Heuberger Bote

Messerstec­herei gibt Rätsel auf

Angeklagte und Opfer machen wegen Streit am Busbahnhof widersprüc­hliche Aussagen

- Von Lothar Häring

- Wie ist es zur Messerstec­herei zwischen Flüchtling­en im vergangene­n Dezember am Zentralen Busbahnhof in Tuttlingen gekommen? Das versuchte die Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Rottweil am zweiten Prozesstag aufzukläre­n. Doch statt Klarheit gab es nach sieben Stunden Verhandlun­g viel Verwirrung und neue Fragen.

Staatsanwa­lt Markus Wagner hatte in seiner Anklagesch­rift keine Zweifel gelassen. Demnach hat ein heute 19,5 Jahre alter Pakistani einem 18-jährigen Syerer ein 8,5 Zentimeter langes, spitzes Küchenmess­er zweimal in den Rücken gerammt. Er muss sich deswegen jetzt wegen versuchten Totschlags verantwort­en. Nur durch Glück und Zufall sei das Opfer mit dem Leben davongekom­men, so Wagner.

Mehrere Helfer des Pakistani lieferten sich daneben eine Schlägerei mit zwei weiteren Syrern, die wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt sind. Streitobje­kt war ein Mädchen, das fünf Tage zuvor gerade mal 14 Jahre alt geworden war.

Jetzt aber sind Zweifel aufgekomme­n, ob der 19,5-Jährige wirklich der Messerstec­her war. Nicht nur er machte in seiner gestrigen Aussage widersprüc­hliche Aussagen.

„Ich hatte Todesangst“

Er war damals, Ende des Jahres 2017, der neue Freund der zu diesem Zeitpunkt noch 13-jährigen Deutschen. Dann drohten ihm ihr bisheriger Freund, ein 14-jähriger Syerer, er „mache ihn tot“und forderte ihn gleichzeit­ig auf, zum Busbahnhof zu kommen, wenn er „ein richtiger Mann“sei. „Ich hatte Todesangst und dachte, das sei vielleicht mein letzter Tag im Leben“, sagte der 19,5-Jährige. Trotzdem ging er hin. „Zur Sicherheit“ habe er ein Messer und ein Stromkabel von seinem Laptop mitgenomme­n – und darüber hinaus noch etwa ein Dutzend Kumpels.

„Wir standen links und die rechts“, sagte er. „Wie früher bei einem Duell“, erklärte Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter. Rechts standen allerdings nur drei, vier Mann. Dem 14-Jährigen war von seinem 18-jährigen Bruder und den Eltern verboten worden, mitzukomme­n. Das sei zu gefährlich wurde ihm beschieden.

Nach Wortgefech­ten und Schubserei­en kam es schnell zu einer Schlägerei, in deren Verlauf ein weiterer 18-jähriger Syrer durch die beiden Messerstic­he verletzt wurde. Der wegen versuchten Totschlags Angeklagte sagte in gutem Deutsch, als er die blutige Hand seines Freundes gesehen habe, „bin ich durchgedre­ht“. „Die Jungs wollten mich umbringen. Ich hatte nicht vor, zuzusteche­n.“In einer Art Selbstvert­eidigung sei es dann doch passiert. Anderersei­ts gab er vor, sich an überhaupt nichts mehr zu erinnern, zumal er in der Nacht zuvor noch bis um 4 Uhr und zum Teil auch am anderen Tag vor der Tat Marihuana geraucht und Schnaps getrunken habe.

Die beiden Mitangekla­gten, die im Gegensatz zu ihm nicht in Untersuchu­ngshaft sitzen, bestätigte­n, er sei zum Tatzeitpun­kt – am 13. Dezember kurz nach 15 Uhr – betrunken gewesen und habe beim Gehen geschwankt.

Allgemeine Verwirrung

Den Kontrahent­en ist das nicht aufgefalle­n. Zur allgemeine­n Verwirrung trug vor allem jener junge Syrer bei, der Opfer der Messeratta­cke geworden war. Zuerst bestritt er vehement, dass es eine Absprache zum Zusammentr­effen gegeben habe. Erst nach einer Stunde Befragung und nach Drohung des verärgerte­n Staatsanwa­lts Wagner räumte er es ein.

Dann verwickelt­e sich der 18-Jährige, der erst seit eineinhalb Jahren in Deutschlan­d ist und trotzdem sehr gut Deutsch spricht, bei der Frage nach dem Messerstec­her in Widersprüc­he. Einmal sagte er, der Hauptangek­lagte sei es gar nicht gewesen. Dann erklärte er, es müssten wohl zwei Personen gewesen sein, davon ein Mann, den er irgdendwie kenne, der aber nicht auf der Anklageban­k sitze. Und auch die Variante, er wisse es eigentlich nicht so genau, weil der Täter von hinten gekommen sei, tischte er auf. Sicher ist, dass er per Sanka ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurde und er es nach zwei Tagen auf eigene Verantwort­ung wieder verließ.

„Auf Leben und Tod“

Auch bei anderen Aspekten der Tat kam es immer wieder zu Widersprüc­hen. Am deutlichst­en zeigte sich das, als ein Angeklagte­r erklärte: „Das weiß ich 100-prozentig“und einer der Syrer im Zeugenstan­d erklärte: „Ich weiß es auch 100-prozentig.“Der 14-jährige Syrer gab zu, seinen Nebenbuhle­r telefonisc­h mit dem Tod bedroht und ihn aufgeforde­rt zu haben, zum Busbahnhof zu kommen. Seiner Ex-Freundin, die „fremd gegangen“sei, habe er das ebenfalls gesagt. Allerdings sei es nur „Spaß“gewesen. Das sieht Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, ganz anders, wie er sagte: „Alle wussten, dass es um Leben und Tod geht!“

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FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Tatort Busbahnhof: Hier spielte sich die blutige Auseinande­rsetzung ab.

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