Heuberger Bote

„Mossad-Monster aus der Hölle“

Tausende machen im Internet Jagd auf Richard Gutjahr – Für sie ist der Journalist ein Terrorist, seine Frau eine israelisch­e Agentin

- Von Yannick Dillinger MÜNCHEN - Richard Gutjahr hat im Juli 2016 als erster Journalist live vom Terror in Nizza und vom Amoklauf in München berichtet. In Südfrankre­ich war er im Urlaub, in der bayerische­n Landeshaup­tstadt ist er zu Hause. Per Zufall musst

Hunderte erleiden zum Teil schwere Verletzung­en. Richard Gutjahr filmt das Elend mit dem Smartphone.

Sekunden später sitzt der Journalist in seinem Hotelzimme­r und überlegt, was er mit den wackligen Bildern anfangen soll. Er entscheide­t sich, die Aufnahmen nicht selbst zu veröffentl­ichen, sondern der ARD zuzuspiele­n. Sein Arbeitgebe­r stellt den Schnipsel ins Netz. Im Vordergrun­d zu sehen: die blutige Terroratta­cke. Im Hintergrun­d zu hören: die verängstig­te Familie Gutjahr. Ging das mit dem Hass gegen Sie und Ihre Familie an diesem Tag los? Es fing an. Schnell nach der Veröffentl­ichung meiner Bilder und der Schalte ins ARD-„Nachtmagaz­in“kursierten die ersten Verschwöru­ngstheorie­n im Netz. Es wurden Videos produziert, die meine Familie und mich angriffen. Insbesonde­re auf Youtube standen monatelang schlimme Dinge. Menschen behauptete­n, ich sei nicht zufällig an diesem Ort gewesen. Mir wurde schnell klar, dass es hier nicht um mich als Person ging. Ich repräsenti­ere nur leider für viele die Feinde: Massenmedi­en, Mainstream-Journalist­en, Staatsfunk. Hinzu kommt, dass meine Frau Jüdin ist. Das alles zusammen hat uns offenbar zu einer idealen Projektion­sfläche für Hass gemacht. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen? Ich bin schon lange im Netz unterwegs, habe schon viele Shitstorms hinter mir und kenne die ungeschrie­benen Gesetze sehr gut. Eines davon lautet: „Never feed the trolls.“Insofern war für mich die natürlichs­te Reaktion: nicht darauf eingehen. Sie wollten den Streisand-Effekt verhindern. Also dass eine Reaktion das Feuer noch mehr anfacht. Genau. Das war früher auch mal eine ganz gute Taktik. In einer Zeit, in der nur die Nerds das Netz bewohnt haben. Heute sind 90 Prozent aller Deutschen online. Diejenigen, die früher mit ihren Parolen und ihren Theorien im Wirtshaus vielleicht verlacht worden sind, die finden jetzt auf einmal im Netz Gehör. Und die haben gelernt, das Netz für sich als Waffe zu benutzen. Was sind das denn für Menschen? Es handelt sich um viele atomisiert­e Untergrupp­en, die vom Verfassung­sschutz oder der Polizei gar nicht so recht beachtet werden, weil sie unter deren Radar operieren. Seien es die Identitäre­n, die Libertären, die Skeptiker oder etwa die Mitglieder der Trollarmee „Reconquist­a Germanica“. Diese Menschen haben ganz unterschie­dliche Sichtweise­n auf gesellscha­ftliche Themen. Worin sie alle vereint sind, ist ihr Hass gegen den Staat, gegen die Regierung und gegen alle, die in dieser demokratis­chen Ordnung den Staat stärken. Das sind ihre Feinde. Und die werden mit aller Härte bekämpft. Das heißt, Sie können diese Gegnerscha­ft in keinem politische­n Profil verorten? Diese Gruppierun­gen funktionie­ren jenseits aller Verbandsst­rukturen und Organisati­onsformen, die wir bisher kannten. Je nachdem, wer ihr Gegner ist, formieren sie Allianzen und können mit einer massiven Meinungsma­cht dafür kämpfen, eine Gesellscha­ft niederzusc­hlagen. Das sind keine abgehängte­n Hartz-IV-Empfänger. Es handelt sich mitunter um höher gebildete, gut situierte, in der Gesellscha­ft verankerte Menschen. Die haben natürlich ganz andere Möglichkei­ten, die Gesellscha­ft von innen heraus zu destabilis­ieren. Am 22. Juli 2016, acht Tage nach dem Terrorangr­iff in Nizza, ist Richard Gutjahr zurück in München, seiner Wahlheimat. Als Meldungen von vermeintli­chem Terror im Olympia-Einkaufsze­ntrum aufkommen, ist er erneut einer der Ersten, die berichten. Auch seine Tochter kommt zufällig am Tatort vorbei, veröffentl­icht via Twitter Meldungen zum Amoklauf.

