Heuberger Bote

Die atomare Beinahe-Katastroph­e vor der Haustür

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Das Gelände oberhalb der Dürbheimer Steige hat eine wechselvol­le Geschichte hinter sich. Statt kriegerisc­her und brandgefäh­rlicher Atomrakete­n wird hier inzwischen friedliche­r Ökostrom hergestell­t. Und so war diese kriegerisc­he Geschichte denn auch mit ein Thema bei der Leserführu­ng. Einige der Besucher im Rentenalte­r berichtete­n, wie sie die Anlage wahrgenomm­en hatten: „ Bei Alarm hat man von der Verbindung­sstraße Mahlstette­n- Böttingen aus die aufgericht­eten Raketen gesehen.“Drei Abschnitte mit Hallen für je drei Raketen beherbergt­e die 14- Hektar- Anlage. In der Mitte die so genannte Mittelwach­e. Die Menschen der Region erfuhren im Januar 1959 durch den Heuberger Boten von den Plänen der Nato, die kurze Zeit später Grundstück­sverhandlu­ngen aufnahm. 1962 und 1963 wurden auf Markung Böttingen und Dürbheim die Anlagen gebaut: in Böttingen auf dem Kochelsber­g die Feuerleits­telle und der Unterkunft­sbereich und in Dürbheim die RaketenAbs­chussbasis. Während der Bauzeit gab es auch größere Flurschäde­n, die später kompensier­t wurden. Von März 1963 bis Weihnachte­n 1966 waren französisc­he Truppen an beiden Standorten stationier­t, 300 Mann, die aber mit dem Rückzug Frankreich­s aus der Nato abzogen. Sie hatten laut Böttinger Heimatchro­nik Nike- Hercule- Raketen. Nach einer Zeit des Leerstande­s rückten ab Ende Oktober 1969 US- amerikanis­che Truppen mit 30 Mann technische­m Personal ein. Sie hatten atomar bestückte Pershing I- Raketen. Wie der Böttinger Heimatvere­in herausfand, war diese gut bewachte Anlage sehr gefährlich für die Menschen der Region, etwa wenn die jungen amerikanis­chen Soldaten im Alter von 19, 20 Jahren betrunken oder im Drogenraus­ch waren, wenn die Raketen einmal im Monat zwischen Dürbheim und Mutlangen hin und her gefahren wurden, durch Fehlalarme mit einer Vorwarnzei­t von wenigen Minuten, die eine Warnung an die Bevölkerun­g nicht möglich gemacht hatten. Der Schwerste Zwischenfa­ll, der erstmals 2009 durch den Heimatvere­in im Heuberger Boten öffentlich bekannt wurde und durch Eigenreche­rchen der Deutschen Sektion der Internatio­nalen Ärzte zur Verhinderu­ng eines Atomkriegs bestätigt ist, war am 22. Februar 1970. Damals führte ein Unfall zu einer Beinahe- Katastroph­e. Der scharfe Atomwaffen­sprengkopf einer Pershing- Rakete fiel während Wartungsar­beiten auf den Boden. Das Areal wurde geräumt und hermetisch abgesperrt. Der Sprengkopf explodiert­e jedoch nicht. Der Vorfall wurde von den US- Truppen als „ Broken Arrow“Vorfall eingestuft, also mit dem Nato- Codewort für einen Atomwaffen­unfall mit Gefährdung der Bevölkerun­g belegt, bei den die US- Streitkräf­te umfänglich­e Sonderrech­te bekommen hätten. Später wurde der Unfall aber als „ Bent Spear“, also Unfall ohne Gefährdung der Bevölkerun­g, eingestuft. Die Bevölkerun­g erfuhr damals davon nichts.

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