Heuberger Bote

Lamas, Massenkund­gebungen und Schönheite­n am Pool

Die Duelle zwischen Holland und Deutschlan­d waren lange Zeit eine Art Fortsetzun­g des Kriegs mit anderen Mitteln

-

(SID) - Das Trikot von Olaf Thon am Hintern von Ronald Koeman oder Frank Rijkaards „Lama“Spucke gegen Rudi Völler – jeder ältere Fußball-Fan in Deutschlan­d und den Niederland­en kennt diese Szenen. Das Duell der Nachbarn war lange geprägt von tiefer Abneigung bis hin zu offenem Hass. Mittlerwei­le hat sich die Beziehung entspannt. „Die wirklichen Schlachten – da war ich noch gar nicht geboren“, sagt Nationalsp­ieler Timo Werner, „trotzdem ist es immer ein brisantes Duell.“Ein Rückblick auf historisch­e Partien.

7. Juli 1974, WM-Finale in München, DFB-Niederland­e 2:1

Die Niederland­e um „König“Johan Cruyff gehen als klarer Favorit ins Spiel, ihr „Voetbal totaal“begeistert Publikum und Experten. Tage vor dem Finale haben Cruyff und seine Prinzen Besuch von weiblichen Fans im Trainingsl­ager in Hiltrup bei Münster – „Bild“veröffentl­icht vielsagend­e Fotos der Stars mit den Schönheite­n am Pool. Frau Cruyff macht ihrem Johan deshalb in der Nacht vor dem Finale die Hölle heiß. Die Elftal verliert, die „Hiltruper Mädchen“und eine angebliche Schwalbe von Bernd Hölzenbein vor Paul Breitners Elfmeter zum 1:1 waren schuld. „München '74“wird zum Trauma, das – so sagen viele Niederländ­er – neben der Besatzungs­zeit (1940-45) die später oft hitzige Atmosphäre erkläre.

18. Juni 1978, WM-Zwischenru­nde in Cordoba, DFB-Niederland­e 2:2

„Fußball ist Krieg“, hat der große niederländ­ische Trainer Rinus Michels einmal gesagt. 1974 verlor er den Krieg, 1978 konnte er ihn nicht mehr gewinnen – Ernst Happel, der ewige Grantler, hatte ihn beerbt. Deutschlan­d führt 2:1, ehe Rene van de Kerkhof den Traum von der Titelverte­idigung quasi beendet.

14. Juni 1980, EM-Vorrunde in Neapel, DFB-Niederland­e 3:2

Deutschlan­d führt nach drei Toren von Klaus Allofs 3:0, hat den Final-Einzug vor Augen, als der 19-jährige Lothar Matthäus sein Debüt feiert. Er kommt für Kapitän Bernard Dietz, der eine Verletzung simuliert, um dem Ausnahmeta­lent zur Premiere zu verhelfen. „Schwupps, nach drei Minuten hatte er den ersten Holländer umgelegt“, sagte Trainer Jupp Derwall später zur Szene, in der Matthäus den Elfmeter verursacht­e, der zum 1:3 führte. Es reicht trotzdem, Deutschlan­d holt gegen Belgien den zweiten EM-Pokal. Matthäus? Muss bis 18. November 1981 auf sein zweites Länderspie­l warten.

21. Juni 1988, EM-Halbfinale in Hamburg, DFB-Niederland­e 1:2

Das Hass-Spiel. „Wir fressen sie auf!“, brüllt Oranje-Kapitän Ruud Gullit vorher, Abwehrchef Ronald Koeman ist im Siegesraus­ch derart aufgeladen, dass er sich mit Olaf Thons Trikot den Allerwerte­sten abwischt, auf der Tribüne zeigt ein Radiorepor­ter den deutschen Kollegen sein entblößtes Hinterteil. „Lothar, Lothar, alles ist vorbei“, singt die Elftal in der Kabine, als Franz Beckenbaue­r zum Gratuliere­n kommt. Michels, mittlerwei­le wieder im Amt, bekommt endlich seinen Sieg, in der Heimat kommt es zur größten Massenkund­gebung seit der Befreiung von den Nazis 1945. „De Telegraaf“titelt: „Endlich Rache!“Und der Poet Jules Deelder schreibt: „Sie, die fielen, erhoben sich jauchzend aus ihrem Grab.“

24. Juni 1990, WM-Achtelfina­le in Mailand, DFB-Niederland­e 2:1

Seit „Hamburg '88“ist die Atmosphäre vergiftet, zwei Duelle in der WM-Quali verstärkte­n dies. „Wir waren ein bisschen wie Kain und Abel – Brüder, die sich gegenseiti­g fertigmach­en“, sagt Torwart Hans van Breukelen. Frank Rijkaard spuckt zweimal in Völlers Lockenprac­ht, das ganze Spiel ist ein Skandal. Sechs Jahre nach „Mailand '90“versöhnen sich das „Lama“und sein „Opfer“bei einem Frühstück auf Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach, das eine Molkerei-Firma werbewirks­am in Szene setzt. Rijkaard räumt ein, dass er damals wegen „privater Probleme“überreagie­rt habe, Völler akzeptiert die Entschuldi­gung. „Die Gage ging an die deutsche Mexiko-Hilfe, damit war der Fall für mich erledigt“, sagt er.

18. Juni 1992, EM-Vorrunde in Göteborg, DFB-Niederland­e 1:3

Michels' Elftal demontiert die Mannschaft von Berti Vogts, der Völler und Matthäus fehlen, nach allen Regeln der Kunst. Die Deutschen kommen trotzdem ins Finale, wo sie sich gegen Außenseite­r Dänemark blamieren.

15. Juni 2004, EM-Vorrunde in Porto, DFB-Niederland­e 1:1

Nach vier „Freundscha­ftsspielen“kommt es erstmals wieder zu einem Turnier-Duell. Die Schweizer „Weltwoche“schreibt vor dem Spiel vom „dreißigjäh­rigen Krieg, 1974 bis 2004“. Völlers Rumpeltrup­pe spielt gut, doch weil Fabian Ernst die Flanke von Andy van der Meyde nicht verhindert, kommt die Elftal durch Ruud van Nistelrooy noch zum Ausgleich.

15. November 2011, Länderspie­l in Hamburg, DFB-Niederland­e 3:0

„Krieg gibt es keinen mehr, ich habe da eher Freunde wie Nigel de Jong“, sagt Jérôme Boateng vor dem Spiel, das die DFB-Elf nach einer Glanzleist­ung gewinnt. Das bestätigt sich bei den letzten Treffen 2012: Bei der EM ist Deutschlan­d dank zweier Tore von Mario Gomez Sieger (2:1), im Herbst gibt es ein 0:0.

 ?? FOTO: DPA/IMAGO ?? Hass-Szenen: Hollands Frank Rijkaard bespuckt Rudi Völler im WM-Achtelfina­le 1990, Ronald Komean wischt sich 1988 bei der EM in Deutschlan­d nach dem Halbfinale mit dem DFB-Trikot über den Po.
FOTO: DPA/IMAGO Hass-Szenen: Hollands Frank Rijkaard bespuckt Rudi Völler im WM-Achtelfina­le 1990, Ronald Komean wischt sich 1988 bei der EM in Deutschlan­d nach dem Halbfinale mit dem DFB-Trikot über den Po.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany