„Die Inklusion brach uns das Genick“
Ära der Förderschule „Am Vogelsang“geht zu Ende – Entlassung der letzten Absolventen
– Es sind die letzten Stunden der Fridinger Förderschule „Am Vogelsang“bevor am Freitagabend, 20. Juli, endgültig das Licht ausgeht, und die letzten fünf Förderschüler im Rahmen einer Abschlussfeier verabschiedet werden. 45 Schuljahre sind seit der Eröffnung 1973 vergangen. Drei Schulleiter walteten seitdem ihres Amtes: Herbert Sichler (75, Rektor von 1973-2003), Peter Wagner (65, 2003-2016) und Herbert Christoph (60, 2016-2018). Noch ein letztes Mal kommen die drei Männer zusammen, um die Vergangenheit Revue passieren zu lassen.
Dem noch amtierenden Schulleiter Herbert Christoph geht die Schulschließung sichtlich nahe: „Bei uns haben Schüler einen Platz gefunden, die auf einer Regelschule nicht vorangekommen wären. Hier wurden sie mit ihren Fehlern und Schwächen akzeptiert und angenommen. Das war das Besondere an unserer kleinen familiären Schule. Diese sozialen Strukturen aufgeben zu müssen, schmerzt mich besonders.“
Nun heißt es für den Schulleiter Platz machen. In den einstigen Räumlichkeiten der Förderschule zieht die Grundschule Fridingen ein. Die erste und zweite Klasse ist dort schon untergebracht. Seit einigen Wochen sind Christoph und seine Kollegen mit aufräumen und ausmisten beschäftigt. Alles, was veraltet ist und nicht gebraucht wird, landet im Müllcontainer. Einen Großteil des Schulinventars übernimmt die Grundschule. Manches davon sei auch verkauft worden, meint der 60Jährige. Der Erlös werde der Stadt Fridingen als Schulträger zugute kommen.
Ein Blick in die Vergangenheit
Insgesamt 26 Jahre war Christoph an der Förderschule als Lehrer tätig, die höchsten Schülerzahlen, erinnert er sich, hatte die Schule im Jahre 2002/ 03 mit 48 Schülern, die in vier Klassen untergebracht wurden. Damals war Peter Wagner Rektor an der Vogelsang. „Wir haben 2003 nicht im Traum daran gedacht, dass es das Konzept Förderschule irgendwann nicht mehr geben wird“, sagt er heute. Zu gut waren die Zahlen, nicht zuletzt durch den Verfall des Ostblocks Anfang der 90er-Jahre, durch den es viele Einwanderer, insbesondere deutsch-russische Familien, in die Region verschlug.
Nach 2003 habe die Schule im Durchschnitt noch bis zu 35 Schüler gehabt. Der große Einbruch folgte schließlich im Schuljahr 2009/10, von da an sanken die Schülerzahlen
kontinuierlich. Der Grund, laut Wagner: der demografische Wandel und die Inklusion. „Die Inklusion hat uns das Genick gebrochen. Ich bin kein Gegner der Inklusion, aber es muss eine ordentlich vorbereitete Inklusion sein, und nicht so wie sie heute läuft. Als ich in den Ruhestand gegangen bin, war ich emotional aufgewühlt, weil ich gesehen habe, was mit Schülern von uns teilweise passiert ist, die ohne jegliche Unterstützung in die Gemeinschaftsschulen gewechselt sind.“Laut Wagner hätte der Staat die Inklusion besser vorbereiten müssen. „Man hätte die Schulen besser ausstatten müssen, zum Beispiel mit qualifiziertem Personal und besonderen Lehrmitteln. Schließlich kann man nicht alle Schüler mit dem gleichen Material bedienen“, sagt er.
Als das Thema Inklusion aufkam, hätten sich laut Herbert Sichler, dem ersten Rektor der Förderschule, besonders Eltern von Migrantenkindern dafür stark gemacht, dass ihre Kinder auf andere weiterführende Schulen kommen. Zu verpönt sei der Ruf der Sonderschulen gewesen. Und das nicht nur bei den Migranten, sondern auch unter den Einheimischen. Unabhängig davon, ob der Besuch einer Förderschule für viele Kinder die bessere Wahl gewesen wäre. Und dennoch, Sichler hatte Verständnis für die Entscheidung der Eltern, schließlich wolle jeder nur das Beste für sein Kind. Das endgültige Aus der Förderschule stimmt ihn traurig: „Ich habe die Schule aufgebaut, bin jetzt seit 15 Jahren pensioniert, und ich finde es sehr schade, dass ein wichtiger pädagogischer Teil in unserem Schulwesen verloren geht.“
Heute Abend werden die drei Rektoren bei der Abschlussfeier vor Ort sein. Herbert Christoph hat sich gemeinsam mit seinen Kollegen und den fünf Absolventen ein abwechslungsreiches Programm für die Gäste überlegt.
Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung mit einer Mundharmonika und es wird ein Theaterstück aufgeführt, gefolgt von einer Diashow mit Bildern aus der Vergangenheit. Die Schüler bekommen ihre Zeugnisse überreicht und der Schulsprecher wird eine Abschiedsrede halten. Eine Rede halten werden unter anderem auch Fridingens Bürgermeister Stephan Weizenegger, Landrat Stefan Bär sowie die ehemaligen Schulrektoren Herbert Sichler – er wird das Publikum lieber mit Anekdoten erheitern, sagt er – und Peter Wagner. Den Segen wird die Religionslehrerin der Förderschule sprechen. Am Ende wird der Song „Zeit zu gehen“von der Band Unheilig performed.
„Für mich ist die Schließung der Förderschule „Am Vogelsang“nach 26 Jahren sehr traurig. Es ist berufliche Heimat. Und ich hoffe, dass das Herzblut auch bei den Schülern Spuren hinterlassen hat“, sagt Christoph mit einem Kloß im Hals.
„Wir hätten nie gedacht, dass es das Kozept Förderschule irgendwann nicht mehr geben wird“,
sagt Peter Wagner, ehemaliger Rektor der Förderschule „Am Vogelsang“.