Heuberger Bote

Im Weinkeller des Oberbürger­meisters

Leseraktio­n „SZ öffnet Türen“: 25 Zeitungsle­ser erkunden das Rathaus-Nebengebäu­de

- Von Sebastian Heilemann

TUTTLINGEN - Historisch­e Fassade und modernes Inneres: Bei der Aktion „SZ öffnet Türen“haben am Dienstag 25 Leser Einblick in alle Winkel des Rathaus-Nebengebäu­des in der Waaghausst­raße 10 erhalten und viele Fakten zur Geschichte des Hauses erfahren. Dabei entdeckten sie neben modernen Verwaltung­sbüros alte Gewölbekel­ler, Fluchtgäng­e aus dem Zweiten Weltkrieg und das ehemalige Weindepot eines Oberbürger­meisters.

Es ist ein Haus mit einer langen Historie: Nachdem im Jahr 1897 ein Wohnhaus mit einer Schmiedewe­rkstatt völlig ausgebrann­t war, wurde das heutige Rathaus-Nebengebäu­de gebaut. Baujahr: 1901. Damals beherbergt­e es zunächst Sparkasse und Verwaltung­sbüros des Oberamts, eine Behörde, die heute mit dem Landratsam­t vergleichb­ar wäre. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das historisch­e Haus dann an die Stadt Tuttlingen, die dort zunächst die Verwaltung der Stadtwerke unterbrach­te. Erst ab den 1970erJahr­en zogen dort Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltung ein.

Eine lange Geschichte, die Manfred Czornik ganz genau kennt. Der Architekt ist seit 22 Jahren beim Hochbauamt der Stadt beschäftig­t und war federführe­nd bei der Modernisie­rung des Rathaus Nebengebäu­des 2017. „Es war einfach nicht mehr zeitgemäß“, erzählt er bei der Leserführu­ng durch das Haus. Vor allem neue Brandschut­zverordnun­gen hatten die Arbeiten nötig gemacht. „Das Problem war, dass vieles im Haus aus Holz war“, erklärt Czornik. Treppen, Decken und Fachwerkba­lken in den Wänden. Außerdem sollten zeitgemäße Büros eingericht­et werden und ein Fahrstuhl für die Barrierefr­eiheit. Die letzte AchtZentim­eter-Schwelle zum Fahrstuhl im Erdgeschos­s wird mit der Erneuerung der Fußgängerz­one endgültig beseitigt werden. Kostenpunk­t für die Modernisie­rung des Gebäudes: 2,2 Millionen Euro. Ein Projekt, das Czornik eineinhalb Jahre beschäftig­te.

Fliesen aus dem Jahre 1901

Eine besondere Herausford­erung bei den Arbeiten bestand durch den Denkmalsch­utz des Gebäudes. So mussten beispielsw­eise die original Bodenflies­en von 1901 erhalten werden. Sie wurden vor den Arbeiten entfernt, eineinhalb Jahre zwischenge­lagert und liegen heute wieder im Flur der ersten Ebene des Gebäudes. „Die haben wir mit viel Aufwand wieder verlegt“, erinnert sich Czornik.

Doch historisch sind nicht nur die Fliesen. Unter dem Gebäude verbirgt sich noch heute ein Gewölbekel­ler, den es laut Czornik schon im Mittelalte­r gegeben haben könnte.

Der Keller wurde einst als Lager für Kohle genutzt, während des Zweiten Weltkriegs versteckte­n sich dort Menschen vor den Fliegerbom­ben. Schächte verbanden den Keller mit Nachbargeb­äuden, um im Notfall die Flucht zu ermögliche­n. Diese sind heute nicht mehr begehbar. Ein zweiter Gewölbekel­ler wurde eine Zeit lang als Weinkeller genutzt – angeblich vom damaligen Oberbürger­meister.

Bei den Umbauarbei­ten fanden die Mitarbeite­r im Keller noch ein altes Weinregal mit Flaschen aus den Partnerstä­dten Tuttlingen­s – Jahrgänge aus den 1980ern. „Die waren aber nicht mehr genießbar“, sagt Czornik. Neben den historisch­en Orten entdeckten unsere Leser aber auch neueste Technik: Im Untergesch­oss des Gebäudes steht der Verkehrsre­chner, der alle Ampeln der Stadt steuert: ein grauer Serverkast­en, aus dem unzählige bunte Kabel herausrage­n. In den oberen Geschossen befinden sich vor allem Verwaltung­sbüros. Unter anderem die des Hochbauamt­es.

Die Leser zeigten sich begeistert von Czorniks Führung: „Der Unterschie­d zwischen der Fassade und dem Inneren ist enorm“, sagt etwa Günter Woerner. „Schade, dass nicht mehr vom ursprüngli­chen Inneren erhalten werden konnte. Aber es ist toll geworden und sicher angenehm für die Mitarbeite­r“.

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FOTOS: SEBASTIAN HEILEMANN Erbaut 1901 und saniert 2017: Das denkmalges­chützte Rathaus-Nebengebäu­de bietet Einblicke in die Vergangenh­eit.
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Bunker während des Zweiten Weltkriegs: Unter den Büros der Verwaltung gibt es immer noch einen alten Gewölbekel­ler.
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Leser entdecken den Verkehrsre­chner, der alle Ampeln steuert.
 ??  ?? Einen Blick in den Dachstuhl gibt es nur über eine Leiter.
Einen Blick in den Dachstuhl gibt es nur über eine Leiter.
 ??  ?? Schächte im Keller dienten als Fluchtwege während des Krieges.
Schächte im Keller dienten als Fluchtwege während des Krieges.

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