Neue Nahverkehrsprojekte für Modellstädte
Bundesregierung fördert Ideen im Kampf gegen dicke Luft – Streit um Diesel-Nachrüstung
BERLIN - Neue Kraftanstrengung im Kampf gegen dicke Luft und Dieselfahrverbote: 130 Millionen Euro steckt der Bund bis 2020 in innovative Verkehrsprojekte in fünf Modellstädten. Handy-Tickets, mehr Busse und Bahnen, neue Fahrradwege und sogar eine Güterseilbahn gehören zu Vorzeigeprojekten, die die Rathauschefs aus Mannheim, Reutlingen und Herrenberg, Essen und Bonn am Dienstag beim Dieselgipfel im Bundesverkehrsministerium vorgestellt haben und die jetzt mit Hochdruck und viel Geld vom Bund umgesetzt werden sollen. Das Ziel: die Stickoxidwerte zu senken.
„Wir müssen die Städte sauber bekommen“, sagt Svenja Schulze (SPD), die den Gipfel gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ausrichtet. Auch Scheuer verweist auf den „Zeitdruck“angesichts von Grenzwertüberschreitungen in 65 Städten im vergangenen Jahr. Viel gemeinsames Lob für den Erfindungsreichtum der Oberbürgermeister kommt von den beiden Ressortchefs.
Mannheim plant Güterseilbahn
In Mannheim lautet das Zauberwort gegen die Luftverschmutzung „Digitalisierung“, erklärt Rathauschef Peter Kurz und schwärmt von der neuen Handy-App, mit der der Fahrkartenkauf am Automaten zur Geschichte wird. Das Smartphone-Ticket rechnet die Strecke nach Luftlinie ab – so wird das Bus- und Bahnfahren automatisch billiger. Weiteres Projekt der RheinNeckar-Metropole: Ein „MicroHub“, ein Umschlagplatz für Pakete, die von dort nur noch mit E-Autos weitertransportiert werden sollen. Kostenzuschuss vom Bund: 28,4 Millionen Euro. Die Pläne der Mannheimer reichen bis zum Bau einer Güterseilbahn zum Warentransport, erklärt SPD-Politiker Kurz, damit Lastwagen gar nicht mehr in die Stadt fahren müssten. In Reutlingen werden viele neue Buslinien eingerichtet, in Herrenberg wird getestet, was die digitale Steuerung der Verkehrsflüsse bewirken kann (siehe Text im Kasten).
Bonn führt ein „365-Euro-Ticket“ein. Für einen Euro pro Tag können die Bonner in Bus oder Bahn steigen und den Wagen stehen lassen. Um den erwarteten Fahrgastzuwachs zu bewältigen, hat Bürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) neue Elektrobusse bestellt. Damit soll der Takt im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erhöht werden. Knapp 40 Millionen Euro schießt der Bund zu. Auch in Essen – eine klassische Autostadt – soll mit 21 Millionen Euro vom Bund der öffentliche Nahverkehr flottgemacht werden – mit 24 neuen Fahrzeugen, Fahrradwegen und weiteren Tempo-30Zonen auf stark befahrenen Straßen. Überdies sollen die Tickets verbilligt werden.
Viele gute Ideen, doch die meisten werden allenfalls mittelfristig für sauberere Luft sorgen. Umweltministerin Schulze sagt mit Blick auf die vorgestellten Anstrengungen, die Mitte 2019 bewertet und im Erfolgsfall von anderen Kommunen nachgemacht werden sollen: „Ich bin überzeugt, dass sie am Ende nicht ausreichen werden, um Fahrverbote zu vermeiden.“Das werde nur mit Hardwarenachrüstungen der Dieselfahrzeuge gelingen. „Ich wünsche, dass sich die Hersteller kooperativ zeigen.“
Der Einbau modernster Abgasreinigung in ältere Diesel-Pkw auf Kosten von VW & Co. – hier endet die Gemeinsamkeit von Schulze und Verkehrsminister Scheuer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte angekündigt, der Dauerstreit der Großen Koalition werde bis Ende September beigelegt. CSU-Mann Scheuer will aber noch nicht einlenken, sagt am Dienstag: „Mein Haus und ich persönlich sehen weiterhin rechtliche, technische und organisatorische Schwierigkeiten.“Kommen die Autobauer ungeschoren davon? In den Modellstädten ist man alarmiert. Reutlingens Erste Bürgermeisterin Ulrike Hotz sagt: „Wir brauchen Hardwarenachrüstungen. Alles was schnell wirkt, hilft uns!“