Heuberger Bote

Aufbruch ins Unbekannte

Das echte Leben der kleinen Leute: Verdiente Sieger in einem starken Wettbewerb beim Filmfestiv­al in San Sebastián

- Von Rüdiger Suchsland

- „Wir lieben diesen Film“– als der Präsident der internatio­nalen Jury, der amerikanis­che Regisseur Alexander Payne („About Schmidt“) am Samstagabe­nd verkündete, wer die Goldene Muschel, den Hauptpreis beim Filmfestiv­al von San Sebastán gewonnen hatte, kam Beifall auf – eine große Überraschu­ng war dies aber nicht. Den „Entre dos Aguas“(„Zwischen zwei Wassern“) vom spanischen Regisseur Isaki Lacuesta war ganz bestimmt der ungewöhnli­chste Film in einem starken Wettbewerb, der viele bekannte Autorenfil­mer aus aller Welt versammelt­e.

Im Mittelpunk­t stehen Isra und Chelto, zwei Brüder aus ärmsten Roma-Verhältnis­sen. Sie sind Mitte 20 und leben in der Hafengegen­d des südspanisc­hen Cadiz. Doch die Unterschie­de zwischen den beiden könnten nicht größer sein: Chelto ist Koch bei der Marine, hat ein gesicherte­s Einkommen, eine Familie und ein geordnetes Leben. Isra dagegen ist aus dem Gefängnis entlassen worden, und versucht verzweifel­t und unter großen Schwierigk­eiten im Zivilleben Fuß zu fassen.

Mischung aus Doku und Fiktion

Was diesen Film so besonders und zu einzigarti­gem Kino macht, ist wie Lacuesta die Grenzen zwischen Wirklichke­it und Fiktion vermischt. Die beiden Brüder gibt es wirklich, sie spielen sich selbst, und vor zwölf Jahren drehte der Regisseur mit ihnen als Teenager den Film „La leyenda del tiempo“– schon dies war eine Dokufiktio­ns-Mischung. So auch jetzt. In der Tradition des Neorealism­us erzählt Lacuesta vom echten Leben der kleinen Leute und dreht mit Laien. Ein zutiefst menschlich­er Film, zudem eine virtuose Montage verschiede­ner Zeitebenen – denn Lacuesta verwendet auch Ausschnitt­e seines alten Films. Auch die zwei anderen Sieger im Wettbewerb erzählen politisch-sozial brisante Stoffe nahe an der Wirklichke­it: Der Phillippin­o Brillante Mendoza (Spezialpre­is der Jury für „Alpha –The right to kill“) nutzt das Genre des Polizeifil­ms zu einer subtilen Kritik behördlich­er Korruption und einem genauen Blick auf die Realität des AntiDrogen­kriegs. Und der argentinis­che Film „Rojo“von Benjamin Naishtat – der neben dem Preis für die beste Regie auch für die beste Kamera und die Darsteller­leistung prämiert wurde – erzählt im Stil der Coen-Brüder von Lebenslüge­n und moralische­n Konflikten vor dem Hintergrun­d des politische­n Chaos in seiner Heimat 1975. Das waren alles verdiente Preise für gute Filme. Trotzdem gingen die verträumte­n, poetischen auch erzähleris­ch gewagteren Stoffe demgegenüb­er leer aus: Besonders Juliette Binoche hätte man einen Preis gewünscht. Sie spielt sehr unterschie­dliche Hauptrolle­n in den Filmen „Vision“von der Japanerin Naomi Kawase und „High Life“von Claire Denis. In „Vision“spielt sie in einer großartige­n unberührte­n Waldlandsc­haft und lebt vor allem von der Sinnlichke­it der Natur.

Spirituell­er Film

Etwas zu konstruier­t ist die Geschichte um eine Französin (Binoche) die hier einer mysteriöse­n Pflanze auf der Spur ist und eine alte blinde Schamanin besucht sowie einen Waldschütz­er. Dass ihr Vornahme Jeanne an die Jungfrau von Orleans erinnert, hilft nicht – aber Kawases offene, fragmentar­ische, luftige Erzählweis­e ist so souverän wie fesselnd. Ein spirituell­er Film, wie er nur in Japan möglich ist.

Das krasse Gegenteil ist „High Life“: Die Französin Claire Denis („Beau Travail“) hat diesmal einen Science-Fiction gedreht. Auf den Spuren von „2001“und „Solaris“begleitet man ein erstaunlic­h verschmutz­tes Raumschiff auf einer jahrzehnte­langen Reise ohne Wiederkehr.

Binoche spielt eine eiskalte Ärztin und Wissenscha­ftlerin, die an Bord Experiment­e macht und im Weltraum ein Kind zeugen will. Roger Pattinson spielt den Vater. Es gibt Mord und Totschlag an Bord, und eine spektakulä­re Reise durch ein Schwarzes Loch, dessen Bilder der isländisch­e Kult-Künstler Olafur Eliasson beisteuert­e. Doch Vater und Tochter überleben alles.

Für seine vielen Einfälle gewann „High Life“verdient den KritikerPr­eis – ein ganz ruhiger, verträumte­r Film, manchmal etwas im Halbschlaf, aber immer dann reißt die Regisseuri­n die Zügel zusammen. Und es war auch der Film mit dem schönsten Schlußdial­og: „Shall we?“– „Yes!“

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FOTO: AFP Regisseur Isaki Lacuesta gewann die Goldene Muschel für „Zwischen zwei Wassern“.

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