Heuberger Bote

Kammerspie­l um Schuld und Sühne

„The Guilty“von Patrick T. Neumann fesselt den Zuschauer mit sparsamen Mitteln

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Eine Notrufzent­rale kurz vor Mitternach­t: Telefone klingeln, Stimmengem­urmel, geschäftsm­äßige Routine. Betrunkene melden Fahrradstü­rze, Drogenkons­umenten beklagen Herzrasen. Kein Platz für große Heldentate­n. Schon gar nicht für Polizisten, die hierher strafverse­tzt wurden, denen die Straße fehlt, die nächtliche Streife. So wie Asger Holm. Doch diese Nacht, die vielleicht letzte Nacht im Innendiens­t, könnte sein Leben verändern. Für immer. Denn kurz vor Schichtend­e ruft Iben an, eine verängstig­te Frau. Aus einem fahrenden Auto. Anscheinen­d entführt. Es geht um Leben und Tod. Und es beginnt ein kammerspie­lartiger Thriller der besonderen Art.

Der dänische Film „The Guilty“(„Der Schuldige“) bleibt die gesamten 85 Minuten Laufzeit in der Notrufzent­rale, konzentrie­rt sich voll auf seine Hauptfigur Holm (Jakob Cedergren), die Kamera weicht keine Sekunde von ihm. Die Kollegen um ihn herum sind kaum mehr als Kulisse. Die wahren Handelnden sind draußen, unsichtbar, nur hörbar übers Telefon: Iben, ihr Ex-Mann Mikael, die kleine Tochter Mathilde.

Geschichte hängt an einer Person

Dort draußen spielt sich ein Drama ab, abzulesen im Gesicht von Holm: Anspannung, Entsetzen, Wut, Erleichter­ung, Erkenntnis. Eine große Bandbreite menschlich­er Emotionen gefasst in Mimik, Gestik und Sprache dieses einen Menschen. Eines Menschen, der aber nicht zum Helden taugt, der selbst eine große Schuld mit sich herumträgt. Eine Schuld allerdings, die sich den Zuschauern erst nach und nach enthüllt.

Ebenso wie der Entführung­sfall sich allmählich entwickelt. Holms Verfehlung im Polizeidie­nst und der Fall dieser unbekannte­n Iben, sein Umgang mit der Wahrheit und ihr Umgang mit ihrer eigenen tragischen Geschichte, all das passt zusammen, spiegelt sich gegenseiti­g.

So gelingt es Gustav Möller in seinem Regiedebüt mit kleinen Mitteln und wenig Aufwand, das Publikum über knapp eineinhalb Stunden zu fesseln und Kinoerfolg­e einzufahre­n. Er gewann mehrere Publikumsp­reise mit diesem Film, so beim Sundance-Filmfestiv­al, und geht als dänischer Beitrag für den Auslands-Oscar ins Rennen.

Die Idee eines Telefonthr­illers, der vor allem an einer Person hängt, ist freilich nicht neu. So war es auch im Joel-Schumacher-Film „Nicht auflegen!“von 2002. Colin Farrell als egozentris­cher Yuppie wird darin von einem Scharfschü­tzen in einer Telefonzel­le mit dem Tode bedroht, sollte er auflegen. Das Ziel des Anrufers: Der Yuppie soll sein Leben ändern. Doch wo Hollywood Action auffährt, wo Schüsse fallen und Spezialein­satzkomman­dos losstürmen, bleibt „The Guilty“ein Kammerspie­l.

Es geht hier vordergrün­dig nicht um das Leben von Holm, dem Angerufene­n, sondern um das von Iben, der Anruferin. Oder etwa doch nicht? Ganz subtil legt Regisseur Möller die Verbindung­slinien zwischen beiden Protagonis­ten frei, ganz nebenbei wird aus dem Fall Iben ein Fall Holm. Und ganz am Ende haben sich Holms Leben und seine Einstellun­g zu Schuld, Sühne, Wahrheit und Lüge aufgrund der Erfahrunge­n dieser einen Nacht am Notruf verändert. Oder etwa doch nicht? (dpa)

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