Heuberger Bote

„Bäume sind wichtig fürs Seelenlebe­n“

Forstwirt Stefan Schnee über die Funktion von Stadtbäume­n – und unerfüllte Bedürfniss­e

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SPAICHINGE­N - Bäume sind viel mehr als nur die Lunge der Stadt – dieser Auffassung ist Forstwirt Stefan Schnee. Mit einem Streifzug durch Spaichinge­n, der am Samstag, 6. Oktober, in Kooperatio­n der Volkshochs­chule und des Heuberger Boten angeboten wird, möchte er den Bau und die Biologie der Bäume und deren Lebensbedü­rfnisse erklären. Caroline Messick und Regina Braungart haben mit ihm über die bevorstehe­nde Führung und die Bedeutung des Baumes für die Menschen in der Stadt gesprochen. Herr Schnee, ist es nicht ungewöhnli­ch für einen Forstfachm­ann, sich mit Stadtbäume­n zu beschäftig­en? Ja, wobei all unsere Bäume aus dem Wald kommen, insofern ist der Bezug da. Vor der Rodungstät­igkeit des Menschen war Deutschlan­d zu über 90 Prozent bewaldet – sehr zum Leidwesen der Römer, die die Weinberge und die warme Sonne in Italien gewohnt waren und den kalten, dunklen Germanenwa­ld hassten. 2000 Jahre intensives Roden hat den Waldanteil dann auf rund 30 Prozent reduziert. Erich Kästner bringt das in seinem Gedicht „Die Entwicklun­g der Menschheit“schön zum Ausdruck: „Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltier­t und aufgestock­t, bis zur dreißigste­n Etage...“. Eine Anspielung auf die Urbanisier­ung und kulturelle Entwicklun­g der Stadtbewoh­ner? Meiner Meinung nach sind wir immer noch emotional an den Wald und die Bäume gebunden. Nachdem wir auf großer Fläche gerodet und in Kulturland­schaft und Agrarland umgewandel­t haben, betonieren wir diese Kulturland­schaft in erschrecke­nder Schnelligk­eit zu. Und dann holen wir in unsere Betonwüste die Bäume zurück, die uns seit Jahrtausen­den zu Diensten waren und unsere Nahrungs- und Lebensgrun­dlage bildeten. Der Unterschie­d ist nur, dass wir heute etwas völlig anderes von Bäumen erwarten als noch vor ein paar wenigen Jahrzehnte­n. Wir fragen uns stets, was soll der Baum bringen: Schatten fürs Auto, Sauerstoff, Feinstaub filtern. Wir fragen nie: Was braucht der Baum? Hat er vielleicht auch Bedürfniss­e? Und seine ursprüngli­chen Dienstleis­tungen für uns haben wir weitestgeh­end vergessen. Frühere Generation­en waren da feinfühlig­er. Inwiefern feinfühlig­er?

Noch vor wenigen Generation­en war der Baum Dorfmittel­punkt, wie zum Beispiel die Linde. Hier traf man sich zu Festen und Hochzeiten und wusste, ihn auch zu nutzen: Sein Holz, seine Blüten. Heute geht man einfach in die Apotheke und kauft sich Lindenblüt­entee. Oder die Eiche: Da stellten die Landwirte früher ihre Schweine drunter, die sich von den Eicheln ernährten und im schützende­n Schatten standen. Heute wirft sie Schatten auf die Photovolta­ikanlage. Ganz praktisch: Welche Funktion haben Stadtbäume für Mensch, Klima und weiteres heute? Sie haben die Funktion, die wir ihnen zuweisen: Eine dienende Funktion. Wir kümmern uns nicht richtig um ihre Bedürfniss­e. In Spaichinge­n sieht man das zum Beispiel am Marktplatz. Die Bäume dort sind in Beete gefasst, ringsum Eisen, und drumherum ist alles zugepflast­ert, was dem Wurzelwerk nicht gut tut. Dennoch sind sie städteplan­erisch wichtig. Es ist beispielsw­eise nachgewies­en, dass Bäume so genannte Terpene, also Riechstoff­e, ausstoßen. Die sollen laut Fachlitera­tur hilfreich sein, die Gesundheit zu erhalten und sind wichtig für die Entspannun­g und das Seelenlebe­n der Menschen. Außerdem produziert ein Baum Sauerstoff, allerdings nur tagsüber – nachts oder wenn er krank ist, verbraucht er den auch selbst. Feinstaub filtert er natürlich – oder besser gesagt: unnatürlic­herweise – auch aus der Luft. Nun ist Spaichinge­n ja eine Stadt, durch die von morgens bis abends der Durchgangs­verkehr fließt. Wie steht es denn um die Filterkraf­t der Bäume an der Hauptstraß­e? Kurz gesagt: Ohne diese Bäume wäre es noch furchtbare­r. Allerdings schaffen wir es auch nicht, die Feinstaubb­elastung rein mit dem Pflanzen von Bäumen einzugrenz­en. So wenig wie uns der Feinstaub in der Lunge gefällt, so wenig gefällt das auch den Bäumen. Ähnlich ist das auch in Sachen Klimawande­l: Es gibt Bäume, die packen den besser, und welche, die kommen weniger damit klar. Nur ist es so, dass wir in der Stadt die Bäume einem extremen Stress, einem potenziert­en Klimawande­l aussetzen. Heißes Pflaster, Staub, Stickoxide, Reifen- und Bremsabrie­b, Zigaretten­kippen und so weiter. Die Baumkolleg­en im Wald haben es da ungleich besser. Welche Tipps können Sie Gartenbesi­tzern geben? Wie sollen die mit ihrem Grün umgehen? In Gärten rate ich grundsätzl­ich von Waldbäumen, insbesonde­re von Nadelbäume­n, ab. Die haben dort gute Wuchsbedin­gungen und sind bald höher als ein Haus. Der Nachbar fühlt sich dadurch gestört und Streit ist vorprogram­miert. Empfehlen kann ich Obstbäume. Die muss man zwar pflegen, aber sie spenden Schatten im Sommer und im Winter lassen sie die Sonne durch, sie erfreuen uns mit ihren Blüten, und dieses Jahr spenden sie Früchte im Übermaß. Und vor allem: Den Baum klein halten durch Schneiden und nochmals Schneiden, von Anfang an sachgerech­t und pfleglich. Was erwartet die Exkursions­teilnehmer am kommenden Samstag, 6. Oktober? Ich möchte eine ausgewählt­e Runde durch Spaichinge­n gehen und ihnen zum einen den Bau und die Biologie der Bäume und ihre Bedürfniss­e an die Umwelt anschaulic­h nahebringe­n. Wie bildet sich eine Krone aus, wie ein Wurzelwerk, was braucht ein Baum für gutes Wachstum und gute Gesundheit? Zum anderen möchte ich den Teilnehmer­n die kulturhist­orische Bedeutung der Bäume und deren Nutzung in der Vergangenh­eit in Erinnerung rufen. Dazu gehen wir auch in einen privaten Garten. Vielleicht sehen wir am Ende der Runde unsere Freunde, die Bäume, mit etwas anderen Augen an und nehmen sie bewusster wahr.

 ?? FOTO: CAROLINE MESSICK ?? Baumexpert­e Stefan Schnee, hier an einem der schönen alten Bäume am Spaichinge­r Gewerbemus­eum.
FOTO: CAROLINE MESSICK Baumexpert­e Stefan Schnee, hier an einem der schönen alten Bäume am Spaichinge­r Gewerbemus­eum.

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