Youtube & Co. löschen Tausende Beiträge
Gesetz gegen Hass im Netz bleibt umstritten – Kritiker fordern staatliche Kontrollen
BERLIN - Die Onlinegiganten Facebook, Google und Twitter haben seit Jahresbeginn Zehntausende Beschimpfungen oder Falschmeldungen gelöscht. Insgesamt gingen bei den großen sozialen Netzwerken in Deutschland gut 500 000 Beschwerden ein. Doch ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) bleibt das Gesetz gegen Hass im Netz weiterhin umstritten. Bestätigt sehen sich nach der ersten Bilanz sowohl die Große Koalition in ihrem Vorgehen gegen Hassrede im Internet als auch die Kritiker der Neuregelung. Ein Vorwurf der Gegner lautet, angesichts drohender Millionenstrafen löschten die Internetkonzerne zu viele Inhalte. Dies könne zu Zensur führen.
„Deutlich wird: Es gibt Beschwerden – und zwar nicht wenige. Strafbarer Hass im Netz ist real, erfahrbar für so viele, die sich vernehmbar für Demokratie und Toleranz einsetzen“, sagte Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesjustizministerium, am Freitag. Leider sei diese Hasskriminalität kein „Phänomen der Zeit“, sondern ein Dauerzustand.
Auf Googles Videoplattform Youtube meldeten Nutzer und Beschwerdestellen fast 215 000 umstrittene Beiträge, davon wurden rund 58 000 gelöscht. Der Kurznachrichtendienst Twitter erhielt etwa 265 000 Beschwerden, von denen knapp 29 000 entfernt wurden. Deutlich geringer sind die Zahlen bei Facebook: Der Konzern erhielt 886 Meldungen, die sich auf 1704 Beiträge bezogen. Gelöscht wurden 362.
Harsche Kritik kam von der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG). Geschäftsführer Christian Mihr beklagte am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, ein sogenanntes Overblocking, das Löschen legaler Inhalte. Firmen und Konzerne dürften nicht zu Richtern über die Pressefreiheit werden. „Natürlich muss man rechtswidrige Inhalte löschen“, sagte Mihr, „aber die Verantwortlichkeit für die Frage, wie Onlinehass bekämpft werden soll, darf nicht allein privatrechtlich geregelt werden.“Mihrs forderte eine unabhängige Kontrollaufsicht, etwa ein Gremium, in das Experten und Justizvertreter entsandt werden. „Die Bundesregierung ist nun in der Pflicht, die Nutzungsbedingungen zu überprüfen und das Gesetz zu überarbeiten“, sagte Mihr.
Der Digital-Branchenverband Bitcom kritisierte, Schwerstkriminalität wie Kinderpornografie und terroristische Inhalte würden die großen Netzwerke ohnehin erfolgreich entfernen, dafür hätte es das NetzDG nicht gebraucht. Die Klärung schwieriger juristischer Fragen wie der Grenze der freien Meinungsäußerung dürfte der Staat hingegen nicht an Mitarbeiter von gewinnorientierten Unternehmen delegieren.
Das NetzDG ist seit Anfang des Jahres in Kraft. Es verpflichtet Betreiber sozialer Netzwerke zur Löschung etwa von Falschnachrichten und Hass-Posts.
- Hunderttausende Beschwerden über Hetzbotschaften gegen Youtube, Twitter und Facebook: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das vor einem halben Jahr in Kraft getreten ist, hat erste Konsequenzen.
Ein erheblicher Teil der beanstandeten Inhalte wurde von den Plattformen fristgerecht gelöscht. Strafen mussten diese bislang nicht zahlen – weil sie den Auflagen des Gesetzes Folge leisteten, beim Kampf gegen Online-Hetze nicht blockierten. Das belegen erste Berichte, die die Netzwerke am Freitag vorgelegt haben.
Ist das NetzDG, um das so heftig gerungen worden war, also ein Erfolg? Die Regierungsparteien zeigen sich zufrieden. „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wirkt“, meint Tankred Schipanski (CDU), Netzpolitiker der Union im Bundestag. „Für ein Overblocking gibt es meiner Ansicht nach bisher keine Anhaltspunkte.“Overblocking – das ist die Sperrung legaler Inhalte durch die Anbieter aus vorauseilendem Gehorsam, um Strafen vorzubeugen. Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt sich überzeugt, dass das Gesetz „ein Schritt in die richtige Richtung war“.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), in der vorherigen Regierung Bundesjustizminister und damit für das Gesetz verantwortlich, war damals kritisiert worden, er beschränke die Meinungsfreiheit. Die Kritik ist nicht verstummt. „Wir sehen uns in unseren Befürchtungen bestätigt“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Unternehmen löschen offenbar völlig legale Inhalte.“
Bei Facebook wird wenig gemeldet
Bei Youtube wurden von Januar bis Ende Juni knapp 215 000 Inhalte gemeldet, 27 Prozent davon wurden geblockt. Twitter löschte rund jeden zehnten der 265 000 beanstandeten Beiträge. Bei Facebook gingen lediglich 1704 Beschwerden ein – angesichts von 30 Millionen von Kunden in Deutschland eine verschwindend geringe Zahl. 362 Einträge (rund 20 Prozent) wurden von den Seiten genommen. Ein Erklärungsversuch: Bei Facebook gibt es strenge Regeln, die verhindern, dass Inhalte hochgeladen werden, die unter das NetzDG fallen könnten.
Die FDP, die sich von Beginn an gegen das Projekt gestellt hatte, bleibt bei ihrer Ablehnung. Die Zahlen zeigten: „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist wirkungslos“, sagt der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin. „Gemessen am Ausmaß des Eingriffs in die Meinungsfreiheit ist dieses Gesetz rechtsstaatlich somit schlicht untragbar.“Auch Konstantin von Notz (Grüne) kritisiert das Gesetz als „Schnellschuss“.
Im Bundesjustizministerium will man noch kein Urteil über das Gesetz fällen. „Deutlich wird: Es gibt Beschwerden – und zwar nicht wenige. Strafbarer Hass im Netz ist real, erfahrbar für so viele, die sich vernehmbar für Demokratie und Toleranz einsetzen“, sagt Staatssekretär Gerd Billen. Das Gesetz sieht vor, dass sich diejenigen, die sich bei den Netzwerken über Hassbotschaften beschweren, an das Bundesamt für Justiz wenden können, sollten die Unternehmen nicht reagieren. Auf eine Beschwerde-Welle empörter Nutzer hatte sich die Bonner Behörde eingestellt. Statt der erwarteten mehr als zehntausend Fälle gingen exakt 526 Anzeigen ein.