Heuberger Bote

Streit auf Leben und Tod

Prozessauf­takt: Junger Pakistani soll Syrer am Busbahnhof mit Messer attackiert haben

- Von Lothar Häring

- Sechs Flüchtling­e aus Tuttlingen stehen im Mittelpunk­t eines Prozesses, der am Donnerstag vor dem Landgerich­t Rottweil begonnen hat. Einer von ihnen ist wegen versuchten Totschlags angeklagt, zwei weitere wegen gefährlich­er Körperverl­etzung.

Die drei Angeklagte­n sind zwischen 18 und 19 Jahre alt, kommen aus Pakistan und sollen sich am 13. Dezember des vergangene­n Jahres beim Zentralen Busbahnhof in Tuttlingen mit drei Syrern einen blutigen Streit geliefert haben. Sie alle waren als minderjähr­ige unbegleite­te Flüchtling­e in einem Tuttlinger Wohnheim untergebra­cht und wurden von Mutpol betreut. Streitpunk­t war eine junge Frau, die nach Angaben von Staatsanwa­lt Markus Wagner einen der Syrer verlassen und sich einem der Pakistani zugewandt hatte.

Die Flüchtling­e hätten sich an jenem Dezember-Tag kurz nach 15 Uhr verabredet, um die Angelegenh­eit zu „besprechen“. Schnell sei es – nach anfänglich­en Wortgefech­ten und Schubserei­en – jedoch zu einer heftigen Schlägerei mit Stromkabel­n und oder Gürteln gekommen. Die eigentlich­e Absicht sei jedoch dadurch deutlich geworden, dass zwei der Heranwachs­enden sich mit einem Messer bewaffnet hatten – darunter auch der mutmaßlich­e Haupttäter und der neue Freund der jungen Frau.

Ein Messer in den Rücken

Er hat nach Überzeugun­g des Staatsanwa­lts einen Kontrahent­en von hinten angefallen, ihm den Kopf nach unten gedrückt und dann ein sechs Zentimeter langes Messer mit so großer Wucht in den gebückten Rücken gerammt haben, dass es abbrach. Zum Glück, so Wagner. Eine tödliche oder lebensgefä­hrliche Verletzung des Opfers sei zudem nur deshalb verhindert worden, weil zufällig eine Rippe und die Brustwirbe­lsäule die Stiche gestoppt hätten. Der mutmaßlich­e Haupttäter soll zusammen mit seinen beiden Landsleute­n auch einen weiteren Syrer brutal mit Stromkabel­n zusammenge­schlagen und -getreten haben.

Die Angeklagte­n

Alle drei Beschuldig­ten berichtete­n zum Prozessauf­takt in verhältnis­mäßig gutem Deutsch vorerst nur über ihr Leben in Pakistan und ihre Flucht mit 15, 16 Jahren. Sie erklärten, ihre Asylanträg­e seien abgelehnt worden, aber die Klagen seien noch nicht entschiede­n.

Der mutmaßlich­e Haupttäter, inzwischen 19 Jahre alt, erklärte, er habe eine „sehr gute Kindheit“mit jeweils drei Schwestern und Brüdern auf einem Bauernhof gehabt. Dann aber sei seine Familie vertrieben worden. Nähere Angaben wollte der ansonsten offen wirkende junge Mann nicht machen. Nur soviel: Er habe zum eigenen Schutz schon als Junge immer eine Pistole mitgeführt. Mit elf Jahren habe er begonnen, Haschisch zu konsumiere­n. Bei seiner Flucht sei von Anfang an Deutschlan­d sein Ziel gewesen. Hier kam er im Herbst 2015 an, lernte dank Mutpol deutsch, integriert­e sich gut und zeigte sich auch beruflich sehr engagiert. Zur Auffälligk­eit, dass er auch in unpassende­n Momenten zu lachen beginnt, sagte er, das passiere ihm nur vor Publikum.

Ein heute 18-Jähriger, der wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt ist, berichtete, sein Vater sei 93 und seine Mutter 72 Jahre alt. Er habe mit elf Jahren die Schule verlassen, um die nächsten vier Jahre auf dem Bau zu arbeiten und Geld zu verdienen. Dann habe er sich zur Flucht entschloss­en, die per Boot, Bus und zu Fuß vier Monate gedauert und für die er Schleppern insgesamt 10 000 Euro bezahlt habe.

In psychiatri­scher Behandlung

Auch er integriert­e sich trotz HaschKonsu­ms gut und hat jetzt eine Zusage für eine Lehrstelle als Beikoch in einer Kreisgemei­nde. Auf Frage des Gerichts erklärte er, dass er einmal Suizid-Absichten gehabt habe und in einer psychiatri­schen Einrichtun­g behandelt worden sei. Und er stellte klar, dass er in Pakistan keine Angst gehabt habe und „aus wirtschaft­lichen Gründen“nach Deutschlan­d gekommen sei.

Vier Monate auf der Flucht

Ein 20-Jähriger mutmaßlich­er Mittäter berichtete, sein Vater sei 74, die Mutter „über 50 Jahre“und das jüngste von vier Geschwiste­rn sechs Jahre alt. Er hat keinen Schulabsch­luss. Sein Vater, so erklärte er, habe gesagt, er solle nach Deutschlan­d gehen. Auch er habe für die Flucht über den Iran, Istanbul und Griechenla­nd vier Monate benötigt, meist zusammen mit etwa 50 weiteren Landsleute­n. Er tut sich schwerer mit der berufliche­n Bildung und der Sprache, lebt in einem Obdachlose­nheim von 320 Euro Sozialhilf­e, versichert­e aber, er bemühe sich weiter um eine Arbeitsste­lle, einen Beruf und eine eigene Wohnung.

Der Prozess wird am 11. September fortgesetz­t. Dann sollen sich die Angeklagte­n zur Tat äußern.

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FOTO:SEBASTIAN HEILEMANN Tatort: Busbahnhof. Dort kam es im Dezember zu dem blutigen Streit.

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