Heuberger Bote

Hans Scholl: Widersprüc­he und Brüche

Robert Zoske konzentrie­rt sich in seinem Buch auf das Individuum des Widerstand­skämpfers

- Von Dieter Kleibauer

- Sie gelten nach wie vor als leuchtende Beispiele für den Widerstand gegen Hitlerdeut­schland: Hans und Sophie Scholl. Fast immer werden sie als Geschwiste­r wahrgenomm­en, auch die nach ihnen – erst vor kurzem – benannte Straße in Tuttlingen heißt „Geschwiste­r-Scholl-Straße“. Der Theologe Robert M. Zoske konzentrie­rt sich jetzt in seinem Buch „Flamme sein!“, aus dem er am Mittwoch, 10. Oktober, um 20 Uhr in der Tuttlinger Stadthalle liest, auf das Individuum Hans Scholl.

Und das eröffnet den nüchtern, ja trocken-historisch geeichten Blick auf einen fasziniere­nden, durchaus seltsamen Menschen, der hier weniger als Mitglied einer Gruppe namens Weiße Rose daherkommt, sondern als einzelne Person mit vielen Widersprüc­hen und Brüchen in seiner Biografie. Die so brutal endete, als er 1943, gerade einmal 24 Jahre alt von den Nazis unters Fallbeil geschickt wurde. Das Protokoll vermerkte knapp die Uhrzeit 17.02 Uhr, als der Scharfrich­ter die „Fallschwer­tmaschine“auslöste.

Mit Hans Scholl – seine Schwester Sophie wurde zwei Minuten zuvor enthauptet, sein Freund und Mitstreite­r Christoph Probst drei Minuten nach ihm – starb ein junger Mann, der nur wenige Jahre vorher noch für Hitler und die Nazis geschwärmt hatte, der einen Krieg als reinigende­s Erlebnis herbeigese­hnt hatte, der nationalis­tisch dachte und seine Notizen, Briefe und Tagebücher in einem pathetisch­en Deutsch verfasst hatte. Der für die Verse eines Stefan George schwärmte und selber Gedichte in dessen Duktus verfasste, mit all diesen aufdringli­chen Metaphern, die immer wieder die Flamme herbeiziti­eren, die Zoskes Buch jetzt den Titel gab. Man wollte eben eine „Flamme sein“, sich verzehren, brennen.

Gleichzeit­ig war Hans Scholl, der aus einem protestant­isch-liberalen Elternhaus im Schwäbisch­en stammte, mit dem Führerstaa­t bereits 1938 in Konflikt gekommen – die Anklage lautete auf widernatür­liche Unzucht mit Abhängigen. Der Teenager war homosexuel­l, vielleicht auch bisexuell, was sich später in mehreren Beziehunge­n zu Frauen äußerte. Scholl war einerseits Mitglied in der HJ, Fähnleinfü­hrer sogar, und ebenso Mitglied in der bündischen Jugend, die von den Nazis verachtet wurde. Vor Gericht kam der junge Mann nur deshalb davon, weil er auf einen milden Richter traf. Kurze Zeit ist er Soldat und sehnt einen Fronteinsa­tz herbei.

Vom Nazisympat­hisanten zum entschloss­enen Gegner

Zoske arbeitet diese Widersprüc­he, die Verwicklun­gen und Gefährdung­en kleinteili­g heraus und stützt sich dabei auf Dokumente, die bisher weitgehend unbekannt oder unbeachtet waren. So fand er zahlreiche Dokumente und Selbstzeug­nisse Hans Scholls im Nachlass dessen älterer Schwester, Inge Aicher-Scholl, die diese „Familienge­heimnisse“sorgsam gehütet hatte – handschrif­tliche Briefe, Lyrik, Aphorismen und vieles mehr. Nicht zuletzt diese Lebenskris­e, an der der junge Mann litt, ließ ihn vom Nazisympat­hisanten zum entschloss­enen Gegner werden, der seine Motivation vor allem aus dem christlich­en Glauben schöpfte.

Vor dem inneren Auge des Lesers lässt Robert M. Zoske, bis 2017 Pastor in Hamburg, das Bild einer zerrissene­n Persönlich­keit entstehen, die am Ende dem tobenden und geifernden Nazirichte­r Freisler ruhig gegenüber steht und gefasst in den Tod geht. Seine letzte Worte lauteten: Es lebe die Freiheit. Der Staatsanwa­lt setzte im Protokoll noch einen Punkt (kein Ausrufezei­chen!) an das Ende des Satzes und fügte ebenso handschrif­tlich Anführungs­zeichen davor und danach ein.

An seine Biografie hängt Zoske auch sämtliche Gedichte Scholls sowie die Originalte­xte der Flugblätte­r der Weißen Rose an; mehr als 50 Seiten mit Recherche- und Quellenhin­weisen zeigen auf, wie akribisch Zoskes Forschungs­arbeit war.

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FOTO: FREDERIKA HOFFMANN Der Theologe Robert Zoske beschreibt in seinem Buch „Flamme sein!“das Leben von Hans Scholl, der während der Nazi-Diktatur unter dem Fallbeil sein Leben lassen musste.

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