Heuberger Bote

NRW-Minister Stamp räumt Fehler ein

Illegale Abschiebun­g von Sami A. löst Debatte über Rechtsstaa­t aus

- Von Andreas Herholz und dpa

- Schwere Vorwürfe gegen NRW-Flüchtling­sminister Joachim Stamp wegen seiner Rolle bei der Abschiebun­g des Gefährders Sami A.: Der Liberale und die Landesregi­erung sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, die Justiz behindert und rechtswidr­ig gehandelt zu haben. Und auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) steht in der Kritik. FDP-Chef Christian Lindner warf Seehofer und der Bundesregi­erung Untätigkei­t vor. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sprach von „unglaublic­hem Versagen“. Der Ruf nach personelle­n Konsequenz­en wird lauter und der Streit um die umstritten­e Rückführun­g des Islamisten heftiger.

Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster hatte die Abschiebun­g nach Tunesien für rechtswidr­ig erklärt und entschiede­n, dass Sami A. wieder nach Deutschlan­d zurückgeho­lt werden müsse. Wer trägt die Verantwort­ung für das Chaos und das rechtswidr­ige Vorgehen der Behörden? Die SPD fordert den Rücktritt des stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten und Flüchtling­sministers Stamp. Der FDP-Politiker hatte erklärt, „die volle Verantwort­ung“für die umstritten­e Abschiebun­g zu übernehmen. Er habe die Rückführun­g von Sami A. am 13. Juli persönlich entschiede­n. Die rechtliche­n Voraussetz­ungen für die Abschiebun­g hätten vollständi­g vorgelegen. Rückendeck­ung erhielt Stamp von Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU).

Vorwürfe gibt es auch seitens der Justiz: Ricarda Brandts, ranghöchst­e Richterin in Nordrhein-Westfalen und Präsidenti­n des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster warf den Behörden vor, der Justiz Informatio­nen vorenthalt­en zu haben, um eine rechtzeiti­ge Entscheidu­ng des Gerichts zu verhindern. „Hier wurden offensicht­lich die Grenzen des Rechtsstaa­tes ausgeteste­t“, erklärte sie. Stamp habe das Gericht getäuscht und müsse jetzt dafür die Konsequenz­en übernehmen, forderte der Vorsitzend­e der SPD-Landtagsfr­aktion, Thomas Kutschaty.

Stamp lehnt Rücktritt ab

Flüchtling­sminister Stamp widersprac­h am Donnerstag energisch: „Den Vorwurf aber, ich hätte das Gericht getäuscht, weise ich entschiede­n zurück“, sagte er, kündigte aber auch Konsequenz­en an. Es müsse an einer besseren „Kommunikat­ionskultur“zwischen Politik, Behörden und Justiz gearbeitet werden. „Wir wollen alle, dass sich ein Fall Sami A. nicht wiederholt“, erklärte der Liberale und lehnte einen Rücktritt ab.

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) warf den Richtern vor, das Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g nicht ausreichen­d berücksich­tigt zu haben. Richtersch­elte seitens der Politik – der Fall Sami A. hat eine Debatte über die Unabhängig­keit der Justiz ausgelöst. „Aus guten Gründen haben wir in Deutschlan­d Gewaltente­ilung“, erinnerte Richterbun­dChef Jens Gnisa und wies die Kritik von Reul zurück. SPD-Landtagsfr­aktionsche­f Thomas Kutschaty warf Reul „ein gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaa­t“vor.

Bundestags­abgeordnet­er Benjamin Strasser (FDP) aus Ravensburg sagte: „Vor der Abschiebun­g von Sami A. hat sich Innenminis­ter Seehofer als härtester Abschieber präsentier­t. Doch als es jetzt zum Schwur kam, haben Horst Seehofer und Heiko Maas nicht einmal das geliefert, was dringend notwendig war: Eine diplomatis­che Note zum Ausschluss von Folter. Wieder versagt der Bundesinne­nminister auf ganzer Linie. Noch nie ist ein Bundesmini­ster so früh im Amt gescheiter­t.“

Die tunesische­n Behörden verwiesen darauf, dass gegen Sami A. ein Ermittlung­sverfahren laufe, sein Pass eingezogen sei und er somit aktuell nicht nach Deutschlan­d zurückkehr­en könne. Eine Auslieferu­ng nach Deutschlan­d würde gegen die Souveränit­ät des Landes verstoßen.

Im Falle einer Rückkehr aus Nordafrika könnte der Islamist Sami A. nach Einschätzu­ng der Polizei die Gelegenhei­t nutzen und abtauchen. „Natürlich muss er auch damit rechnen, dass er im zweiten Verfahren erneut abgeschobe­n wird“, sagte der stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, am Donnerstag in Berlin. Dass er die verbleiben­de Zeit bis zu einer Gerichtsen­tscheidung zu einem Anschlag nutzen könnte, sei nicht vom Tisch zu wischen.

Sollte Sami A. nach einer erforderli­chen Risikoanal­yse in die höchste Kategorie der Gefährder eingestuft werden, wären insgesamt etwa 30 Polizisten für eine Beobachtun­g nötig.

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU Joachim Stamp, der nordrhein-westfälisc­he Flüchtling­sminister, hat die Verantwort­ung für die umstritten­e Abschiebun­g nach Tunesien übernommen. Einen Rücktritt aber lehnt er ab.

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