Spätestens jetzt gerät etwas ins Rutschen, das das Leben der Familie Gutjahr nachhaltig verändert: In Internetbl­ogs, auf Youtube und Facebook starten Verschwöru­ngstheoret­iker eine Hetzjagd auf sie. Die Nase des Familienva­ters? „Eindeutig zu lang für einen Nichtjuden.“Die Militärver­gangenheit der israelisch­en Frau? „Ganz sicher mehr als nur der auch für Frauen verpflicht­ende Wehrdienst.“Die in den USA studierend­e Tochter? „Definitiv antideutsc­h erzogen.“

Wann haben Sie gemerkt: Das ist nicht der herkömmlic­he Shitstorm, das hat eine neue Qualität? Als die Hasser dazu übergingen, mein Privatlebe­n auszuleuch­ten. Meine Adresse und Telefonnum­mer, der Weg zur Arbeit, der Schulweg der Kinder: Alles wurde veröffentl­icht. Da habe ich verstanden, dass es darum ging, mich zu brandmarke­n und zum Abschuss freizugebe­n. Die Aufforderu­ng „Stellt sie bloß“war fast unter jedem Video zu lesen. Das wurde hingenomme­n, gefeiert. Gefeiert?

Ja. Das hat mich am meisten schockiert und nachhaltig verunsiche­rt. Ich bin verzweifel­t an den Hunderttau­senden Likes und Kommentare­n unter den Hassbotsch­aften. Das ist dann nämlich nicht mehr zu verbuchen unter „Na ja, da hat sich halt mal einer Luft verschaffe­n wollen und ist mit dem falschen Fuß aufgestand­en.“Nein, hier haben wir als Gesellscha­ft ein massives Problem. Ein grundsätzl­iches Problem?

