Von der Realität eingeholt
Was beim entthronten Tabellenführer FC Bayern München besser werden muss
- Ein trainings- und fußballfreier Sonntag. Schön und gut, aber ja nicht auf die Tabelle schauen! Das Wochenende brachte für die Spieler des FC Bayern doppelte Ernüchterung. Am Samstagmorgen schmerzte die Erinnerung an das 0:2 vom Vorabend bei Hertha BSC, 24 Stunden später der Verlust der Tabellenführung an entfesselt, spektakulär und – trotz oder wegen einer zeitweisen Vogelwildheit – äußerst attraktiv aufspielende Dortmunder. Anders die Bayern. Die hat nach vier missratenen Tagen – Dienstag das späte 1:1 gegen Augsburg, Freitag die erste Saisonniederlage in Berlin – der Herbst-Blues wieder.
Vor einem Jahr war Trainer Carlo Ancelotti am 28. September nach einem Remis und einer – freilich krachenden – Pleite, dem 0:3 bei Paris St.Germain, entlassen worden. Genau ein Jahr später verloren die Bayern in Berlin. In München riecht es seit Tagen nach Bier, Hendl und Bierzeltdampf, und nun eben auch ein wenig nach Mini-Krise, vor allem weil der Meister erstmals seit Oktober 2010, nach zuvor 28 Partien ohne Niederlage, während des Oktoberfestes in der Bundesliga als Verlierer vom Platz schlich. Entzaubert. „Vor einer Woche hatte man noch den Eindruck, wir sind unbesiegbar. Jetzt hat uns ein bisschen die Realität eingeholt“, konstatierte Angreifer Thomas Müller.
Durch die erste Pflichtspielpleite von Niko Kovac liegt plötzlich Raureif auf dem zuvor strahlend-perfekten Start des neuen Trainers mit sieben Siegen aus sieben Spielen. Lediglich ein Punkt aus zwei Spielen – „überhaupt kein Problem“, so Kovac. Der 46-Jährige gibt sich kämpferisch, richtiggehend trotzig: „Die, die den Club kennen, wissen, dass wir uns das nicht so einfach gefallen lassen werden.“Für Kovac gilt es nun erstmals, cool zu bleiben und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und Veränderungen vorzunehmen. Doch welche? Was muss vor dem Champions-League-Spiel gegen Ajax Amsterdam am Dienstag (21 Uhr, DAZN) besser werden bei den Bayern?
Die Chancenverwertung:
Das größte Manko des Meisters war schon bei den vorherigen Erfolgen zu erkennen, für Kovac war die mangelhafte Chancenverwertung „das Einzige, was ich zu bemängeln habe“. 24:6 Torschüsse, 14:1 Ecken und 72 Prozent Ballbesitz helfen nicht, wenn die letzte Konsequenz fehlt. „Das Thema ist ein großes“, gestand Kapitän Manuel Neuer in Berlin, „wir müssen die Dinger einfach reinmachen, das hat wieder gefehlt.“Wenn Torjäger Robert Lewandowski wie am Freitag keinen guten Tag hat oder kaum bedient wird, herrscht weitestgehend Ebbe im Angriff.
Blackouts vermeiden:
„In der ersten Halbzeit waren wir nicht zu 100 Prozent präsent“, kritisierte Neuer. Joshua Kimmich schimpfte: „Wir haben die Qualität, um jedes Spiel zu gewinnen. Aber wenn du hinten immer wieder solche Dinge drin hast, wird’s schwierig.“Und dann, noch deutlicher: „Ich glaube nicht, dass das alles Pech ist. Wir müssen es uns auch schon wieder erarbeiten.“Gegen Augsburg führte eine fehlende Abstimmung zwischen Torhüter Neuer und Innenverteidiger Niklas Süle zum späten Ausgleich. Schon in der Schlussphase der letzten Saison litt die Mannschaft an einer gewissen Erschlaffung.
Jérôme Boateng:
Zuletzt saß der Weltmeister von 2014 zwei Spiele auf der Bank. In seiner Heimatstadt patzte Boateng doppelt, den Elfmeter zum 1:0 für die Hertha verursachte er durch ein unnötiges, plumpes Tackling-Foul gegen Kalou. „Boateng darf so nicht hingehen“, urteilte der frühere Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer, bei Eurosport. Die Aktion selbst bezeichnete er als „unnötig, in dem Moment übermotiviert und unklug“. Kovac sagte kurz und scharf: „Eigentlich geht das nicht.“Auch beim 0:2 sah Boateng schlecht aus, er stand schlecht. Noch in der Nacht twitterte er ein Schuldeingeständnis: „Es tut mir leid für die Mannschaft und die Fans.“
Die Rotation:
Schmeckt insbesondere Boateng das stete Wechselspiel in der Abwehr nicht? In Berlin pausierte Mats Hummels, am Dienstag in der Champions League gegen Ajax Amsterdam dürfte Süle dran sein. Fehlt so die letzte Feinabstimmung? Auch auf allen anderen Positionen – bis auf Neuer und Rechtsverteidiger Kimmich, die jede Minute absolviert haben – lässt Kovac rotieren, im zentralen Mittelfeld tauscht er meist von Spiel zu Spiel (alle) drei Mann aus. Zu viel? Es scheint, dass die Mannschaft doch mehr Konstanz braucht, weniger Pausen und Rhythmusverlust.
Schnellstmöglich will Bayern nun die Mini-Krise abschütteln. „Wir sind Profis, kennen das Geschäft“, betont Neuer, „und bleiben ruhig.“Dienstag ist Beweistermin.