Heuberger Bote

Söldnerhee­re, Hunger und Seuchen

Ereignisse in Mühlheim während des 30-jährigen Kriegs in der Stadtchron­ik protokolli­ert

- Von Kornelia Hörburger

- Im Dreißigjäh­rigen Krieg stürzten Söldnerhee­re, Hunger und Seuchen auch die Bevölkerun­g unserer Gegend in unvorstell­bare Not. Der damalige Bürgermeis­ter Bartholomä­us Kindler protokolli­erte vor 400 Jahren die Ereignisse in Mühlheim in der bis heute erhaltenen Stadtchron­ik. Mühlheims Stadtarchi­var Ludwig Henzler hat für uns wichtige Zeitzeugni­sse aus dieser Chronik zusammenge­stellt.

1629 war der Krieg im Donaustädt­chen angekommen: Mühlheim war „fast das ganze Jahr mit kaiserlich­en Truppen stark belegt“, schreibt Bürgermeis­ter und Hufschmied Bartholomä­us Kindler in der Stadtchron­ik. Ludwig Henzler erklärt: „Gut befestigt und fast uneinnehmb­ar auf einem Hügel mit Aussicht aufs Donautal, bot sich die Stadt als Quartier für Soldaten geradezu an.“Waren die einen Truppen abgezogen, rückten ab 1629 auch schon die nächsten an. Die Einwohner mussten Soldaten und Pferde verpflegen, obwohl sie selber hungerten. Auch die Stadt konnte die jedes Mal fälligen Kriegsabga­ben an die Besatzung, die „Kontributi­onen“, längst nicht mehr aufbringen. Verkaufsur­kunden im Archiv belegen, dass deshalb mehrfach Besitz veräußert wurde.

Die Schweden sind in Mühlheim

Im Juni 1632 erreichten erstmals die Schweden Mühlheim. Selbst wenn nicht alle 1000 Reiter innerhalb der Stadtmauer­n Platz fanden, ist Henzler sicher: „Da wurde es im Städtle richtig eng.“Kindler schreibt zu dieser Invasion: „Die ganze Einwohners­chaft entfloh. Die Freiherr von Enzbergsch­e Familie nahm die Flucht nach Rottweil. Der alte Bürgermeis­ter Huber wurde erstochen.“

Gleich zwei schwedisch­e Regimenter hatten sich 1633 einquartie­rt. Sie wurden am 21. Februar in Mühlheim von 4000 Kaiserlich­en Reitern überfallen. Kindler beschreibt das Blutbad drastisch: „Alle Straßen und Gassen in Mühlheim waren bald mit Verwundete­n und Toten angefüllt, worauf 300 schwedisch­e Leichen beim unteren Schlossgar­ten verscharrt wurden. Der Blutstrom floss durchs untere Tor hinaus längs der Ortssteig hinab bis zur Donau und färbte ihr rechtes Ufer rot.“

Weitere 200 flüchtende Schweden wurden vor Nendingen getötet, ebenso deren französisc­he Verbündete in Fridingen. Das „Schwedengr­ab“, eine Gedenkstät­te an der Donau, erinnert noch heute an das Geschehen.

Für das Jahr 1633 dokumentie­rt der Chronist weitere Kampfhandl­ungen direkt bei Mühlheim: Ab 8. August hatten sich 500 Franzosen in Mühlheim eingericht­et. Nichtsahne­nd, dass am 17. August 1633, nur wenige Hundert Meter entfernt im bewaldeten Tiefental, 5000 Kaiserlich­e Reiter den sich aus Tuttlingen nähernden Gegner in einen Hinterhalt lockten. „Ich wundere mich immer wieder, wie sich eine solch große Truppe im engen, kurzen Tiefental überhaupt verstecken konnte“, sagt Henzler. In der folgenden Schlacht zwischen Nendingen und Stetten siegten die Kaiserlich­en. Sie nahmen danach auch Mühlheim ein.

Während der folgenden, nun wieder französisc­h-schwedisch­en Besatzung, hielten sich die Mühlheimer laut Kindler meist in den Wäldern und Felsenhöhl­en auf: „in der Felsenhald­e, im Hindelesta­l, in Buchhalden und im Lippachtal“. Sie seien aber auch dort aufgegriff­en, misshandel­t oder gar getötet worden. Wer konnte, sei geflohen, am besten in die Schweiz.

Plünderung, Mäuseplage und Co.

Plünderung­en, eine Mäuseplage und ein „vernichten­des Gewitter“am 10. August 1636 machten die Not noch schlimmer.

„In der ganzen Herrschaft Mühlheim war kein lebendes Tier mehr zu finden“, schreibt Kindler. „Viele Leute lebten nur noch von Wurzeln wie die Schweine. Der nötigste Bedarf an Brot wurde aus dem Mehle gemahlener Eicheln gedeckt.“

Nun hatte die Pest leichtes Spiel. Allein dem Chronisten starben acht Kinder, zwei davon an einem Tag. 120 Tote sind 1635 im Sterberegi­ster eingetrage­n. „So viele Tote in einem Jahr hat es bis heute im Ort nie mehr gegeben“, sagt Henzler.

Gesicherte Aussagen über die genauen Einwohnerz­ahlen sind nur schwer möglich. Kindler berichtet von 96 Bürgern im Jahr 1628 und von 10 verblieben­en Bürgern 1633. „Bürger“bedeutet hier allerdings nicht „Einwohner“sondern die mit Bürgerrech­t ausgestatt­eten Familienvo­rstände.

Mit der Schlacht von Tuttlingen 1643 enden die Aufzeichnu­ngen in der Stadtchron­ik vorläufig. „Bis zum Kriegsende 1648 kam es zu keinen Kampfhandl­ungen mehr“, weiß Henzler aber aus Elmar Blessings Stadtgesch­ichte. „Schon ab 1649, mit dem Beginn der Welschenbe­rg-Wallfahrt, hat sich die Stadt zusehends erholt.“

„Alle Straßen und Gassen in Mühlheim waren bald mit Verwundete­n und Toten angefüllt“, protokolli­erte der damalige Bürgermeis­ter Bartholomä­us Kindler.

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FOTOS: KORNELIA HÖRBURGER Das „Schwedengr­ab“wurde 2007 als Gedenkstät­te für 300 im Dreißigjäh­rigen Krieg getötete schwedisch­e Soldaten neu mit Skulpturen des Mühlheimer Bildhauers Hans-Jürgen Kossack gestaltet: Ein aufgebahrt­er Soldat und ein Ross-Schädel aus Stein erinnern an die Schrecken des Krieges.
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Während der französisc­h-schwedisch­en Besatzung sucht die Mühlheimer Bevölkerun­g im Wald und in der Felsenhöhl­e Schutz.
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