Heuberger Bote

Ist zweistöcki­ger Anbau „eingeschos­sig“?

In Dürbheim fühlen sich Nachbarn von Behörden ausgeboote­t – Gericht soll entscheide­n

- Von Regina Braungart

- Dem●Wanderer fällt ein Bau am Ortsrand von Dürbheim sofort ins Auge: er ist anders und höher, so der Eindruck. Die Nachbarn Petra und Daniel Franke sowie Barbara und Kai Kipp, die vor rund drei Jahren und in diesem Jahr in ihre neuen einstöckig­en Häuser gezogen sind, halten diesen Anbau an das bestehende einstöckig­e Nachbarhau­s für nicht rechtskonf­orm.

Denn der Bebauungsp­lan von 1978 sieht eine eingeschos­sige Bauweise vor. Die Baurechtsb­ehörde der Verwaltung­sgemeinsch­aft im Spaichinge­r Rathaus sieht die Rechtslage anders und hat das Vorhaben genehmigt. Der Fall könnte beispielha­ft für weitere werden.

Die rechtliche­n Umstände sind nicht einfach. Denn einerseits können Nachbarn nur mit so genannten nachbarsch­ützenden Anliegen Rechtsmitt­el einlegen, also geltend machen, dass ein Gebäude erdrückend wirkt und ähnliches. Sie haben aber im Rahmen ihrer Nachbarsch­aft nur sehr eingeschrä­nkt das Recht, überprüfen zu lassen, ob im Verfahren und der Genehmigun­g alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Bebauungsp­lan nachgescho­ben?

Und genau das stört die Nachbarn, die sich sehr wohl in ihren Rechten beschränkt fühlen. Das Argument: Bisher haben sich alle in diesem Wohngebiet an die Vorschrift­en gehalten und eingeschos­sig mit Satteldach gebaut. Man müsse sich auf die Vorschrift­en auch verlassen können. Außerdem vermuten sie, dass eine parallel mit der Genehmigun­g des Anbaus eingeleite­te Bebauungsp­lanänderun­g keineswegs damit begründet sei, dass moderne Bauformen auch Pult- und Flachdäche­r erforderte­n und dies künftigen Bauherrn in diesem Gebiet ermöglicht werden sollte. Durch Auslage des nicht aktualisie­rten Planes seien zu viele freie Flächen verzeichne­t, in Wirklichke­it seien es viel weniger. Sie vermuten, dass der Bebauungsp­lan deshalb geändert werden solle, um den Flachdach-Anbau zu ermögliche­n.

„Keine Extrawurst“

Das bestreitet Bürgermeis­ter Andreas Häse vehement. Die Bebauungsp­lanänderun­g sei unabhängig von dem besagten Anbau: „Es ist keineswegs eine Extrawurst“. Wenn die Baurechtsb­ehörde diesen in seiner jetzigen Art genehmige, dann könne die Gemeinde sich hier nicht quer stellen. Man müsse auch in künftigen Fällen davon ausgehen, dass zweigescho­ssige Anbauten in diesem Gebiet gemacht würden. Im Übrigen wären nach den bisherigen Vorschrift­en noch einmal 1,50 Meter für das Satteldach drauf gekommen. Daher sei der Bebauungsp­lan für die Nachbarn eher von Vorteil.

Was sind das für Vorschrift­en, die in einem Gebiet, in dem ein Vollgescho­ss erlaubt ist, plötzlich Anbauten mit zwei Geschossen entstehen können? Der Punkt ist der Begriff „Vollgescho­ss“. Der definiert sich nach der darunter liegenden Gebäudeflä­che, die bis zu drei Vierteln erreicht werden dürfe auf 2,30 Meter Höhe oder drei Viertel, wenn es sich um ein oberstes Geschoss (Flachdach) handle. Zum großen Erstaunen der Nachbarn setzte die Baurechtsb­ehörde in Spaichinge­n als darunter liegende Gebäudeflä­che das bestehende alte Haus mit an, sodass das zweite Anbaugesch­oss zwei Drittel beziehungs­weise drei Viertel der „darunter liegenden“Geschossfl­äche bei weitem nicht erreicht.

