„Die Bilder ihrer Leidenszeit werden in den Opfern wieder aktiv“
Der Psychotraumatologe Jan Ilhan Kizilhan lehrt an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen. Er behandelt viele Opfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Im Gespräch mit Ludger Möllers fordert Kizilhan die genaue Aufklärung des Falls der Jesidin Aschwak Talo.
Wie erleben Opfer sexueller Gewalt wie Aschwak Talo eine erneute Begegnung mit ihren Peinigern?
Zu befürchten ist, dass diese Frauen einen Schock erleiden, wenn sie sich an das, was passiert ist, erinnern müssen. Die Bilder ihrer Leidenszeit werden in ihnen wieder aktiv, sie verfallen in einen Unruhezustand und werden von Alpträumen verfolgt.
Gegen die Polizei werden schwere Vorwürfe erhoben: Die Beamten seien untätig geblieben.
Ich selber habe mit Polizeibeamten gesprochen, sie sensibilisiert, als die ersten Jesiden im Jahr 2015 nach Baden-Württemberg kamen. Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass Polizisten, wenn sie um Hilfe gebeten werden, die Frau lapidar abfertigen und nicht reagieren sollen.
Wie sind Ihre eigenen Erkenntnisse zu dem Fall?
Mir ist der Fall Aschwak Talo seit Anfang des Jahres bekannt. Ich frage mich seither, warum die Frau zu ihrem Vater in den Irak zurückgekehrt ist. Die Sicherheitslage dort ist, auch wegen der immer noch aktiven IS-Kämpfer, deutlich schlechter als in Deutschland. Daher ist für mich dieser Schritt nicht nachvollziehbar.
Was könnte passiert sein, dass sich Aschwak Talo in Deutschland nicht mehr sicher fühlte?
Aschwak Talo könnte einen Mann gesehen haben, der ihr Peiniger war oder ihm sehr ähnlich sieht, der sie an den IS-Kämpfer erinnert. Dieses Erlebnis könnte eine Gedächtnisstörung ausgelöst haben.
Und welche Konsequenzen sind nun zu ziehen?
Die Polizei muss schnellstens aufklären, ob der IS-Kämpfer, der Aschwak Talo vergewaltigt und missbraucht hat, tatsächlich in Schwäbisch Gmünd war. Dem müssen die Behörden jetzt nachgehen. Vielleicht war er unter falschem Namen nach Deutschland eingereist? Und wenn solche Kriminelle und Massenmörder hier sind, sind sie ein Fall für die Justiz.
Was bedeutet der Fall Aschwak Talo für hier lebende Jesiden?
Die Jesiden wollen in Deutschland sicher leben. Dieses Sicherheitsgefühl muss unser Land ihnen garantieren können.