Apotheker horten Arzneien
Lieferengpässe von Medikamenten nehmen auch an Spaichinger Apotheken zu – Risiken für Patienten
- Lieferengpässe von Medikamenten an Apotheken nehmen bundesweit immer dramatischere Ausmaße an. Auch Kunden der Spaichinger Apotheken erleben immer häufiger, dass notwendige Arzneien nicht vorrätig sind. In Einzelfällen kann dies gefährlich werden.
So bei einem Fall, der sich kürzlich in der Paracelsus-Apotheke ereignet hat: Ein werdender Vater habe für seine schwangere Frau ein spezielles Präparat gegen Bluthochdruck in der Schwangerschaft gebraucht, berichtet Inhaber Oliver Oehrle. „Normalerweise haben wir das immer auf Lager – man braucht es nicht oft, aber wenn, ist es gut, wenn es schnell verfügbar ist.“Weil jedoch das Mittel kurz zuvor an eine andere schwangere Frau verkauft worden sei, habe man es nicht mehr vorrätig gehabt. „Wir haben versucht, es irgendwie zu bekommen, versucht, den Großhandel anzuzapfen, beim Hersteller angefragt – es war nicht möglich.“Den Mann habe man nach Hause schicken müssen. Er habe das Mittel schließlich bei einer anderen Apotheke in der Region bekommen.
Dass wichtige Medikamente wegen Produktionsengpässen nicht lieferbar sind, ist eine nicht zu leugnende Entwicklung. „Ich muss inzwischen bei so vielen Händlern anrufen“, stöhnt Oehrle. „Sie können keine genauen Lieferzeiten nennen, teilweise werden wir hingehalten: Dann heißt es, das Medikament kommt Mitte nächsten Monat, aber das wird dann auch nicht eingehalten – mit dem Argument, dass es noch überprüft werde oder zu viele Anfragen vorlägen.“
Selbst an gängigen Arzneien wie Ibuprofen herrscht Mangel: Seit die Produktion des Wirkstoffs im BASFWerk in Texas im Juni wegen technischer Probleme vorerst eingestellt wurde, fällt einer der wichtigsten Lieferanten aus. Eine in Ludwigshafen geplante erste Produktionsanlage für das gut verkaufte Schmerzmittel soll den Betrieb erst 2021 aufnehmen. Ein Sechstel des globalen Bedarfs kommt aus Texas. BASF war bereits im August 2017 von Produktionsausfällen betroffen, deren Folgen in Deutschland während der Grippewelle im Winter zu spüren waren: Seinerzeit verursachte Hurricane „Harvey“in den USA Stromausfälle und damit Produktionsausfälle.
Kritik an der Informationspolitik
Apotheker hamstern das Mittel derzeit. „Wir haben uns gut eingedeckt mit Ibuprofen – ein Jahr könnten wir in jedem Fall liefern“, sagt Oehrle und weist auf die lange Haltbarkeit der Tabletten hin. Der Spaichinger Apotheker moniert die Informationspolitik: „Erst hieß es, es gebe einen Halbjahresengpass, jetzt heißt es drei Jahre.“Ähnlich sei die Situation bei zwei gängigen Produkten von Bayer, Aspirin complex und Aspirin i.v.; beim ersten sind „wegen Modernisierungsmaßnahmen am Produktionsstandort Bitterfeld“alle Terminlieferungen von diesem August bis Januar 2019 abgesagt, bei letzterem führt das Unternehmen „qualitätsbedingte Ausfälle an gleich mehreren Produktionsstätten“an. Ein Alternativ-Produkt zum intravenösen Aspirin i.v. habe er deshalb aus dem Ausland importieren müssen – mit erheblichem zeitlichen Aufwand und Mehrarbeit.
„Viele Kunden kennen das Theater schon“, sagt Oehrle. So seien vor einem Jahr gängige Antibiotika nicht lieferbar gewesen. Ein Kernproblem sieht er in der fortschreitenden Monopolisierung der Pharmabranche und der Auslagerung der WirkstoffProduktion ins Ausland, vor allem nach Asien, aus Kostengründen: Wenn dort Qualitätsmängel auftreten oder ein Rohstoff wegen schlechter Ernte ausfällt und der Wirkstoff nicht produziert werden kann, verursacht das in Europa eine Verknappung. „Wenn von nur noch wenigen Firmen eine schließt, ist natürlich ein Engpass da“, so Oehrle.
Es sei seit Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt worden, „aber die Politik hat das abgetan“, ärgert sich der Apotheker. Wenn in Deutschland keine Arzneien mehr hergestellt würden, sei man abhängig vom Weltmarkt. Seine Forderung: „Deutschland muss wieder in der Lage sein, vor Ort kostendeckend zu produzieren.“Er verstehe zwar, dass Hersteller wirtschaftlich arbeiten müssten – „aber irgendwann wird die Qualität auf der Strecke bleiben“.
„Das darf nicht sein“
„Segen und Fluch der Globalisierung“führt auch Dr. Martin Berner, Filialleiter der Spaichinger Marktplatz-Apotheke, ins Feld. „Es ist ärgerlich, wenn Fächer für Medikamente leer bleiben, weil sie nicht lieferbar sind.“So gebe es seit Jahren ein Versorgungsproblem mit Impfstoffen, „das darf nicht sein“. Rund 80 Prozent der Wirkstoffe von Arzneien würden wegen der geringeren Kosten inzwischen in China und Indien produziert, so Berner. „Man macht sich total abhängig.“Denn wenn nach Kontrollen der Behörden dort Produktionsstätten geschlossen würden, „gibt es den Wirkstoff nicht mehr“.
„Die Lieferschwierigkeiten haben dramatisch zugenommen“, urteilt Berner. „Wir versuchen, früh an Waren zu kommen und in großen Mengen zu bestellen.“Was natürlich auf Kosten der Haltbarkeit der Medikamente geht. Zusätzlich zum zeitlichen Mehraufwand entstehen den Apotheken Extrakosten durch Einzelimporte und Alternativpräparate. „Diese können unter Umständen mehr kosten“, sagt Berner.
Ein zusätzliches Hindernis stellen Arzneimittel-Rabattverträge dar: Das sind vertragliche Vereinbarungen zwischen einzelnen Arzneimittelherstellern und einzelnen deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen über die exklusive Belieferung der Krankenversicherten mit Arzneimitteln des Herstellers – wird ein Medikament verschrieben, bestimmt seine Krankenkasse, von welchem Hersteller der Patient es erhält. „Wenn es etwa bei einem Impfstoff nur zwei Hersteller gibt, der eine kriegt den Zuschlag und der andere steigt aus der Produktion des Impfstoffs aus, gibt es bei einem Lieferausfall keine Alternative mehr“, sagt Berner. Er habe bei Lieferengpässen „versucht, auf andere Firmen umzusteigen – die Rabattverträge zwingen mich jedoch dazu, die Medikamente von einer bestimmten Firma zu bekommen“. Man könne zwar aus einem Vertrag raus, „aber das ist aufwendig und kostet unendlich viel Zeit“.
Unter seinen Kunden gebe es viele, bei denen Lieferengpässe auf „völliges Unverständnis treffen – sie können sich nicht vorstellen, dass so etwas in Deutschland möglich ist“.