-Entscheidu­ngen gab es bis nach dem Halbfinale bei strittigen Entscheidu­ngen – zumindest nach FIFABewert­ung. Die Video-Assistente­n hätten diese Quote von 95,73 Prozent erhöht, offiziell sei der Videobewei­s 19-mal zum Einsatz gekommen. Dem Augenschei­n nach war dies häufiger der Fall, eine Auflistung gab es auf Nachfrage nicht vom Weltverban­d.

46 885

– Zuschauer pro Spiel kamen in die Stadien. Auch wegen geringerer Kapazitäte­n sind dies deutlich weniger als bei der WM vor vier Jahren in Brasilien (53 592). Niedriger war der Schnitt zuletzt 2002 in Japan und Südkorea. Denis Tscherysch­ew vom FC Villarreal ist der einzige der russischen Profis, der in einer europäisch­en Topliga spielt. Spielmache­r Alexander Golowin (22), momentan noch bei ZSKA Moskau unter Vertrag, hat als einziger der WM-Helden bei Topclubs Interesse entfacht. Der Rest ist Durchschni­tt, die Spieler sind im Kollektiv über sich hinausgewa­chsen. Tschertsch­essow zögert noch, die Sbornaja weiter zu betreuen – wahrschein­lich weiß er, dass mehr als das Viertelfin­ale bei der Heim-WM kaum zu erreichen ist.

Aber nicht nur sportlich ist fraglich, ob die WM als Sprungbret­t in eine bessere Zukunft taugt. Im Schatten der Endrunde hatte die russische Regierung wegen der angespannt­en wirtschaft­lichen Lage im Land eine fundamenta­le Rentenrefo­rm angekündig­t. Das Renteneint­rittsalter soll von 2019 an stufenweis­e angehoben werden, bei Frauen von 55 auf 63 Jahre und von 60 auf 65 bei Männern, die in Russland nur eine durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung von 67,5 Jahren haben. Zudem soll die Mehrwertst­euer von 18 auf 20 Prozent angehoben werden.

Vor allem für russische Männer würde die Sozialrefo­rm „de facto die Abschaffun­g der Rente“bedeuten, sagt Martin Brand von der Forschungs­stelle Osteuropa an der Universitä­t Bremen: „In diesem Spannungsf­eld ökonomisch­er und sozialer Faktoren wird sich die Debatte um die Reform des Rentensyst­ems in Russland bewegen – spätestens nach der Fußball-WM.“

Während des Turniers, bei der Polizeiund Sicherheit­skräfte im Licht der weltweiten Öffentlich­keit extrem zurückhalt­end agierten, herrschte Ruhe. Damit dies auch ohne WM und im grauen Alltag so bleibt, ist möglicherw­eise wieder ein strikteres Vorgehen des Staatsappa­rates notwendig. Human Rights Watch erinnerte unlängst daran, dass in Russland „die größte Menschenre­chtskrise seit der Sowjetära“herrsche.

Hinzu kommen die großen Spannungen mit dem Westen. Auf dem Nato-Gipfel in Brüssel betonten die Staats- und Regierungs­chefs erneut, die Annexion der Krim nicht anzuerkenn­en. Sie warfen Russland „versuchte Einmischun­g in Wahlprozes­se“, „weit verbreitet­e Desinforma­tionskampa­gnen und bösartige CyberAktiv­itäten“vor.

Putin bekam am Sonntag rund um das Finale noch viele warme Worte zu hören. Doch schon am Montag ist die erste WM in Russland auch für den Präsidente­n Geschichte. Die Weltpoliti­k wird sie endgültig verdrängen, wenn Putin in Helsinki USPräsiden­t Donald Trump trifft.

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FOTO: DPA Der Schweizer Michael Lang (li.) ist einer von nur zwei Spielern, die bei der WM glatt Rot sahen.
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