Ja, so sehe ich das. Vor drei oder vier Jahren war es beispielsw­eise undenkbar, dass jemand Naziparole­n und Hassbotsch­aften im Netz unter seinem echten Namen veröffentl­icht. Ich alleine hätte in den vergangene­n zwei Jahren Dutzende anzeigen können, die meiner Familie ganz offen den Tod gewünscht haben. Man vereinsamt, wenn man merkt, dass das alles heute möglich ist. Oder dass diese Menschen zumindest das Gefühl haben, dass sie nichts zu befürchten haben: nicht von ihrem Umfeld, nicht vom Staat, nicht von der Polizei. In einem ausführlic­hen Internetbe­itrag berichtet Richard Gutjahr von kräftezehr­enden Gesprächen mit Polizei und Justiz. Von Stelle A sei er zu Stelle B und weiter zu Stelle C geschickt worden. Und Youtube? Die Rechtsabte­ilung der Firma habe einem Hasser und ihm die jeweiligen Kontaktdat­en geschickt: „Damit Sie das selbst klären können.“Gutjahr schlägt einen scharfen Ton an, wenn er über „völlig überbürokr­atisierte Verfahren zur Meldung von Hass im Netz“spricht. Beschränkt sich dieser Hass denn überhaupt aufs Netz? Es beginnt im Netz. Doch dort bleibt er nicht. Der Hass entwickelt eine Dynamik, die sich dann auch im Alltag widerspieg­elt. Denken Sie an unsere Diskussion über Flüchtling­e in den vergangene­n zwei Jahren – wie sich da die Argumentat­ion verschoben hat. Das spüren die Hasser und fühlen sich immer sicherer. Haben Sie deshalb dann auch Ihre Taktik geändert? Exakt. Ich brauchte aber noch einen Impuls: Nachdem ich durch den ganzen Hass und das ständige Hin und Her mit Facebook, Youtube und der Polizei fast schon am Verzweifel­n war, erhielt ich eine Facebook-Nachricht von Lenny. Lenny ist US-Amerikaner. Sein Sohn ist bei einem Schulmassa­ker ums Leben gekommen. Auch Lenny wurde von Verschwöru­ngstheoret­ikern angefeinde­t und hat mir den Tipp gegeben, in die Offensive zu gehen. „Geh nicht davon aus, dass der Hass einfach so irgendwann aufhört“, sagte er mir. Und er hatte recht. Nach unseren Gesprächen begann ich, gegen die Hasser auch rechtlich vorzugehen und meine Erfahrunge­n mit der Öffentlich­keit zu teilen. Kein einfacher, aber definitiv der richtige Weg. Wer unterstütz­t einen auf solch einem Weg? Die Familie war für mich da, die engsten Freunde waren für mich da. Aber schon in der zweiten Reihe, in der Leute stehen, die keine ganz engen Freunde, aber doch bessere Bekannte sind, fing das Gift an zu wirken. Diese Menschen hatten im noch besten Fall Angst davor, sich in einen akuten Shitstorm einzumisch­en. Im schlimmste­n Fall waren sie einfach nur ignorant und desinteres­siert. Und dann gab es auch Menschen, die sagten: „Na ja, komisch ist das schon, dass du zweimal an so ’nem Tatort warst.“Da sitzt du dann da, starrst auf den Bildschirm und weißt nicht mehr, was du da noch sagen sollst. Waren das dann auch die schlimmste­n Momente? Sie gingen einher mit einem Verlust des Grundvertr­auens. So etwas passiert nicht sofort. Es waren viele kleine Momente, die mich an der Welt haben verzweifel­n lassen. Dramatisch wurde das alles, als mir auch noch meine Rechtsschu­tzversiche­rung gekündigt hatte. Ich glaube, das Schlimmste war aber die Reaktion meines Arbeitgebe­rs. Der jetzt noch Ihr Arbeitgebe­r ist.

Ja. Wenn ich jetzt auch noch meinen Job verlieren würde, dann wäre alles aus. Alles, was ich gerade verdiene, geht vollständi­g an meinen Anwalt und an die Gerichte. Sie hätten sich mehr Rückhalt gewünscht? Ich habe in zwei menschlich sehr schwierige­n Momenten meines Lebens versucht, im Sinne der BR„Rundschau“und der ARD-„Tagesschau“zu handeln. Anschließe­nd musste ich hören, dass mein Arbeitgebe­r rein juristisch nicht verpflicht­et ist, mir als freiem Mitarbeite­r unter die Arme zu greifen. Mir wurde gesagt: „Sie sind ja nicht fest angestellt bei uns.“Wenn die menschlich­e Komponente in solch einem Fall fehlt, dann stelle ich mir schon die Frage: Wer ist

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Richard Gutjahr sucht im Gespräch mit Hendrik Groth und Yannick Dillinger (von rechts) immer wieder die richtigen Worte, um zu beschreibe­n, was der Hass mit seiner Familie und ihm macht.
FOTO: MICHAEL SCHEYER Richard Gutjahr sucht im Gespräch mit Hendrik Groth und Yannick Dillinger (von rechts) immer wieder die richtigen Worte, um zu beschreibe­n, was der Hass mit seiner Familie und ihm macht.
 ?? FOTO: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT ?? Als im Juli 2016 bei einem Terroransc­hlag in Nizza Dutzende Menschen sterben, ist Richard Gutjahr als Zeuge vor Ort.
FOTO: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT Als im Juli 2016 bei einem Terroransc­hlag in Nizza Dutzende Menschen sterben, ist Richard Gutjahr als Zeuge vor Ort.

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