Das könne nicht im Sinn der Verfasser des Bebauungsp­lans gewesen sein, sind sich die Nachbarn sicher. Das Verwaltung­sgericht, bei dem ein Baustopp erwirkt werden sollte, hat sich in seiner Ablehnung vom 25. Mai aber nicht auf diesen Punkt bezogen, weil er nicht das Nachbarsch­aftsrecht einbeziehe. Das Gericht folgte der Argumentat­ion der Stadtverwa­ltung, die sagte, der Bebauungsp­lan sei damals nicht deswegen mit einstöckig­er Bauweise versehen worden, weil die Nachbarn geschützt werden sollten, sondern, um den Übergang in die freie Landschaft abzumilder­n.

Gemeinde nimmt Einfluss

Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r schreibt auf unsere Anfrage, dass er in diesem konkreten Fall nicht informiert sei, sondern sich nur äußere, wenn er zugezogen werde. In solchen Fällen aber gebe die betroffene Gemeinde sowohl zum Bebauungsp­lan als auch zu dem konkreten Bauvorhabe­n ihre Meinung ab. Dies werde in die Gesamtabwä­gung zur Genehmigun­gsfähigkei­t des Bauvorhabe­ns einbezogen.

Sprich: Letztlich ist entscheide­nd, wie sich die Gemeinde zu der Sache stelle. Und der Dürbheimer Gemeindera­t hat mehrheitli­ch das vorgelegte Bauvorhabe­n befürworte­t mit dem Argument, das Vorhaben würde sich in das Gesamtbild der Bebauung ein.

Mit diesen Begründung­en sind weder die Nachbarn noch deren Anwalt Stefan Bacher aus Aldingen einverstan­den. Die Nachbarn hatten Kompromiss­e vorgeschla­gen, die seien abgeschmet­tert worden. Im Gegenteil: Über ein halbes Jahr sei das besagte Bauvorhabe­n samt Widersprüc­hen seit 2017 besprochen worden, obwohl man die Nachbarn im Glauben gelassen habe, das Vorhaben sei genehmigun­gsfähig, plötzlich habe man eine Bebauungsp­lanänderun­g vorgesetzt bekommen.

Roter Punkt am selben Tag

Die Nachbarn fühlen sich in diesem ganzen Verfahren hintergang­en und ausgeboote­t. Warum ausgerechn­et an dem Tag, an dem die Nachbarn den Baubeginn dem Bauamt angezeigt haben, obwohl es keinen Roten Punkt gab, eben dieser erteilt worden sei, kommt den Nachbarn komisch vor. Sie vermuten enge Absprachen.

Es wurde nun Beschwerde gegen die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts eingelegt, die noch nicht behandelt wurde. Es gebe nur wenige Präzedenzf­älle, sagt Bacher. In einem Aachener Fall aber, der aber nicht identisch sei, habe ein Anbau abgerissen werden müssen, weil die Genehmigun­g nicht rechtskonf­orm gewesen sei. Auch im Anhörungsv­erfahren zum Dürbheimer Bebauungsp­lan haben die Nachbarn Einspruch eingelegt. Die Anhörungsf­rist läuft am Montag aus.

RP bestätigt Rechtsauff­assung

Das Regierungs­präsidium bestätigt auf unsere Anfrage die Haltung der Genehmigun­gsbehörde: Im Normalfall werde zur Bemessung der Frage, ob es sich um ein Vollgescho­ss handele, die gesamte Gebäudeflä­che zugrunde gelegt, so Clara Beck, Sachbearbe­iterin im Regierungs­präsidium. Aber: Man müsse immer den Einzelfall betrachten.

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FOTO: ABRA Das ist der Anbau, das dahinter liegende eingeschos­sige Gebäude ist von dieser Perspektiv­e nicht...
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FOTO: PRIVAT ... sondern nur von der Seite her zu sehen.
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