NRW-Minister Stamp räumt Fehler ein
Illegale Abschiebung von Sami A. löst Debatte über Rechtsstaat aus
- Schwere Vorwürfe gegen NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp wegen seiner Rolle bei der Abschiebung des Gefährders Sami A.: Der Liberale und die Landesregierung sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, die Justiz behindert und rechtswidrig gehandelt zu haben. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) steht in der Kritik. FDP-Chef Christian Lindner warf Seehofer und der Bundesregierung Untätigkeit vor. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sprach von „unglaublichem Versagen“. Der Ruf nach personellen Konsequenzen wird lauter und der Streit um die umstrittene Rückführung des Islamisten heftiger.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Abschiebung nach Tunesien für rechtswidrig erklärt und entschieden, dass Sami A. wieder nach Deutschland zurückgeholt werden müsse. Wer trägt die Verantwortung für das Chaos und das rechtswidrige Vorgehen der Behörden? Die SPD fordert den Rücktritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Flüchtlingsministers Stamp. Der FDP-Politiker hatte erklärt, „die volle Verantwortung“für die umstrittene Abschiebung zu übernehmen. Er habe die Rückführung von Sami A. am 13. Juli persönlich entschieden. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebung hätten vollständig vorgelegen. Rückendeckung erhielt Stamp von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU).
Vorwürfe gibt es auch seitens der Justiz: Ricarda Brandts, ranghöchste Richterin in Nordrhein-Westfalen und Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Münster warf den Behörden vor, der Justiz Informationen vorenthalten zu haben, um eine rechtzeitige Entscheidung des Gerichts zu verhindern. „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, erklärte sie. Stamp habe das Gericht getäuscht und müsse jetzt dafür die Konsequenzen übernehmen, forderte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty.
Stamp lehnt Rücktritt ab
Flüchtlingsminister Stamp widersprach am Donnerstag energisch: „Den Vorwurf aber, ich hätte das Gericht getäuscht, weise ich entschieden zurück“, sagte er, kündigte aber auch Konsequenzen an. Es müsse an einer besseren „Kommunikationskultur“zwischen Politik, Behörden und Justiz gearbeitet werden. „Wir wollen alle, dass sich ein Fall Sami A. nicht wiederholt“, erklärte der Liberale und lehnte einen Rücktritt ab.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warf den Richtern vor, das Rechtsempfinden der Bevölkerung nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Richterschelte seitens der Politik – der Fall Sami A. hat eine Debatte über die Unabhängigkeit der Justiz ausgelöst. „Aus guten Gründen haben wir in Deutschland Gewaltenteilung“, erinnerte RichterbundChef Jens Gnisa und wies die Kritik von Reul zurück. SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty warf Reul „ein gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaat“vor.
Bundestagsabgeordneter Benjamin Strasser (FDP) aus Ravensburg sagte: „Vor der Abschiebung von Sami A. hat sich Innenminister Seehofer als härtester Abschieber präsentiert. Doch als es jetzt zum Schwur kam, haben Horst Seehofer und Heiko Maas nicht einmal das geliefert, was dringend notwendig war: Eine diplomatische Note zum Ausschluss von Folter. Wieder versagt der Bundesinnenminister auf ganzer Linie. Noch nie ist ein Bundesminister so früh im Amt gescheitert.“
Die tunesischen Behörden verwiesen darauf, dass gegen Sami A. ein Ermittlungsverfahren laufe, sein Pass eingezogen sei und er somit aktuell nicht nach Deutschland zurückkehren könne. Eine Auslieferung nach Deutschland würde gegen die Souveränität des Landes verstoßen.
Im Falle einer Rückkehr aus Nordafrika könnte der Islamist Sami A. nach Einschätzung der Polizei die Gelegenheit nutzen und abtauchen. „Natürlich muss er auch damit rechnen, dass er im zweiten Verfahren erneut abgeschoben wird“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, am Donnerstag in Berlin. Dass er die verbleibende Zeit bis zu einer Gerichtsentscheidung zu einem Anschlag nutzen könnte, sei nicht vom Tisch zu wischen.
Sollte Sami A. nach einer erforderlichen Risikoanalyse in die höchste Kategorie der Gefährder eingestuft werden, wären insgesamt etwa 30 Polizisten für eine Beobachtung nötig.