Den eigenen Augen ist nicht zu trauen
Die Hypo-Kunsthalle München entdeckt die „Lust der Täuschung“in der Kunst
- Wir scheinen in einer Welt der falschen Nachrichten und manipulierten Bilder zu leben. Doch vielleicht wollen wir ja betrogen werden? Zum Beispiel in und durch die Kunst? Die Kunsthalle München der Hypo-Kulturstiftung jedenfalls behauptet das in ihrer neuen Ausstellung. Sie spürt der „Lust der Täuschung“nach – von der Antike bis zur Gegenwart. Herausgekommen ist eine ebenso amüsante wie inspirierende Schau, die man mit dem sicheren Gefühl verlässt, dass man den eigenen Augen nicht trauen kann.
Kunst ist der Gegenbegriff zur Realität. Dennoch wurde und wird Kunst danach beurteilt, wie gut sie Wirklichkeit simuliert - oder eben mit der Vortäuschung falscher Tatsachen spielt. Der Künstler hat Freude daran, die Betrachter zu täuschen, und die Getäuschten haben Spaß daran, wenn sie die Täuschung entlarvt und das Rätsel gelöst haben. Zum Bespiel bei Hans Peter Reuters „Kachelraum“(1976). Wir stehen vor einem blauen Bild,. Zuerst glaubt man, in ein blau gekacheltes Schwimmbecken oder Badezimmer zu schauen. In Wahrheit ist die Tiefe aber eine eine Sinnestäuschung. Das Spiel mit der Täuschung der Augen wird mit vielen Beispielen der Trompe-l‘oeilMalerei vorgeführt. Es gibt eine Reproduktion der Wandmalerei aus der Casa di Melagro in Pompeji. Die Deckengemälde der Neuen Residenz in Bamberg mit ihren fantastischen Perspektiven bringt ein virtueller Rundgang nahe. Genarrt wird der Betrachter auch von Cornelis Gijsbrechts (1630-1683), der täuschend echte Objekte, Papiere, Notizzettel wie an eine Wand gepinnt malt. Dass die Tradition fortgeführt wird, zeigen Gerhard Richters „Blattecke“von 1967 oder Thomas Demands „Glas“von 2002 und Oskar Dawickis Fotografie mit Todesanzeigen von Prominenten. Und wieder ist es der zweite Blick, der die Täuschung entdeckt: Die Namen sind alle leicht verändert. „Goerg William Bsuh“steht da oder „Antonio Banedras“.
Faszinierende Effekte bescheren Bilder, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, etwas anderes zeigen. Besonders eindrucksvoll ist eine Replik aus dem Kloster Trinità dei Monti aus Rom: Von der Seite aus erkennt man einen ins Gebet versunkenen alten Mann, von vorn ist es eine Landschaft. Sogenannte Anamorphosen waren besonders im 17. Jahrhundert beliebt.
Was ist wahr? Was kann man glauben? Der Jünger Thomas jedenfalls wollte nicht eher an die Auferstehung Jesu glauben, bis er ihm begegnete. Die wohl berühmteste Darstellung dieses Moments stammt von Caravaggio. In der Hypo-Kunsthalle ist die Kopie aus der Pinakothek zu sehen. Wie Thomas mit ausgestrecktem Finger in Jesu Wunde bohrt, lässt einen noch jedes Mal erschaudern.
Ein Trip mit Laurie Anderson
Die Ausstellung beginnt mit der „Urlegende“der Kunst. Plinius der Ältere erzählt vom Wettstreit der Maler Zeuxis und Parrhasios: Zuerst habe Zeuxis dermaßen perfekt Weintrauben an die Wand gemalt, dass Vögel herbeigeflogen kamen und nach ihnen pickten. Daraufhin führte Parrhasios seinen Kollegen vor einen Vorhang. Zeuxis will ihn aufziehen und muss feststellen, dass es ihn nicht gibt. Er ist „nur“gemalt. Der Bildhauer Pygmalion schuf sich das Standbild einer Frau und verliebte sich in sie. Venus erweckte die Statue zum Leben. In München ist eine moderne Interpretation des Pygmalion-Stoffes zu sehen: John de Andrea, einer der bedeutendsten Vertreter der hyperrealistischen Skulptur, hat 1980 lebensgroß sich selbst und eine Frau, seine Muse, in Plastilin erschaffen.
Auf die Spitze getrieben hat die Simulation des Lebens in und durch die Kunst gewiss die digitale Revolution. Stichwort: Virtual Reality. Schon der Begriff ist eigentlich ein Widerspruch in sich selbst. Und so widersprüchlich sind auch die Empfindungen, die solche Simulationen auslösen. Gleich im zweiten Raum lädt das Künstlerkollektiv von ToastVR zu „Richie’s Plank Experience“ein. Die Besucher (es können nur immer zwei in den Raum) bekommen eine VR-Kamera aufgesetzt, mit dem Fahrstuhl geht es nun – alles virtuell versteht sich – in das oberste Stockwerk eines Hochhauses. Wenn sich der Fahrstuhl öffnet, ist da nur ein Brett auf dem Boden – hoch über den Straßen. Es gibt kein Geländer, keinen Halt, nichts. Horror. Nur für Schwindelfreie.
Wie anders hingegen die VR-Installation „Chalkroom“von Laurie Anderson und Hsin-Chien Huang. Die Wände eines dunklen Raums sind mit Buchstaben übersät. Nachdem man die Kamera übergestülpt bekommen hat, geht es los. Es beginnt ein grandioses Abenteuer: Buchstaben kommen auf einen zu, Wortfetzen, Musik. Wer „Flying“gewählt hat, beginnt nun durch riesige Häuserschluchten zu schweben. Es ist ein Eintauchen in Geschichten und fremde Welten und immer neue Formationen, dazu die Stimme der amerikanischen Multikünstlerin. Ein grandioser Trip. Allein der ist eine Reise wert. Real.