Im Weinkeller des Oberbürgermeisters
Leseraktion „SZ öffnet Türen“: 25 Zeitungsleser erkunden das Rathaus-Nebengebäude
TUTTLINGEN - Historische Fassade und modernes Inneres: Bei der Aktion „SZ öffnet Türen“haben am Dienstag 25 Leser Einblick in alle Winkel des Rathaus-Nebengebäudes in der Waaghausstraße 10 erhalten und viele Fakten zur Geschichte des Hauses erfahren. Dabei entdeckten sie neben modernen Verwaltungsbüros alte Gewölbekeller, Fluchtgänge aus dem Zweiten Weltkrieg und das ehemalige Weindepot eines Oberbürgermeisters.
Es ist ein Haus mit einer langen Historie: Nachdem im Jahr 1897 ein Wohnhaus mit einer Schmiedewerkstatt völlig ausgebrannt war, wurde das heutige Rathaus-Nebengebäude gebaut. Baujahr: 1901. Damals beherbergte es zunächst Sparkasse und Verwaltungsbüros des Oberamts, eine Behörde, die heute mit dem Landratsamt vergleichbar wäre. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das historische Haus dann an die Stadt Tuttlingen, die dort zunächst die Verwaltung der Stadtwerke unterbrachte. Erst ab den 1970erJahren zogen dort Mitarbeiter der Stadtverwaltung ein.
Eine lange Geschichte, die Manfred Czornik ganz genau kennt. Der Architekt ist seit 22 Jahren beim Hochbauamt der Stadt beschäftigt und war federführend bei der Modernisierung des Rathaus Nebengebäudes 2017. „Es war einfach nicht mehr zeitgemäß“, erzählt er bei der Leserführung durch das Haus. Vor allem neue Brandschutzverordnungen hatten die Arbeiten nötig gemacht. „Das Problem war, dass vieles im Haus aus Holz war“, erklärt Czornik. Treppen, Decken und Fachwerkbalken in den Wänden. Außerdem sollten zeitgemäße Büros eingerichtet werden und ein Fahrstuhl für die Barrierefreiheit. Die letzte AchtZentimeter-Schwelle zum Fahrstuhl im Erdgeschoss wird mit der Erneuerung der Fußgängerzone endgültig beseitigt werden. Kostenpunkt für die Modernisierung des Gebäudes: 2,2 Millionen Euro. Ein Projekt, das Czornik eineinhalb Jahre beschäftigte.
Fliesen aus dem Jahre 1901
Eine besondere Herausforderung bei den Arbeiten bestand durch den Denkmalschutz des Gebäudes. So mussten beispielsweise die original Bodenfliesen von 1901 erhalten werden. Sie wurden vor den Arbeiten entfernt, eineinhalb Jahre zwischengelagert und liegen heute wieder im Flur der ersten Ebene des Gebäudes. „Die haben wir mit viel Aufwand wieder verlegt“, erinnert sich Czornik.
Doch historisch sind nicht nur die Fliesen. Unter dem Gebäude verbirgt sich noch heute ein Gewölbekeller, den es laut Czornik schon im Mittelalter gegeben haben könnte.
Der Keller wurde einst als Lager für Kohle genutzt, während des Zweiten Weltkriegs versteckten sich dort Menschen vor den Fliegerbomben. Schächte verbanden den Keller mit Nachbargebäuden, um im Notfall die Flucht zu ermöglichen. Diese sind heute nicht mehr begehbar. Ein zweiter Gewölbekeller wurde eine Zeit lang als Weinkeller genutzt – angeblich vom damaligen Oberbürgermeister.
Bei den Umbauarbeiten fanden die Mitarbeiter im Keller noch ein altes Weinregal mit Flaschen aus den Partnerstädten Tuttlingens – Jahrgänge aus den 1980ern. „Die waren aber nicht mehr genießbar“, sagt Czornik. Neben den historischen Orten entdeckten unsere Leser aber auch neueste Technik: Im Untergeschoss des Gebäudes steht der Verkehrsrechner, der alle Ampeln der Stadt steuert: ein grauer Serverkasten, aus dem unzählige bunte Kabel herausragen. In den oberen Geschossen befinden sich vor allem Verwaltungsbüros. Unter anderem die des Hochbauamtes.
Die Leser zeigten sich begeistert von Czorniks Führung: „Der Unterschied zwischen der Fassade und dem Inneren ist enorm“, sagt etwa Günter Woerner. „Schade, dass nicht mehr vom ursprünglichen Inneren erhalten werden konnte. Aber es ist toll geworden und sicher angenehm für die Mitarbeiter“.