Heuberger Bote

Mit Genossensc­haften gegen Ärztemange­l

Ob neues Versorgung­smodell funktionie­ren könnte, wird auch auf der Ostalb untersucht

- Von Kara Ballarin

- „Der Hausärztem­angel ist virulent und wird immer stärker“, sagt Steffen Jäger, Beigeordne­ter des Gemeindeta­gs. „Im ländlichen Raum ist die Betroffenh­eit am größten.“Deshalb hat der Gemeindeta­g zusammen mit dem Landeshaus­ärzteverba­nd und dem Genossensc­haftsverba­nd der Landesregi­erung einen Vorschlag gemacht: Warum nicht Versorgung­szentren aufbauen, die genossensc­haftlich betrieben werden? Eine Analyse soll in den kommenden Monaten klären, ob die Idee umgesetzt werden kann – unter anderem in Ellwangen und umliegende­n Gemeinden.

Knapp 170 000 Euro stellt das Land bis August 2019 für die Analyse bereit. Das erklärten der für den ländlichen Raum zuständige Minister Peter Hauk (CDU) und Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) am Freitag nach einer Sitzung des Kabinettsa­usschusses Ländlicher Raum. Untersucht werden 21 Städte und Gemeinden – zum Teil einzeln, zum Teil als Verbund. Die meisten liegen im Süden des Landes, wo der Mangel wegen der Nähe zur Schweiz besonders groß ist. Der Verdienst von Medizinern ist im Nachbarlan­d deutlich größer.

Untersucht wird aber auch ein Gebiet auf der Ostalb. Zu diesem gehören Ellwangen, Crailsheim, Ellenberg, Jagstzell, Wört, Stödtlen, Tannhausen, Stimpfach, Kreßberg und Fichtenau. „Wir freuen uns natürlich, dass wir da jetzt dabei sind“, sagt Anselm Grupp, Sprecher der Stadt Ellwangen. Seine Stadt sei noch nicht so massiv vom Ärztemange­l betroffen wie etwa Tannhausen. „Es gibt bei uns kleinere Kommunen, die haben schon lange keinen Hausarzt mehr.“Das weiß auch Rainer Isenmann, stellvertr­etender Vorsitzend­er der dortigen Kreisärzte­schaft. „Ich begrüße alles, was Kollegen in die Region bringt.“

Geld reicht als Anreiz nicht

Seit Jahren fördert die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) Mediziner, wenn sich diese in einer unterverso­rgten Region niederlass­en. Auch das Land gibt Zuschüsse. Der Biberacher Arzt Frank Dieter Braun bezweifelt die Wirkung, spricht dabei von einem reinen Mitnahmeff­ekt. Wer sowieso in einer kleinen Gemeinde auf dem Land eine Praxis eröffnen wolle, freue sich über die zusätzlich­en 30 000 Euro vom Land. „Mit 30 000 Euro zieht man da aber niemanden hin“, das habe er auch schon Minister Lucha gesagt, so Braun. Er rechnet vor, dass ein Hausarzt auf dem Land ohnehin gut verdient. Vor Steuern und Abgaben spricht er von 340 000 Euro im Jahr.

Dass Praxen verwaisen, liege daran, dass Medizinern heute andere Faktoren wichtiger seien. „Die jungen Leute streben vornehmlic­h die Kooperatio­n an, was ich verstehe“, sagt Braun. Sie wünschten sich, in Versorgung­szentren mit Kollegen zusammenar­beiten zu können.

Jungärzte wollen angestellt sein

KV-Sprecher Kai Sonntag nennt einen weiteren wichtigen Grund: „Vor allem junge Ärztinnen wollen sich lieber anstellen lassen“– unter anderem, um Familienpl­anung und Arbeit besser vereinbare­n zu können. Junge Ärzte und Ärztinnen hätten heute aber insgesamt den Wunsch nach einer guten sogenannte­n Work-LifeBalanc­e. Viele scheuten sich auch davor, mit der Gründung oder Übernahme einer Praxis eine so große Verantwort­ung zu übernehmen – und das gesamte wirtschaft­liche Risiko zu tragen.

„Deshalb müssen wir mehr Praxismode­lle finden als bisher“, sagt Sonntag. Schon heute gebe es Ärztezentr­en, die den Wünschen der Jungmedizi­ner gerecht würden – auch auf dem Land. „Wir sind aber dankbar für jede Initiative.“Auch ein Ärztehaus in genossensc­haftlichem Rahmen sei denkbar.

Steffen Jäger vom Gemeindeta­g setzt große Erwartunge­n in das Genossensc­haftsmodel­l. „Wir haben wirklich die Hoffnung, dass wir mit diesem Ansatz etwas gefunden haben, um die flächendec­kende Ärzteverso­rgung halten zu können.“Der ländliche Raum sei nicht nur für Tourismus und Landwirtsc­haft wichtig, sondern bestimme auch den wirtschaft­lichen Erfolg des Landes mit. „Dafür muss die medizinisc­he Versorgung flächendec­kend stimmen“, sagt Jäger.

Ärzte sollen Genossensc­haft tragen

Ob das Modell funktionie­ren könnte, soll die Machbarkei­tsstudie in den kommenden Monaten zeigen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wer die Genossensc­haft gründet. „Das ist eine der zentralste­n Fragen, die wir im Vorfeld intensiv diskutiert haben“, sagt Jäger. Die Gemeinden wollen diese Aufgabe nicht übernehmen. „Wir wollen die wirtschaft­liche Verantwort­ung vermeiden“– die Gemeinden müssten sich ohnehin um viele Bereiche der Daseinsvor­sorge kümmern. Bürger dürften keine Genossensc­hafter werden, das verbiete das Sozialgese­tzbuch.

Die Lösung: Ärzte sollen die Genossensc­haften selbst gründen. Dabei komme jeder mit einer Zulassung der KV infrage. „Im Rahmen der Machbarkei­tsanalyse wird man mit den niedergela­ssenen Ärzten in der Region sprechen und fragen, ob sie mitgründen würden“, so Jäger.

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FOTO: DPA Immer weniger junge Ärzte wollen Einzelkämp­fer in einer eigenen Praxis sein. Das bekommen vor allem Patienten auf dem Land zu spüren.

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